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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
nehmen Empfindungen, und die angenehmen Empfin-
dungen in ihren nächsten Quellen, in der Natur, in
unsern Sinnen und in unsern Herzen sucht, vertauschte;
daß er von den Göttern und Halbgöttern, mit denen
er vorher umgegangen war, nur die Grazien und
Liebesgötter beybehielt; daß dieser Agathon, der eh-
mals von seinen Minuten, von seinen Augenbliken der
Weisheit Rechenschaft geben konnte, izt fähig war,
(wir schämen uns es zu sagen) ganze Stunden, ganze
Tage in zärtlicher Trunkenheit wegzutändeln --
Alles dieses, so stark der Abfall auch ist, wird den-
noch den meisten begreiflich scheinen. Aber daß Danae,
welche die Schönsten und Edelsten von Asien, welche
Fürsten und Satrapen zu ihren Füssen gesehen hatte,
welche gewohnt war, in den schimmerndsten Versamm-
lungen am meisten zu glänzen, einen Hof von allem,
was durch Vorzüge der Geburt, des Geistes, des
Reichthums und der Talente würdig war, nach ihrem
Beyfall zu streben, um sich her zu sehen: Daß diese
Danae izt verächtliche Blike in die grosse Welt zurük-
warf, und nichts angenehmers fand als die ländliche
Einfalt, nichts schöners als in Haynen herumzuirren,
Blumenkränze für ihren Schäfer zu winden, an einer
murmelnden Quelle in seinem Arm einzuschlummern,
von der Welt vergessen zu seyn, und die Welt zu ver-
gessen -- daß sie, für welche die Liebe der Em-
pfindung sonst ein unerschöpflicher Gegenstand von wi-
zigen Spöttereyen gewesen war, izt von den zärtlichen
Klagen der Nachtigall in stillheitern Nächten biß zu

Thrä-

Agathon.
nehmen Empfindungen, und die angenehmen Empfin-
dungen in ihren naͤchſten Quellen, in der Natur, in
unſern Sinnen und in unſern Herzen ſucht, vertauſchte;
daß er von den Goͤttern und Halbgoͤttern, mit denen
er vorher umgegangen war, nur die Grazien und
Liebesgoͤtter beybehielt; daß dieſer Agathon, der eh-
mals von ſeinen Minuten, von ſeinen Augenbliken der
Weisheit Rechenſchaft geben konnte, izt faͤhig war,
(wir ſchaͤmen uns es zu ſagen) ganze Stunden, ganze
Tage in zaͤrtlicher Trunkenheit wegzutaͤndeln —
Alles dieſes, ſo ſtark der Abfall auch iſt, wird den-
noch den meiſten begreiflich ſcheinen. Aber daß Danae,
welche die Schoͤnſten und Edelſten von Aſien, welche
Fuͤrſten und Satrapen zu ihren Fuͤſſen geſehen hatte,
welche gewohnt war, in den ſchimmerndſten Verſamm-
lungen am meiſten zu glaͤnzen, einen Hof von allem,
was durch Vorzuͤge der Geburt, des Geiſtes, des
Reichthums und der Talente wuͤrdig war, nach ihrem
Beyfall zu ſtreben, um ſich her zu ſehen: Daß dieſe
Danae izt veraͤchtliche Blike in die groſſe Welt zuruͤk-
warf, und nichts angenehmers fand als die laͤndliche
Einfalt, nichts ſchoͤners als in Haynen herumzuirren,
Blumenkraͤnze fuͤr ihren Schaͤfer zu winden, an einer
murmelnden Quelle in ſeinem Arm einzuſchlummern,
von der Welt vergeſſen zu ſeyn, und die Welt zu ver-
geſſen — daß ſie, fuͤr welche die Liebe der Em-
pfindung ſonſt ein unerſchoͤpflicher Gegenſtand von wi-
zigen Spoͤttereyen geweſen war, izt von den zaͤrtlichen
Klagen der Nachtigall in ſtillheitern Naͤchten biß zu

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[218/0240] Agathon. nehmen Empfindungen, und die angenehmen Empfin- dungen in ihren naͤchſten Quellen, in der Natur, in unſern Sinnen und in unſern Herzen ſucht, vertauſchte; daß er von den Goͤttern und Halbgoͤttern, mit denen er vorher umgegangen war, nur die Grazien und Liebesgoͤtter beybehielt; daß dieſer Agathon, der eh- mals von ſeinen Minuten, von ſeinen Augenbliken der Weisheit Rechenſchaft geben konnte, izt faͤhig war, (wir ſchaͤmen uns es zu ſagen) ganze Stunden, ganze Tage in zaͤrtlicher Trunkenheit wegzutaͤndeln — Alles dieſes, ſo ſtark der Abfall auch iſt, wird den- noch den meiſten begreiflich ſcheinen. Aber daß Danae, welche die Schoͤnſten und Edelſten von Aſien, welche Fuͤrſten und Satrapen zu ihren Fuͤſſen geſehen hatte, welche gewohnt war, in den ſchimmerndſten Verſamm- lungen am meiſten zu glaͤnzen, einen Hof von allem, was durch Vorzuͤge der Geburt, des Geiſtes, des Reichthums und der Talente wuͤrdig war, nach ihrem Beyfall zu ſtreben, um ſich her zu ſehen: Daß dieſe Danae izt veraͤchtliche Blike in die groſſe Welt zuruͤk- warf, und nichts angenehmers fand als die laͤndliche Einfalt, nichts ſchoͤners als in Haynen herumzuirren, Blumenkraͤnze fuͤr ihren Schaͤfer zu winden, an einer murmelnden Quelle in ſeinem Arm einzuſchlummern, von der Welt vergeſſen zu ſeyn, und die Welt zu ver- geſſen — daß ſie, fuͤr welche die Liebe der Em- pfindung ſonſt ein unerſchoͤpflicher Gegenſtand von wi- zigen Spoͤttereyen geweſen war, izt von den zaͤrtlichen Klagen der Nachtigall in ſtillheitern Naͤchten biß zu Thraͤ-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/240>, abgerufen am 28.11.2024.