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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Viertes Buch, zweytes Capitel.
Mensch wie man nicht viele sieht, schön wie Apollo,
aber geistig wie ein Zephyr; ein Mensch, der lauter
Seele ist, der dich, wie du hier bist, für eine blosse
Seele ansehen würde, und der alles auf eine geistige
Art thut, was wir andere körperlich thun. Du ver-
stehst mich ja, schöne Danae? "Nicht allzuwol; aber
deine Beschreibung gefällt mir nichts desto minder.
Du sprichst doch im Ernst?" Jn ganzem Ernst:
Wenn du Lust hast die metaphysische Liebe zu kosten, so
habe ich deinen Mann gefunden. Er ist platonischer
als Plato selbst -- denn ich denke, du könntest uns ge-
heime Nachrichten von diesem berühmten Weisen geben.
"Jch erinnere mich, antwortete Danae lächelnd, daß
er einmal mit einer meiner Freundinnen eine kleine
Zerstreuung gehabt hat, die du ihm nicht übel nehmen
mußt. Wo ist ein Geist, dem ein hübsches Mädchen
von achtzehn Jahren nicht einen Körper geben könnte?"
Du kennest meinen Mann noch nicht, erwiederte Hip-
pias; die Göttin von Paphos, ja du selbst würdest es
bey ihm so weit nicht bringen. Dn kanst ihn Tag
und Nacht um dich haben. Du kanst ihn auf alle
Proben stellen, du kanst ihn -- bey dir schlafen lassen,
Danae, ohne daß er dir Gelegenheit geben wird, nur
die mindeste kleine Ausrufung anzubringen; kurz, bey
ihm kann deine Tugend ganz ruhig einschlummern, oh-
ne jemals in Gefahr zu kommen, aufgewekt zu werden.
"Ach! nun verstehe ich dich; es verlohnte sich der Mühe
nicht, den Scherz so weit zu treiben. Jch verlange kei-
nen Liebhaber der sich nur darum an meine Seele hält,

weil

Viertes Buch, zweytes Capitel.
Menſch wie man nicht viele ſieht, ſchoͤn wie Apollo,
aber geiſtig wie ein Zephyr; ein Menſch, der lauter
Seele iſt, der dich, wie du hier biſt, fuͤr eine bloſſe
Seele anſehen wuͤrde, und der alles auf eine geiſtige
Art thut, was wir andere koͤrperlich thun. Du ver-
ſtehſt mich ja, ſchoͤne Danae? „Nicht allzuwol; aber
deine Beſchreibung gefaͤllt mir nichts deſto minder.
Du ſprichſt doch im Ernſt?„ Jn ganzem Ernſt:
Wenn du Luſt haſt die metaphyſiſche Liebe zu koſten, ſo
habe ich deinen Mann gefunden. Er iſt platoniſcher
als Plato ſelbſt ‒‒ denn ich denke, du koͤnnteſt uns ge-
heime Nachrichten von dieſem beruͤhmten Weiſen geben.
„Jch erinnere mich, antwortete Danae laͤchelnd, daß
er einmal mit einer meiner Freundinnen eine kleine
Zerſtreuung gehabt hat, die du ihm nicht uͤbel nehmen
mußt. Wo iſt ein Geiſt, dem ein huͤbſches Maͤdchen
von achtzehn Jahren nicht einen Koͤrper geben koͤnnte?„
Du kenneſt meinen Mann noch nicht, erwiederte Hip-
pias; die Goͤttin von Paphos, ja du ſelbſt wuͤrdeſt es
bey ihm ſo weit nicht bringen. Dn kanſt ihn Tag
und Nacht um dich haben. Du kanſt ihn auf alle
Proben ſtellen, du kanſt ihn ‒‒ bey dir ſchlafen laſſen,
Danae, ohne daß er dir Gelegenheit geben wird, nur
die mindeſte kleine Ausrufung anzubringen; kurz, bey
ihm kann deine Tugend ganz ruhig einſchlummern, oh-
ne jemals in Gefahr zu kommen, aufgewekt zu werden.
„Ach! nun verſtehe ich dich; es verlohnte ſich der Muͤhe
nicht, den Scherz ſo weit zu treiben. Jch verlange kei-
nen Liebhaber der ſich nur darum an meine Seele haͤlt,

weil
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[141/0163] Viertes Buch, zweytes Capitel. Menſch wie man nicht viele ſieht, ſchoͤn wie Apollo, aber geiſtig wie ein Zephyr; ein Menſch, der lauter Seele iſt, der dich, wie du hier biſt, fuͤr eine bloſſe Seele anſehen wuͤrde, und der alles auf eine geiſtige Art thut, was wir andere koͤrperlich thun. Du ver- ſtehſt mich ja, ſchoͤne Danae? „Nicht allzuwol; aber deine Beſchreibung gefaͤllt mir nichts deſto minder. Du ſprichſt doch im Ernſt?„ Jn ganzem Ernſt: Wenn du Luſt haſt die metaphyſiſche Liebe zu koſten, ſo habe ich deinen Mann gefunden. Er iſt platoniſcher als Plato ſelbſt ‒‒ denn ich denke, du koͤnnteſt uns ge- heime Nachrichten von dieſem beruͤhmten Weiſen geben. „Jch erinnere mich, antwortete Danae laͤchelnd, daß er einmal mit einer meiner Freundinnen eine kleine Zerſtreuung gehabt hat, die du ihm nicht uͤbel nehmen mußt. Wo iſt ein Geiſt, dem ein huͤbſches Maͤdchen von achtzehn Jahren nicht einen Koͤrper geben koͤnnte?„ Du kenneſt meinen Mann noch nicht, erwiederte Hip- pias; die Goͤttin von Paphos, ja du ſelbſt wuͤrdeſt es bey ihm ſo weit nicht bringen. Dn kanſt ihn Tag und Nacht um dich haben. Du kanſt ihn auf alle Proben ſtellen, du kanſt ihn ‒‒ bey dir ſchlafen laſſen, Danae, ohne daß er dir Gelegenheit geben wird, nur die mindeſte kleine Ausrufung anzubringen; kurz, bey ihm kann deine Tugend ganz ruhig einſchlummern, oh- ne jemals in Gefahr zu kommen, aufgewekt zu werden. „Ach! nun verſtehe ich dich; es verlohnte ſich der Muͤhe nicht, den Scherz ſo weit zu treiben. Jch verlange kei- nen Liebhaber der ſich nur darum an meine Seele haͤlt, weil

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/163>, abgerufen am 22.11.2024.