Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ein Mädchen trat aus dem Walde in einem schwärzen langen Rocke; in den offenen Haaren spielte der Wind, die Schuhe und den Strohhut trug sie unter dem Arm und ging, auf den Rosenkranz schauend, an den Männern langsam vorüber. Der Jüngling sprang auf und wollte Ammrey aufhalten. Sie aber wendete sich um, sah ihn lange an aus den tiefen blauen Augen und winkte ihm, stille zu stehen. Er gehorchte; lautlos stand er und sah sie im Holz verschwinden; aber sein Herz schrie in bitterer Noth. Es war wieder ein Morgen um den andern Tag, der ging stundenweit vom Grenzthal auf, wo sich der Schwarzwald gegen den Rhein öffnet. Es war sonntäglich still in dem grünen Thal; die Reben blühten, Kastanien und Nußbäume hingen schattig weit über den Weg, auf welchem ein Mädchen dem Dorfe zuwanderte. Es mußte die Nacht hindurch gegangen sein, denn die Locken waren thaufeucht, das Angesicht blaß und die verweinten Augen erloschen. Es sah nicht rechts, noch links; im Herzen hatte es eine todte Welt. Darum hörte es auch nicht auf das Lied, das sich Mädchen und Buben vorsangen, die unterm Lindenbaum an der Sägmühle auf dem frisch zugeschnittenen Balken saßen und sich herzten und küßten. Ein Mädchen trat aus dem Walde in einem schwärzen langen Rocke; in den offenen Haaren spielte der Wind, die Schuhe und den Strohhut trug sie unter dem Arm und ging, auf den Rosenkranz schauend, an den Männern langsam vorüber. Der Jüngling sprang auf und wollte Ammrey aufhalten. Sie aber wendete sich um, sah ihn lange an aus den tiefen blauen Augen und winkte ihm, stille zu stehen. Er gehorchte; lautlos stand er und sah sie im Holz verschwinden; aber sein Herz schrie in bitterer Noth. Es war wieder ein Morgen um den andern Tag, der ging stundenweit vom Grenzthal auf, wo sich der Schwarzwald gegen den Rhein öffnet. Es war sonntäglich still in dem grünen Thal; die Reben blühten, Kastanien und Nußbäume hingen schattig weit über den Weg, auf welchem ein Mädchen dem Dorfe zuwanderte. Es mußte die Nacht hindurch gegangen sein, denn die Locken waren thaufeucht, das Angesicht blaß und die verweinten Augen erloschen. Es sah nicht rechts, noch links; im Herzen hatte es eine todte Welt. Darum hörte es auch nicht auf das Lied, das sich Mädchen und Buben vorsangen, die unterm Lindenbaum an der Sägmühle auf dem frisch zugeschnittenen Balken saßen und sich herzten und küßten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0073"/> <p>Ein Mädchen trat aus dem Walde in einem schwärzen langen Rocke; in den offenen Haaren spielte der Wind, die Schuhe und den Strohhut trug sie unter dem Arm und ging, auf den Rosenkranz schauend, an den Männern langsam vorüber.</p><lb/> <p>Der Jüngling sprang auf und wollte Ammrey aufhalten. Sie aber wendete sich um, sah ihn lange an aus den tiefen blauen Augen und winkte ihm, stille zu stehen.</p><lb/> <p>Er gehorchte; lautlos stand er und sah sie im Holz verschwinden; aber sein Herz schrie in bitterer Noth.</p><lb/> </div> <div n="2"> <p>Es war wieder ein Morgen um den andern Tag, der ging stundenweit vom Grenzthal auf, wo sich der Schwarzwald gegen den Rhein öffnet.</p><lb/> <p>Es war sonntäglich still in dem grünen Thal; die Reben blühten, Kastanien und Nußbäume hingen schattig weit über den Weg, auf welchem ein Mädchen dem Dorfe zuwanderte. Es mußte die Nacht hindurch gegangen sein, denn die Locken waren thaufeucht, das Angesicht blaß und die verweinten Augen erloschen. Es sah nicht rechts, noch links; im Herzen hatte es eine todte Welt.</p><lb/> <p>Darum hörte es auch nicht auf das Lied, das sich Mädchen und Buben vorsangen, die unterm Lindenbaum an der Sägmühle auf dem frisch zugeschnittenen Balken saßen und sich herzten und küßten.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
Ein Mädchen trat aus dem Walde in einem schwärzen langen Rocke; in den offenen Haaren spielte der Wind, die Schuhe und den Strohhut trug sie unter dem Arm und ging, auf den Rosenkranz schauend, an den Männern langsam vorüber.
Der Jüngling sprang auf und wollte Ammrey aufhalten. Sie aber wendete sich um, sah ihn lange an aus den tiefen blauen Augen und winkte ihm, stille zu stehen.
Er gehorchte; lautlos stand er und sah sie im Holz verschwinden; aber sein Herz schrie in bitterer Noth.
Es war wieder ein Morgen um den andern Tag, der ging stundenweit vom Grenzthal auf, wo sich der Schwarzwald gegen den Rhein öffnet.
Es war sonntäglich still in dem grünen Thal; die Reben blühten, Kastanien und Nußbäume hingen schattig weit über den Weg, auf welchem ein Mädchen dem Dorfe zuwanderte. Es mußte die Nacht hindurch gegangen sein, denn die Locken waren thaufeucht, das Angesicht blaß und die verweinten Augen erloschen. Es sah nicht rechts, noch links; im Herzen hatte es eine todte Welt.
Darum hörte es auch nicht auf das Lied, das sich Mädchen und Buben vorsangen, die unterm Lindenbaum an der Sägmühle auf dem frisch zugeschnittenen Balken saßen und sich herzten und küßten.
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Zitationshilfe: | Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/widmann_muehle_1910/73>, abgerufen am 25.07.2024. |