Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon,
sich dessen länger erwehren können, da ihr bisheriger
Schlummer würklich nur erdichtet gewesen war? Sie
hatte aus einer Neugierigkeit, die in ihrer Verfassung
natürlich scheinen kan, sehen wollen, wie ein Agathon
bey einer so schlüpfrigen Gelegenheit sich betragen
würde; und dieser lezte Beweis einer vollkommnen
Liebe, welche, ungeachtet ihrer Erfahrenheit, alle An-
nehmlichkeiten der Neuheit für sie hatte, rührte sie so
sehr, daß sie, von einer ungewohnten und unwider-
stehlichen Empfindung überwunden, in einem An-
genblik, wo sie zum erstenmal zu lieben und geliebt zu
werden glaubte, nicht mehr Meisterin von ihren Be-
wegungen war. Sie schlug ihre schönen Augen auf,
Augen die in den wollüstigen Thränen der Liebe
schwammen, und dem entzükten Agathon sein ganzes
Glük auf eine unendlich vollkommnere Art entdekten,
als es das beredteste Liebesgeständnis hätte thun kön-
nen. O Callias! (rief sie endlich mit einem Ton der
Stimme, der alle Sayten seines Herzens widerhallen
machte, indem sie, ihre schönen Arme um ihn windend,
den Glükseligsten aller Liebhaber an ihren Busen drükte,)
-- was für ein neues Wesen giebst du mir? Ge-
niesse, o! geniesse, du Liebenswürdigster unter den
Sterblichen, der ganzen unbegränzten Zärtlichkeit, die
du mir einflössest. Und hier, ohne den Leser unnöthi-
ger Weise damit aufzuhalten, was sie ferner sagte,
und was er antwortete, überlassen wir den Pinsel ei-
nem Correggio, und schleichen uns davon.

Aber

Agathon,
ſich deſſen laͤnger erwehren koͤnnen, da ihr bisheriger
Schlummer wuͤrklich nur erdichtet geweſen war? Sie
hatte aus einer Neugierigkeit, die in ihrer Verfaſſung
natuͤrlich ſcheinen kan, ſehen wollen, wie ein Agathon
bey einer ſo ſchluͤpfrigen Gelegenheit ſich betragen
wuͤrde; und dieſer lezte Beweis einer vollkommnen
Liebe, welche, ungeachtet ihrer Erfahrenheit, alle An-
nehmlichkeiten der Neuheit fuͤr ſie hatte, ruͤhrte ſie ſo
ſehr, daß ſie, von einer ungewohnten und unwider-
ſtehlichen Empfindung uͤberwunden, in einem An-
genblik, wo ſie zum erſtenmal zu lieben und geliebt zu
werden glaubte, nicht mehr Meiſterin von ihren Be-
wegungen war. Sie ſchlug ihre ſchoͤnen Augen auf,
Augen die in den wolluͤſtigen Thraͤnen der Liebe
ſchwammen, und dem entzuͤkten Agathon ſein ganzes
Gluͤk auf eine unendlich vollkommnere Art entdekten,
als es das beredteſte Liebesgeſtaͤndnis haͤtte thun koͤn-
nen. O Callias! (rief ſie endlich mit einem Ton der
Stimme, der alle Sayten ſeines Herzens widerhallen
machte, indem ſie, ihre ſchoͤnen Arme um ihn windend,
den Gluͤkſeligſten aller Liebhaber an ihren Buſen druͤkte,)
— was fuͤr ein neues Weſen giebſt du mir? Ge-
nieſſe, o! genieſſe, du Liebenswuͤrdigſter unter den
Sterblichen, der ganzen unbegraͤnzten Zaͤrtlichkeit, die
du mir einfloͤſſeſt. Und hier, ohne den Leſer unnoͤthi-
ger Weiſe damit aufzuhalten, was ſie ferner ſagte,
und was er antwortete, uͤberlaſſen wir den Pinſel ei-
nem Correggio, und ſchleichen uns davon.

Aber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0230" n="208"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon,</hi></hi></fw><lb/>
&#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en la&#x0364;nger erwehren ko&#x0364;nnen, da ihr bisheriger<lb/>
Schlummer wu&#x0364;rklich nur erdichtet gewe&#x017F;en war? Sie<lb/>
hatte aus einer Neugierigkeit, die in ihrer Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
natu&#x0364;rlich &#x017F;cheinen kan, &#x017F;ehen wollen, wie ein Agathon<lb/>
bey einer &#x017F;o &#x017F;chlu&#x0364;pfrigen Gelegenheit &#x017F;ich betragen<lb/>
wu&#x0364;rde; und die&#x017F;er lezte Beweis einer vollkommnen<lb/>
Liebe, welche, ungeachtet ihrer Erfahrenheit, alle An-<lb/>
nehmlichkeiten der Neuheit fu&#x0364;r &#x017F;ie hatte, ru&#x0364;hrte &#x017F;ie &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr, daß &#x017F;ie, von einer ungewohnten und unwider-<lb/>
&#x017F;tehlichen Empfindung u&#x0364;berwunden, in einem An-<lb/>
genblik, wo &#x017F;ie zum er&#x017F;tenmal zu lieben und geliebt zu<lb/>
werden glaubte, nicht mehr Mei&#x017F;terin von ihren Be-<lb/>
wegungen war. Sie &#x017F;chlug ihre &#x017F;cho&#x0364;nen Augen auf,<lb/>
Augen die in den wollu&#x0364;&#x017F;tigen Thra&#x0364;nen der Liebe<lb/>
&#x017F;chwammen, und dem entzu&#x0364;kten Agathon &#x017F;ein ganzes<lb/>
Glu&#x0364;k auf eine unendlich vollkommnere Art entdekten,<lb/>
als es das beredte&#x017F;te Liebesge&#x017F;ta&#x0364;ndnis ha&#x0364;tte thun ko&#x0364;n-<lb/>
nen. O Callias! (rief &#x017F;ie endlich mit einem Ton der<lb/>
Stimme, der alle Sayten &#x017F;eines Herzens widerhallen<lb/>
machte, indem &#x017F;ie, ihre &#x017F;cho&#x0364;nen Arme um ihn windend,<lb/>
den Glu&#x0364;k&#x017F;elig&#x017F;ten aller Liebhaber an ihren Bu&#x017F;en dru&#x0364;kte,)<lb/>
&#x2014; was fu&#x0364;r ein neues We&#x017F;en gieb&#x017F;t du mir? Ge-<lb/>
nie&#x017F;&#x017F;e, o! genie&#x017F;&#x017F;e, du Liebenswu&#x0364;rdig&#x017F;ter unter den<lb/>
Sterblichen, der ganzen unbegra&#x0364;nzten Za&#x0364;rtlichkeit, die<lb/>
du mir einflo&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t. Und hier, ohne den Le&#x017F;er unno&#x0364;thi-<lb/>
ger Wei&#x017F;e damit aufzuhalten, was &#x017F;ie ferner &#x017F;agte,<lb/>
und was er antwortete, u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en wir den Pin&#x017F;el ei-<lb/>
nem Correggio, und &#x017F;chleichen uns davon.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Aber</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0230] Agathon, ſich deſſen laͤnger erwehren koͤnnen, da ihr bisheriger Schlummer wuͤrklich nur erdichtet geweſen war? Sie hatte aus einer Neugierigkeit, die in ihrer Verfaſſung natuͤrlich ſcheinen kan, ſehen wollen, wie ein Agathon bey einer ſo ſchluͤpfrigen Gelegenheit ſich betragen wuͤrde; und dieſer lezte Beweis einer vollkommnen Liebe, welche, ungeachtet ihrer Erfahrenheit, alle An- nehmlichkeiten der Neuheit fuͤr ſie hatte, ruͤhrte ſie ſo ſehr, daß ſie, von einer ungewohnten und unwider- ſtehlichen Empfindung uͤberwunden, in einem An- genblik, wo ſie zum erſtenmal zu lieben und geliebt zu werden glaubte, nicht mehr Meiſterin von ihren Be- wegungen war. Sie ſchlug ihre ſchoͤnen Augen auf, Augen die in den wolluͤſtigen Thraͤnen der Liebe ſchwammen, und dem entzuͤkten Agathon ſein ganzes Gluͤk auf eine unendlich vollkommnere Art entdekten, als es das beredteſte Liebesgeſtaͤndnis haͤtte thun koͤn- nen. O Callias! (rief ſie endlich mit einem Ton der Stimme, der alle Sayten ſeines Herzens widerhallen machte, indem ſie, ihre ſchoͤnen Arme um ihn windend, den Gluͤkſeligſten aller Liebhaber an ihren Buſen druͤkte,) — was fuͤr ein neues Weſen giebſt du mir? Ge- nieſſe, o! genieſſe, du Liebenswuͤrdigſter unter den Sterblichen, der ganzen unbegraͤnzten Zaͤrtlichkeit, die du mir einfloͤſſeſt. Und hier, ohne den Leſer unnoͤthi- ger Weiſe damit aufzuhalten, was ſie ferner ſagte, und was er antwortete, uͤberlaſſen wir den Pinſel ei- nem Correggio, und ſchleichen uns davon. Aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/230
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/230>, abgerufen am 25.11.2024.