Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Agathon. bildungskraft, die fich beschäftiget schönere Schönheiten,und angenehmere Vergnügungen zu erfinden als die Na- tur hat; einer Einbildungskraft, ohne welche weder Homere, noch Alcamene, noch Polygnote wären; wel- che gemacht ist unsre Ergözungen zu verschönern, aber nicht die Führerin unsers Lebens zu seyn. Um weise zu seyn, hast du nichts nöthig als die gesunde Vernunft an die Stelle dieser begeisterten Zauberin, und die kalte Ueberlegung an den Plaz eines sehr oft betrüg- lichen Gefühls zu sezen. Bilde dir auf etliche Augen- blik' ein, daß du den Weg zur Glükseligkeit erst suchen müssest; frage die Natur, höre ihre Antwort, und fol- ge dem Pfade, den sie dir vorzeichnen wird. Zweytes Capitel. Theorie der angenehmen Empfindungen. Und wen anders als die Natur können wir fragen, weiter,
Agathon. bildungskraft, die fich beſchaͤftiget ſchoͤnere Schoͤnheiten,und angenehmere Vergnuͤgungen zu erfinden als die Na- tur hat; einer Einbildungskraft, ohne welche weder Homere, noch Alcamene, noch Polygnote waͤren; wel- che gemacht iſt unſre Ergoͤzungen zu verſchoͤnern, aber nicht die Fuͤhrerin unſers Lebens zu ſeyn. Um weiſe zu ſeyn, haſt du nichts noͤthig als die geſunde Vernunft an die Stelle dieſer begeiſterten Zauberin, und die kalte Ueberlegung an den Plaz eines ſehr oft betruͤg- lichen Gefuͤhls zu ſezen. Bilde dir auf etliche Augen- blik’ ein, daß du den Weg zur Gluͤkſeligkeit erſt ſuchen muͤſſeſt; frage die Natur, hoͤre ihre Antwort, und fol- ge dem Pfade, den ſie dir vorzeichnen wird. Zweytes Capitel. Theorie der angenehmen Empfindungen. Und wen anders als die Natur koͤnnen wir fragen, weiter,
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Agathon.
bildungskraft, die fich beſchaͤftiget ſchoͤnere Schoͤnheiten,
und angenehmere Vergnuͤgungen zu erfinden als die Na-
tur hat; einer Einbildungskraft, ohne welche weder
Homere, noch Alcamene, noch Polygnote waͤren; wel-
che gemacht iſt unſre Ergoͤzungen zu verſchoͤnern, aber
nicht die Fuͤhrerin unſers Lebens zu ſeyn. Um weiſe
zu ſeyn, haſt du nichts noͤthig als die geſunde Vernunft
an die Stelle dieſer begeiſterten Zauberin, und die
kalte Ueberlegung an den Plaz eines ſehr oft betruͤg-
lichen Gefuͤhls zu ſezen. Bilde dir auf etliche Augen-
blik’ ein, daß du den Weg zur Gluͤkſeligkeit erſt ſuchen
muͤſſeſt; frage die Natur, hoͤre ihre Antwort, und fol-
ge dem Pfade, den ſie dir vorzeichnen wird.
Zweytes Capitel.
Theorie der angenehmen Empfindungen.
Und wen anders als die Natur koͤnnen wir fragen,
um zu wiſſen wie wir leben ſollen, um wohl zu leben?
„Die Goͤtter?„ Wenn eine Gottheit iſt, ſo iſt ſie ent-
weder die Natur ſelbſt, oder die Urheberin der Natur;
in beyden Faͤllen iſt die Stimme der Natur die Stim-
me der Gottheit. Sie iſt die allgemeine Lehrerin al-
ler Weſen; ſie lehrt jedes Thier vom Elephanten bis
zum Jnſect, was ſeiner beſondern Verfaſſung gut oder
ſchaͤdlich iſt. Um ſo gluͤklich zu ſeyn als es dieſe in-
nerliche Einrichtung erlaubt, braucht das Thier nichts
weiter,
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