Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Agathon. eine Freundin abzutreten, von der ich gewiß bin, daßdir so begegnet werden wird, wie du es verdienest. Agathon beharrte in dem Ton der Gleichgültigkeit, den er angenommen hatte, und Hippias, dem es Mühe genug kostete, die Spöttereyen zurükzuhalten, die ihm alle Augenblike auf die Lippen kamen, verließ ihn, ohne sich merken zu lassen, daß er wüßte, was er von dieser Gleichgültigkeit denken sollte. Das Betragen Agathons bey diesem Anlaß wird ihn vielleicht in den Verdacht sezen, daß er sich bewußt gewesen sey, daß es nicht richtig in seinem Herzen stehe, warum hätte er sonst nöthig gehabt sich zu verbergen? Allein man muß sich der Vorurtheile erinnern, die er wider den Sophisten gefaßt hatte, um zu sehen, daß er vollkom- men in seinem Charakter blieb, indem er Empfindun- gen vor ihm zu verbergen suchte, die einem so unver- besserlichen Anti-Platon ganz unverständlich oder voll- kommen lächerlich gewesen wären. Die Freude, wel- cher er sich überließ, so bald er sich allein sah, läßt uns keinen Zweifel übrig, daß er damals noch nicht das geringste Mißtrauen in sein Herz gesezt habe. Diese Freude war über allen Ausdruk. Liebhaber von einer gewissen Art können sich eine zu
Agathon. eine Freundin abzutreten, von der ich gewiß bin, daßdir ſo begegnet werden wird, wie du es verdieneſt. Agathon beharrte in dem Ton der Gleichguͤltigkeit, den er angenommen hatte, und Hippias, dem es Muͤhe genug koſtete, die Spoͤttereyen zuruͤkzuhalten, die ihm alle Augenblike auf die Lippen kamen, verließ ihn, ohne ſich merken zu laſſen, daß er wuͤßte, was er von dieſer Gleichguͤltigkeit denken ſollte. Das Betragen Agathons bey dieſem Anlaß wird ihn vielleicht in den Verdacht ſezen, daß er ſich bewußt geweſen ſey, daß es nicht richtig in ſeinem Herzen ſtehe, warum haͤtte er ſonſt noͤthig gehabt ſich zu verbergen? Allein man muß ſich der Vorurtheile erinnern, die er wider den Sophiſten gefaßt hatte, um zu ſehen, daß er vollkom- men in ſeinem Charakter blieb, indem er Empfindun- gen vor ihm zu verbergen ſuchte, die einem ſo unver- beſſerlichen Anti-Platon ganz unverſtaͤndlich oder voll- kommen laͤcherlich geweſen waͤren. Die Freude, wel- cher er ſich uͤberließ, ſo bald er ſich allein ſah, laͤßt uns keinen Zweifel uͤbrig, daß er damals noch nicht das geringſte Mißtrauen in ſein Herz geſezt habe. Dieſe Freude war uͤber allen Ausdruk. Liebhaber von einer gewiſſen Art koͤnnen ſich eine zu
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0196" n="174"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/> eine Freundin abzutreten, von der ich gewiß bin, daß<lb/> dir ſo begegnet werden wird, wie du es verdieneſt.<lb/> Agathon beharrte in dem Ton der Gleichguͤltigkeit, den<lb/> er angenommen hatte, und Hippias, dem es Muͤhe<lb/> genug koſtete, die Spoͤttereyen zuruͤkzuhalten, die ihm<lb/> alle Augenblike auf die Lippen kamen, verließ ihn,<lb/> ohne ſich merken zu laſſen, daß er wuͤßte, was er von<lb/> dieſer Gleichguͤltigkeit denken ſollte. Das Betragen<lb/> Agathons bey dieſem Anlaß wird ihn vielleicht in den<lb/> Verdacht ſezen, daß er ſich bewußt geweſen ſey, daß<lb/> es nicht richtig in ſeinem Herzen ſtehe, warum haͤtte<lb/> er ſonſt noͤthig gehabt ſich zu verbergen? Allein man<lb/> muß ſich der Vorurtheile erinnern, die er wider den<lb/> Sophiſten gefaßt hatte, um zu ſehen, daß er vollkom-<lb/> men in ſeinem Charakter blieb, indem er Empfindun-<lb/> gen vor ihm zu verbergen ſuchte, die einem ſo unver-<lb/> beſſerlichen Anti-Platon ganz unverſtaͤndlich oder voll-<lb/> kommen laͤcherlich geweſen waͤren. Die Freude, wel-<lb/> cher er ſich uͤberließ, ſo bald er ſich allein ſah, laͤßt<lb/> uns keinen Zweifel uͤbrig, daß er damals noch nicht<lb/> das geringſte Mißtrauen in ſein Herz geſezt habe. Dieſe<lb/> Freude war uͤber allen Ausdruk.</p><lb/> <p>Liebhaber von einer gewiſſen Art koͤnnen ſich eine<lb/> Vorſtellung davon machen, welche der allerbeſten Be-<lb/> ſchreibung werth iſt; und den uͤbrigen wuͤrde dieſe Be-<lb/> ſchreibung ohngefehr ſo viel helfen, als eine Seekarte<lb/> einem Fußgaͤnger. Die unvergleichliche Danae wieder<lb/> zu ſehen; nicht nur wieder zu ſehen, in ihrem Hauſe<lb/> <fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [174/0196]
Agathon.
eine Freundin abzutreten, von der ich gewiß bin, daß
dir ſo begegnet werden wird, wie du es verdieneſt.
Agathon beharrte in dem Ton der Gleichguͤltigkeit, den
er angenommen hatte, und Hippias, dem es Muͤhe
genug koſtete, die Spoͤttereyen zuruͤkzuhalten, die ihm
alle Augenblike auf die Lippen kamen, verließ ihn,
ohne ſich merken zu laſſen, daß er wuͤßte, was er von
dieſer Gleichguͤltigkeit denken ſollte. Das Betragen
Agathons bey dieſem Anlaß wird ihn vielleicht in den
Verdacht ſezen, daß er ſich bewußt geweſen ſey, daß
es nicht richtig in ſeinem Herzen ſtehe, warum haͤtte
er ſonſt noͤthig gehabt ſich zu verbergen? Allein man
muß ſich der Vorurtheile erinnern, die er wider den
Sophiſten gefaßt hatte, um zu ſehen, daß er vollkom-
men in ſeinem Charakter blieb, indem er Empfindun-
gen vor ihm zu verbergen ſuchte, die einem ſo unver-
beſſerlichen Anti-Platon ganz unverſtaͤndlich oder voll-
kommen laͤcherlich geweſen waͤren. Die Freude, wel-
cher er ſich uͤberließ, ſo bald er ſich allein ſah, laͤßt
uns keinen Zweifel uͤbrig, daß er damals noch nicht
das geringſte Mißtrauen in ſein Herz geſezt habe. Dieſe
Freude war uͤber allen Ausdruk.
Liebhaber von einer gewiſſen Art koͤnnen ſich eine
Vorſtellung davon machen, welche der allerbeſten Be-
ſchreibung werth iſt; und den uͤbrigen wuͤrde dieſe Be-
ſchreibung ohngefehr ſo viel helfen, als eine Seekarte
einem Fußgaͤnger. Die unvergleichliche Danae wieder
zu ſehen; nicht nur wieder zu ſehen, in ihrem Hauſe
zu
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |