Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ihre Blumen, betete und legte sich zur Ruhe zwischen den feinen, selbstgesponnenen Linnen. Der Wind, der Wind Hat's schöne Müllerskind Auf's Königs Schloß getragen, Sie sitzet jetzt Am goldnen Rad. In der Wiege liegt Ein holder Knab'; Sie singt ihm: Eyapopei, Schlaf, süßes Kindle mein, Und spinnt den seidenen Faden, Und spinnt den seidenen Faden -- sang sie vor sich hin, bis der sanfte Schlaf über sie kam. Otto war indessen nach dem breiten Thal hinabgestiegen und trat den Hohlweg herunter aus dem Walde hervor bei einer hochgewölbten Steinbrücke, die über das Flüßchen führt, welches etwa zehn Stunden nördlicher in den Neckar mündet. Unterhalb des Bogens ist das Wasser durch einen Damm geschwellt, daß es eine ansehnliche Breite und Tiefe hat. Rauhgeschnittene starke Tannenstämme und eine Menge Scheitholz schwammen darauf; die Flößer, bis am Gurt im Wasser, banden gerade die letzten Stämme des Gestörs mit Weiden zusammen, um morgen zu Thal zu fahren, während andere, die schon fertig waren, mit einer Magd scherzten, welche die Laterne ihre Blumen, betete und legte sich zur Ruhe zwischen den feinen, selbstgesponnenen Linnen. Der Wind, der Wind Hat's schöne Müllerskind Auf's Königs Schloß getragen, Sie sitzet jetzt Am goldnen Rad. In der Wiege liegt Ein holder Knab'; Sie singt ihm: Eyapopei, Schlaf, süßes Kindle mein, Und spinnt den seidenen Faden, Und spinnt den seidenen Faden — sang sie vor sich hin, bis der sanfte Schlaf über sie kam. Otto war indessen nach dem breiten Thal hinabgestiegen und trat den Hohlweg herunter aus dem Walde hervor bei einer hochgewölbten Steinbrücke, die über das Flüßchen führt, welches etwa zehn Stunden nördlicher in den Neckar mündet. Unterhalb des Bogens ist das Wasser durch einen Damm geschwellt, daß es eine ansehnliche Breite und Tiefe hat. Rauhgeschnittene starke Tannenstämme und eine Menge Scheitholz schwammen darauf; die Flößer, bis am Gurt im Wasser, banden gerade die letzten Stämme des Gestörs mit Weiden zusammen, um morgen zu Thal zu fahren, während andere, die schon fertig waren, mit einer Magd scherzten, welche die Laterne <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0051"/> ihre Blumen, betete und legte sich zur Ruhe zwischen den feinen, selbstgesponnenen Linnen.</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Der Wind, der Wind</l> <l>Hat's schöne Müllerskind</l> <l>Auf's Königs Schloß getragen,</l> <l>Sie sitzet jetzt</l> <l>Am goldnen Rad.</l> <l>In der Wiege liegt</l> <l>Ein holder Knab';</l> <l>Sie singt ihm: Eyapopei,</l> <l>Schlaf, süßes Kindle mein,</l> <l>Und spinnt den seidenen Faden,</l> <l>Und spinnt den seidenen Faden —</l> </lg> <p>sang sie vor sich hin, bis der sanfte Schlaf über sie kam.</p><lb/> <p>Otto war indessen nach dem breiten Thal hinabgestiegen und trat den Hohlweg herunter aus dem Walde hervor bei einer hochgewölbten Steinbrücke, die über das Flüßchen führt, welches etwa zehn Stunden nördlicher in den Neckar mündet.</p><lb/> <p>Unterhalb des Bogens ist das Wasser durch einen Damm geschwellt, daß es eine ansehnliche Breite und Tiefe hat. Rauhgeschnittene starke Tannenstämme und eine Menge Scheitholz schwammen darauf; die Flößer, bis am Gurt im Wasser, banden gerade die letzten Stämme des Gestörs mit Weiden zusammen, um morgen zu Thal zu fahren, während andere, die schon fertig waren, mit einer Magd scherzten, welche die Laterne<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
ihre Blumen, betete und legte sich zur Ruhe zwischen den feinen, selbstgesponnenen Linnen.
Der Wind, der Wind Hat's schöne Müllerskind Auf's Königs Schloß getragen, Sie sitzet jetzt Am goldnen Rad. In der Wiege liegt Ein holder Knab'; Sie singt ihm: Eyapopei, Schlaf, süßes Kindle mein, Und spinnt den seidenen Faden, Und spinnt den seidenen Faden —
sang sie vor sich hin, bis der sanfte Schlaf über sie kam.
Otto war indessen nach dem breiten Thal hinabgestiegen und trat den Hohlweg herunter aus dem Walde hervor bei einer hochgewölbten Steinbrücke, die über das Flüßchen führt, welches etwa zehn Stunden nördlicher in den Neckar mündet.
Unterhalb des Bogens ist das Wasser durch einen Damm geschwellt, daß es eine ansehnliche Breite und Tiefe hat. Rauhgeschnittene starke Tannenstämme und eine Menge Scheitholz schwammen darauf; die Flößer, bis am Gurt im Wasser, banden gerade die letzten Stämme des Gestörs mit Weiden zusammen, um morgen zu Thal zu fahren, während andere, die schon fertig waren, mit einer Magd scherzten, welche die Laterne
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