Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Sechstes Buch, drittes Capitel. konnte: Wie? -- Jch bin erfreut, daß du einervon den Unsrigen geworden? -- Jsts möglich? Einer von den Seinigen? -- Dem Hippias ähn- lich? -- Jhm, dessen Grundsäze, dessen Leben, dessen vermeynte Weisheit mir vor kurzem noch so viel Abscheu einflößten? -- Und die Verwandlung ist so groß, daß sie ihm keinen Zweifel übrig läßt? Gütige Götter! Wo ist euer Agathon? -- Ach! es ist mehr als zu gewiß, daß ich nicht mehr ich selbst bin! -- Wie? sind mir nicht alle Gegenstände dieses Hauses, von denen meine Seele sich ehmals mit Ekel und Grauen wegwandte, gleichgültig oder gar angenehm worden? Diese üppigen Gemälhde -- diese schlüpfrigen Nym- phen -- diese Gespräche, worinn alles, was dem Menschen groß und ehrwürdig seyn soll, in ein comi- sches Licht gestellt wird -- diese Verschwendung der Zeit -- diese mühsam ansgesonnenen und über die Forderung der Natur getriebenen Ergözungen -- Himmel! wo bin ich? An was für einem jähen Ab- hang find ich mich selbst -- welch einen Abgrund unter mir -- O Danae, Danae! -- hier hielt er inn, um den trostvollen Einflüssen Raum zu lassen, welche dieser Nahme und die zauberischen Bilder, so er mit sich brachte, über seine sich selbst quälende Seele ausbreiteten. Mit einem schleunigen Uebergang von Schwermuth zu Entzükung, durchflog sie izt alle diese Scenen von Liebe und Glükseligkeit, welche ihr die leztverfloßnen Tage zu Augenbliken gemacht hat- ten; und von diesen Erinnerungen mit einer innigen Wol-
Sechstes Buch, drittes Capitel. konnte: Wie? — Jch bin erfreut, daß du einervon den Unſrigen geworden? — Jſts moͤglich? Einer von den Seinigen? — Dem Hippias aͤhn- lich? — Jhm, deſſen Grundſaͤze, deſſen Leben, deſſen vermeynte Weisheit mir vor kurzem noch ſo viel Abſcheu einfloͤßten? — Und die Verwandlung iſt ſo groß, daß ſie ihm keinen Zweifel uͤbrig laͤßt? Guͤtige Goͤtter! Wo iſt euer Agathon? — Ach! es iſt mehr als zu gewiß, daß ich nicht mehr ich ſelbſt bin! — Wie? ſind mir nicht alle Gegenſtaͤnde dieſes Hauſes, von denen meine Seele ſich ehmals mit Ekel und Grauen wegwandte, gleichguͤltig oder gar angenehm worden? Dieſe uͤppigen Gemaͤlhde — dieſe ſchluͤpfrigen Nym- phen — dieſe Geſpraͤche, worinn alles, was dem Menſchen groß und ehrwuͤrdig ſeyn ſoll, in ein comi- ſches Licht geſtellt wird — dieſe Verſchwendung der Zeit — dieſe muͤhſam ansgeſonnenen und uͤber die Forderung der Natur getriebenen Ergoͤzungen — Himmel! wo bin ich? An was fuͤr einem jaͤhen Ab- hang find ich mich ſelbſt — welch einen Abgrund unter mir — O Danae, Danae! — hier hielt er inn, um den troſtvollen Einfluͤſſen Raum zu laſſen, welche dieſer Nahme und die zauberiſchen Bilder, ſo er mit ſich brachte, uͤber ſeine ſich ſelbſt quaͤlende Seele ausbreiteten. Mit einem ſchleunigen Uebergang von Schwermuth zu Entzuͤkung, durchflog ſie izt alle dieſe Scenen von Liebe und Gluͤkſeligkeit, welche ihr die leztverfloßnen Tage zu Augenbliken gemacht hat- ten; und von dieſen Erinnerungen mit einer innigen Wol-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0259" n="237"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Sechstes Buch, drittes Capitel.</hi></fw><lb/> konnte: Wie? — <hi rendition="#fr">Jch bin erfreut, daß du einer<lb/> von den Unſrigen geworden?</hi> — Jſts moͤglich?<lb/> Einer von den Seinigen? — Dem Hippias aͤhn-<lb/> lich? — Jhm, deſſen Grundſaͤze, deſſen Leben,<lb/> deſſen vermeynte Weisheit mir vor kurzem noch ſo viel<lb/> Abſcheu einfloͤßten? — Und die Verwandlung iſt<lb/> ſo groß, daß ſie ihm keinen Zweifel uͤbrig laͤßt? Guͤtige<lb/> Goͤtter! Wo iſt euer Agathon? — Ach! es iſt mehr<lb/> als zu gewiß, daß ich nicht mehr ich ſelbſt bin! — Wie?<lb/> ſind mir nicht alle Gegenſtaͤnde dieſes Hauſes, von<lb/> denen meine Seele ſich ehmals mit Ekel und Grauen<lb/> wegwandte, gleichguͤltig oder gar angenehm worden?<lb/> Dieſe uͤppigen Gemaͤlhde — dieſe ſchluͤpfrigen Nym-<lb/> phen — dieſe Geſpraͤche, worinn alles, was dem<lb/> Menſchen groß und ehrwuͤrdig ſeyn ſoll, in ein comi-<lb/> ſches Licht geſtellt wird — dieſe Verſchwendung der<lb/> Zeit — dieſe muͤhſam ansgeſonnenen und uͤber die<lb/> Forderung der Natur getriebenen Ergoͤzungen —<lb/> Himmel! wo bin ich? An was fuͤr einem jaͤhen Ab-<lb/> hang find ich mich ſelbſt — welch einen Abgrund<lb/> unter mir — O Danae, Danae! — hier hielt<lb/> er inn, um den troſtvollen Einfluͤſſen Raum zu laſſen,<lb/> welche dieſer Nahme und die zauberiſchen Bilder, ſo er<lb/> mit ſich brachte, uͤber ſeine ſich ſelbſt quaͤlende Seele<lb/> ausbreiteten. Mit einem ſchleunigen Uebergang<lb/> von Schwermuth zu Entzuͤkung, durchflog ſie izt<lb/> alle dieſe Scenen von Liebe und Gluͤkſeligkeit, welche<lb/> ihr die leztverfloßnen Tage zu Augenbliken gemacht hat-<lb/> ten; und von dieſen Erinnerungen mit einer innigen<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Wol-</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [237/0259]
Sechstes Buch, drittes Capitel.
konnte: Wie? — Jch bin erfreut, daß du einer
von den Unſrigen geworden? — Jſts moͤglich?
Einer von den Seinigen? — Dem Hippias aͤhn-
lich? — Jhm, deſſen Grundſaͤze, deſſen Leben,
deſſen vermeynte Weisheit mir vor kurzem noch ſo viel
Abſcheu einfloͤßten? — Und die Verwandlung iſt
ſo groß, daß ſie ihm keinen Zweifel uͤbrig laͤßt? Guͤtige
Goͤtter! Wo iſt euer Agathon? — Ach! es iſt mehr
als zu gewiß, daß ich nicht mehr ich ſelbſt bin! — Wie?
ſind mir nicht alle Gegenſtaͤnde dieſes Hauſes, von
denen meine Seele ſich ehmals mit Ekel und Grauen
wegwandte, gleichguͤltig oder gar angenehm worden?
Dieſe uͤppigen Gemaͤlhde — dieſe ſchluͤpfrigen Nym-
phen — dieſe Geſpraͤche, worinn alles, was dem
Menſchen groß und ehrwuͤrdig ſeyn ſoll, in ein comi-
ſches Licht geſtellt wird — dieſe Verſchwendung der
Zeit — dieſe muͤhſam ansgeſonnenen und uͤber die
Forderung der Natur getriebenen Ergoͤzungen —
Himmel! wo bin ich? An was fuͤr einem jaͤhen Ab-
hang find ich mich ſelbſt — welch einen Abgrund
unter mir — O Danae, Danae! — hier hielt
er inn, um den troſtvollen Einfluͤſſen Raum zu laſſen,
welche dieſer Nahme und die zauberiſchen Bilder, ſo er
mit ſich brachte, uͤber ſeine ſich ſelbſt quaͤlende Seele
ausbreiteten. Mit einem ſchleunigen Uebergang
von Schwermuth zu Entzuͤkung, durchflog ſie izt
alle dieſe Scenen von Liebe und Gluͤkſeligkeit, welche
ihr die leztverfloßnen Tage zu Augenbliken gemacht hat-
ten; und von dieſen Erinnerungen mit einer innigen
Wol-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/259 |
Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/259>, abgerufen am 17.02.2025. |