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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
rer Reizungen an ihm zu prüffen entschlossen war.
Eine zärtliche Weichlichkeit mußte sich vorher seiner
ganzen Seele bemeistern, und seine in Vergnügen schwim-
mende Sinnen mußten von einer süssen Unruhe und
wollüstigen Sehnsucht eingenommen werden, ehe sie es
wagen wollte, einen Versuch zu machen, der, wenn
er zu früh gemacht worden wäre, gar leicht ihren
ganzen Plau hätte vereiteln können. Zum Unglük für
unsern Helden ersparte ihr seine magische Einbildungs-
kraft die Helfte der Mühe, welche sie aus einem Ueber-
maß von Freundschaft anwenden wollte, ihm die Ver-
wandlung, die mit ihm vorgehen sollte, zu verber-
gen. Ein Lächeln seiner Göttin war genug, ihn in
Vergnügen zu zerschmelzen; ihre Blike schienen einen
überirdischen Glanz über alles auszugiessen, und ihr
Athem der ganzen Natur den Geist der Liebe einzu-
hauchen: Was müßte denn aus ihm werden, da sie
zu Vollendung ihres Sieges alles anwendete, was auch
den unempfindlichsten unter allen Menschen zu ihren
Füssen hätte legen können? Agathon wußte noch nicht,
daß sie die Laute spielte, und in der Musik eine
eben so grosse Virtuosin als in der Tanzkunst war. Die
Feste und Lustbarkeiten, in deren Erfindung er uner-
schöpflich war, um ihr den ländlichen Aufenthalt ange-
nehmer zu machen, gaben ihr Anlaß, ihn durch Ent-
dekung dieser neuen Reizungen in Erstaunung zu sezen.
Es ist billig, sagte sie zu ihm, daß ich deine Bemühun-
gen, mir Vergnügen zu machen, durch eine Erfindung
von meiner Art erwiedre. Diesen Abend will ich dir

den

Agathon.
rer Reizungen an ihm zu pruͤffen entſchloſſen war.
Eine zaͤrtliche Weichlichkeit mußte ſich vorher ſeiner
ganzen Seele bemeiſtern, und ſeine in Vergnuͤgen ſchwim-
mende Sinnen mußten von einer ſuͤſſen Unruhe und
wolluͤſtigen Sehnſucht eingenommen werden, ehe ſie es
wagen wollte, einen Verſuch zu machen, der, wenn
er zu fruͤh gemacht worden waͤre, gar leicht ihren
ganzen Plau haͤtte vereiteln koͤnnen. Zum Ungluͤk fuͤr
unſern Helden erſparte ihr ſeine magiſche Einbildungs-
kraft die Helfte der Muͤhe, welche ſie aus einem Ueber-
maß von Freundſchaft anwenden wollte, ihm die Ver-
wandlung, die mit ihm vorgehen ſollte, zu verber-
gen. Ein Laͤcheln ſeiner Goͤttin war genug, ihn in
Vergnuͤgen zu zerſchmelzen; ihre Blike ſchienen einen
uͤberirdiſchen Glanz uͤber alles auszugieſſen, und ihr
Athem der ganzen Natur den Geiſt der Liebe einzu-
hauchen: Was muͤßte denn aus ihm werden, da ſie
zu Vollendung ihres Sieges alles anwendete, was auch
den unempfindlichſten unter allen Menſchen zu ihren
Fuͤſſen haͤtte legen koͤnnen? Agathon wußte noch nicht,
daß ſie die Laute ſpielte, und in der Muſik eine
eben ſo groſſe Virtuoſin als in der Tanzkunſt war. Die
Feſte und Luſtbarkeiten, in deren Erfindung er uner-
ſchoͤpflich war, um ihr den laͤndlichen Aufenthalt ange-
nehmer zu machen, gaben ihr Anlaß, ihn durch Ent-
dekung dieſer neuen Reizungen in Erſtaunung zu ſezen.
Es iſt billig, ſagte ſie zu ihm, daß ich deine Bemuͤhun-
gen, mir Vergnuͤgen zu machen, durch eine Erfindung
von meiner Art erwiedre. Dieſen Abend will ich dir

den
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[188/0210] Agathon. rer Reizungen an ihm zu pruͤffen entſchloſſen war. Eine zaͤrtliche Weichlichkeit mußte ſich vorher ſeiner ganzen Seele bemeiſtern, und ſeine in Vergnuͤgen ſchwim- mende Sinnen mußten von einer ſuͤſſen Unruhe und wolluͤſtigen Sehnſucht eingenommen werden, ehe ſie es wagen wollte, einen Verſuch zu machen, der, wenn er zu fruͤh gemacht worden waͤre, gar leicht ihren ganzen Plau haͤtte vereiteln koͤnnen. Zum Ungluͤk fuͤr unſern Helden erſparte ihr ſeine magiſche Einbildungs- kraft die Helfte der Muͤhe, welche ſie aus einem Ueber- maß von Freundſchaft anwenden wollte, ihm die Ver- wandlung, die mit ihm vorgehen ſollte, zu verber- gen. Ein Laͤcheln ſeiner Goͤttin war genug, ihn in Vergnuͤgen zu zerſchmelzen; ihre Blike ſchienen einen uͤberirdiſchen Glanz uͤber alles auszugieſſen, und ihr Athem der ganzen Natur den Geiſt der Liebe einzu- hauchen: Was muͤßte denn aus ihm werden, da ſie zu Vollendung ihres Sieges alles anwendete, was auch den unempfindlichſten unter allen Menſchen zu ihren Fuͤſſen haͤtte legen koͤnnen? Agathon wußte noch nicht, daß ſie die Laute ſpielte, und in der Muſik eine eben ſo groſſe Virtuoſin als in der Tanzkunſt war. Die Feſte und Luſtbarkeiten, in deren Erfindung er uner- ſchoͤpflich war, um ihr den laͤndlichen Aufenthalt ange- nehmer zu machen, gaben ihr Anlaß, ihn durch Ent- dekung dieſer neuen Reizungen in Erſtaunung zu ſezen. Es iſt billig, ſagte ſie zu ihm, daß ich deine Bemuͤhun- gen, mir Vergnuͤgen zu machen, durch eine Erfindung von meiner Art erwiedre. Dieſen Abend will ich dir den

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/210>, abgerufen am 22.11.2024.