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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Drittes Buch, viertes Capitel.
füllen; so kann er sich das Vermögen seiner Unter-
thanen zueignen, ohne sich darum zu bekümmern, ob
es mit ihrem guten Willen geschieht. Es kostet ihn
keine Mühe, unermeßliche Reichthümer zu erwerben,
und, um mit der unmäßigsten Schwälgerey in einem
Tag Millionen zu verschwenden, hat er nichts nöthig,
als denjenigen Theil des Volkes, den seine Dürftigkeit
zu einer immerwehrenden Arbeit verdammt, an diesem
Tage fasten zu lassen. Allein ausser dem, daß dieser
Vortheil nur sehr wenigen Sterblichen zu Theil werden
kann, so ist er nicht so beschaffen, daß ein weiser
Mann ihn beneiden könnte. Das Vergnügen höret auf
Vergnügen zu seyn, so bald es über einen gewissen Grad
getrieben wird. Das Uebermaaß der sinnlichen Wol-
lüste zerstöret die Werkzeuge der Empfindung; das Ueber-
maaß der Vergnügen der Einbildungskraft, verderbt
den Geschmak des ächten Schönen, indem für unmäs-
sige Begierden nichts reizend seyn kann, was in die
Verhältnisse und das Ebenmaaß der Natur eingeschlos-
sen ist. Daher ist das gewöhnliche Schiksal der morgen-
ländischen Fürsten, die in die Mauern ihres Serails
eingekerkert sind, in den Armen der Wollust vor Er-
sättigung und Ueberdruß umzukommen; indessen, daß die
süssesten Gerüche von Arabien vergeblich für sie düften, daß
die geistigen Weine ihnen ungekostet aus Cristallen ent-
gegenblinken, daß tausend Schönheiten, deren jede zu
Paphos einen Altar erhielte, alle ihre Reizungen, alle
ihre buhlerische Künste umsonst verschwenden, ihre
schlaffen Sinnen zu erweken, und zehen tausend Scla-

ven
G 4

Drittes Buch, viertes Capitel.
fuͤllen; ſo kann er ſich das Vermoͤgen ſeiner Unter-
thanen zueignen, ohne ſich darum zu bekuͤmmern, ob
es mit ihrem guten Willen geſchieht. Es koſtet ihn
keine Muͤhe, unermeßliche Reichthuͤmer zu erwerben,
und, um mit der unmaͤßigſten Schwaͤlgerey in einem
Tag Millionen zu verſchwenden, hat er nichts noͤthig,
als denjenigen Theil des Volkes, den ſeine Duͤrftigkeit
zu einer immerwehrenden Arbeit verdammt, an dieſem
Tage faſten zu laſſen. Allein auſſer dem, daß dieſer
Vortheil nur ſehr wenigen Sterblichen zu Theil werden
kann, ſo iſt er nicht ſo beſchaffen, daß ein weiſer
Mann ihn beneiden koͤnnte. Das Vergnuͤgen hoͤret auf
Vergnuͤgen zu ſeyn, ſo bald es uͤber einen gewiſſen Grad
getrieben wird. Das Uebermaaß der ſinnlichen Wol-
luͤſte zerſtoͤret die Werkzeuge der Empfindung; das Ueber-
maaß der Vergnuͤgen der Einbildungskraft, verderbt
den Geſchmak des aͤchten Schoͤnen, indem fuͤr unmaͤſ-
ſige Begierden nichts reizend ſeyn kann, was in die
Verhaͤltniſſe und das Ebenmaaß der Natur eingeſchloſ-
ſen iſt. Daher iſt das gewoͤhnliche Schikſal der morgen-
laͤndiſchen Fuͤrſten, die in die Mauern ihres Serails
eingekerkert ſind, in den Armen der Wolluſt vor Er-
ſaͤttigung und Ueberdruß umzukommen; indeſſen, daß die
ſuͤſſeſten Geruͤche von Arabien vergeblich fuͤr ſie duͤften, daß
die geiſtigen Weine ihnen ungekoſtet aus Criſtallen ent-
gegenblinken, daß tauſend Schoͤnheiten, deren jede zu
Paphos einen Altar erhielte, alle ihre Reizungen, alle
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[103/0125] Drittes Buch, viertes Capitel. fuͤllen; ſo kann er ſich das Vermoͤgen ſeiner Unter- thanen zueignen, ohne ſich darum zu bekuͤmmern, ob es mit ihrem guten Willen geſchieht. Es koſtet ihn keine Muͤhe, unermeßliche Reichthuͤmer zu erwerben, und, um mit der unmaͤßigſten Schwaͤlgerey in einem Tag Millionen zu verſchwenden, hat er nichts noͤthig, als denjenigen Theil des Volkes, den ſeine Duͤrftigkeit zu einer immerwehrenden Arbeit verdammt, an dieſem Tage faſten zu laſſen. Allein auſſer dem, daß dieſer Vortheil nur ſehr wenigen Sterblichen zu Theil werden kann, ſo iſt er nicht ſo beſchaffen, daß ein weiſer Mann ihn beneiden koͤnnte. Das Vergnuͤgen hoͤret auf Vergnuͤgen zu ſeyn, ſo bald es uͤber einen gewiſſen Grad getrieben wird. Das Uebermaaß der ſinnlichen Wol- luͤſte zerſtoͤret die Werkzeuge der Empfindung; das Ueber- maaß der Vergnuͤgen der Einbildungskraft, verderbt den Geſchmak des aͤchten Schoͤnen, indem fuͤr unmaͤſ- ſige Begierden nichts reizend ſeyn kann, was in die Verhaͤltniſſe und das Ebenmaaß der Natur eingeſchloſ- ſen iſt. Daher iſt das gewoͤhnliche Schikſal der morgen- laͤndiſchen Fuͤrſten, die in die Mauern ihres Serails eingekerkert ſind, in den Armen der Wolluſt vor Er- ſaͤttigung und Ueberdruß umzukommen; indeſſen, daß die ſuͤſſeſten Geruͤche von Arabien vergeblich fuͤr ſie duͤften, daß die geiſtigen Weine ihnen ungekoſtet aus Criſtallen ent- gegenblinken, daß tauſend Schoͤnheiten, deren jede zu Paphos einen Altar erhielte, alle ihre Reizungen, alle ihre buhleriſche Kuͤnſte umſonſt verſchwenden, ihre ſchlaffen Sinnen zu erweken, und zehen tauſend Scla- ven G 4

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/125>, abgerufen am 27.11.2024.