Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon.
Eigenliebe ihre Rechnung nicht sinden würde. Sie be-
gnügte sich also ihm zu sagen, daß Hippias viel Gutes
von ihm gesprochen, und sie versichert habe, daß er ihn
weit aufgewekter und artiger finde als er vorher ge-
wesen; es hätte sie bedünkt, daß er mehr damit sa-
gen wollen, als seine Worte an sich selbst gesagt hät-
ten; sie hätte aber eben so wenig daran gedacht ihn
zum Vertrauten ihrer Liebe zu machen, als sie Ursache
hätte, eine Achtung zu verbergen, welche man den per-
sönlichen Verdiensten des Callias nicht versagen könne;
im übrigen hätte sie seine Munterkeit auf die Rechnung
der Zeit, welche das Andenken seiner Unglüksfälle
schwäche, und der vollkommnern Freyheit geschrieben,
die er in ihrem Hause hätte. Agathon ließ sich durch
diese Erzählung nicht nur beruhigen; sondern, wie
seine Einbildungskraft gewohnt war, ihn immer wei-
ter zu führen, als er im Sinne hatte zu gehen, so
fühlte er sich, nachdem sie eine Zeitlang von dieser
Materie gesprochen hatten, so muthig, daß er sich
vornahm den Scherzen des Hippias, wofern es dem-
selben je einfallen sollte über seine Freundschaft mit Da-
nae zu scherzen, in gleichem Ton zu antworten; eine
Entschliessung, welche (ob er es gleich nicht gewahr
wurde) in der That mehr Unverschämtheit voraussezte,
als selbst ein langwieriger Fortgang auf den Abwegen,
auf die er verirrt war, einem Agathon jemals geben
konnte.

Drittes

Agathon.
Eigenliebe ihre Rechnung nicht ſinden wuͤrde. Sie be-
gnuͤgte ſich alſo ihm zu ſagen, daß Hippias viel Gutes
von ihm geſprochen, und ſie verſichert habe, daß er ihn
weit aufgewekter und artiger finde als er vorher ge-
weſen; es haͤtte ſie beduͤnkt, daß er mehr damit ſa-
gen wollen, als ſeine Worte an ſich ſelbſt geſagt haͤt-
ten; ſie haͤtte aber eben ſo wenig daran gedacht ihn
zum Vertrauten ihrer Liebe zu machen, als ſie Urſache
haͤtte, eine Achtung zu verbergen, welche man den per-
ſoͤnlichen Verdienſten des Callias nicht verſagen koͤnne;
im uͤbrigen haͤtte ſie ſeine Munterkeit auf die Rechnung
der Zeit, welche das Andenken ſeiner Ungluͤksfaͤlle
ſchwaͤche, und der vollkommnern Freyheit geſchrieben,
die er in ihrem Hauſe haͤtte. Agathon ließ ſich durch
dieſe Erzaͤhlung nicht nur beruhigen; ſondern, wie
ſeine Einbildungskraft gewohnt war, ihn immer wei-
ter zu fuͤhren, als er im Sinne hatte zu gehen, ſo
fuͤhlte er ſich, nachdem ſie eine Zeitlang von dieſer
Materie geſprochen hatten, ſo muthig, daß er ſich
vornahm den Scherzen des Hippias, wofern es dem-
ſelben je einfallen ſollte uͤber ſeine Freundſchaft mit Da-
nae zu ſcherzen, in gleichem Ton zu antworten; eine
Entſchlieſſung, welche (ob er es gleich nicht gewahr
wurde) in der That mehr Unverſchaͤmtheit vorausſezte,
als ſelbſt ein langwieriger Fortgang auf den Abwegen,
auf die er verirrt war, einem Agathon jemals geben
konnte.

Drittes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0256" n="234"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/>
Eigenliebe ihre Rechnung nicht &#x017F;inden wu&#x0364;rde. Sie be-<lb/>
gnu&#x0364;gte &#x017F;ich al&#x017F;o ihm zu &#x017F;agen, daß Hippias viel Gutes<lb/>
von ihm ge&#x017F;prochen, und &#x017F;ie ver&#x017F;ichert habe, daß er ihn<lb/>
weit aufgewekter und artiger finde als er vorher ge-<lb/>
we&#x017F;en; es ha&#x0364;tte &#x017F;ie bedu&#x0364;nkt, daß er mehr damit &#x017F;a-<lb/>
gen wollen, als &#x017F;eine Worte an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;agt ha&#x0364;t-<lb/>
ten; &#x017F;ie ha&#x0364;tte aber eben &#x017F;o wenig daran gedacht ihn<lb/>
zum Vertrauten ihrer Liebe zu machen, als &#x017F;ie Ur&#x017F;ache<lb/>
ha&#x0364;tte, eine Achtung zu verbergen, welche man den per-<lb/>
&#x017F;o&#x0364;nlichen Verdien&#x017F;ten des Callias nicht ver&#x017F;agen ko&#x0364;nne;<lb/>
im u&#x0364;brigen ha&#x0364;tte &#x017F;ie &#x017F;eine Munterkeit auf die Rechnung<lb/>
der Zeit, welche das Andenken &#x017F;einer Unglu&#x0364;ksfa&#x0364;lle<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;che, und der vollkommnern Freyheit ge&#x017F;chrieben,<lb/>
die er in ihrem Hau&#x017F;e ha&#x0364;tte. Agathon ließ &#x017F;ich durch<lb/>
die&#x017F;e Erza&#x0364;hlung nicht nur beruhigen; &#x017F;ondern, wie<lb/>
&#x017F;eine Einbildungskraft gewohnt war, ihn immer wei-<lb/>
ter zu fu&#x0364;hren, als er im Sinne hatte zu gehen, &#x017F;o<lb/>
fu&#x0364;hlte er &#x017F;ich, nachdem &#x017F;ie eine Zeitlang von die&#x017F;er<lb/>
Materie ge&#x017F;prochen hatten, &#x017F;o muthig, daß er &#x017F;ich<lb/>
vornahm den Scherzen des Hippias, wofern es dem-<lb/>
&#x017F;elben je einfallen &#x017F;ollte u&#x0364;ber &#x017F;eine Freund&#x017F;chaft mit Da-<lb/>
nae zu &#x017F;cherzen, in gleichem Ton zu antworten; eine<lb/>
Ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;ung, welche (ob er es gleich nicht gewahr<lb/>
wurde) in der That mehr Unver&#x017F;cha&#x0364;mtheit voraus&#x017F;ezte,<lb/>
als &#x017F;elb&#x017F;t ein langwieriger Fortgang auf den Abwegen,<lb/>
auf die er verirrt war, einem Agathon jemals geben<lb/>
konnte.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Drittes</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0256] Agathon. Eigenliebe ihre Rechnung nicht ſinden wuͤrde. Sie be- gnuͤgte ſich alſo ihm zu ſagen, daß Hippias viel Gutes von ihm geſprochen, und ſie verſichert habe, daß er ihn weit aufgewekter und artiger finde als er vorher ge- weſen; es haͤtte ſie beduͤnkt, daß er mehr damit ſa- gen wollen, als ſeine Worte an ſich ſelbſt geſagt haͤt- ten; ſie haͤtte aber eben ſo wenig daran gedacht ihn zum Vertrauten ihrer Liebe zu machen, als ſie Urſache haͤtte, eine Achtung zu verbergen, welche man den per- ſoͤnlichen Verdienſten des Callias nicht verſagen koͤnne; im uͤbrigen haͤtte ſie ſeine Munterkeit auf die Rechnung der Zeit, welche das Andenken ſeiner Ungluͤksfaͤlle ſchwaͤche, und der vollkommnern Freyheit geſchrieben, die er in ihrem Hauſe haͤtte. Agathon ließ ſich durch dieſe Erzaͤhlung nicht nur beruhigen; ſondern, wie ſeine Einbildungskraft gewohnt war, ihn immer wei- ter zu fuͤhren, als er im Sinne hatte zu gehen, ſo fuͤhlte er ſich, nachdem ſie eine Zeitlang von dieſer Materie geſprochen hatten, ſo muthig, daß er ſich vornahm den Scherzen des Hippias, wofern es dem- ſelben je einfallen ſollte uͤber ſeine Freundſchaft mit Da- nae zu ſcherzen, in gleichem Ton zu antworten; eine Entſchlieſſung, welche (ob er es gleich nicht gewahr wurde) in der That mehr Unverſchaͤmtheit vorausſezte, als ſelbſt ein langwieriger Fortgang auf den Abwegen, auf die er verirrt war, einem Agathon jemals geben konnte. Drittes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/256
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/256>, abgerufen am 23.11.2024.