Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Wanagischken war einmal vor Jahren ein sehr ansehnliches littauisches Dorf mit zwölf oder fünfzehn Bauernhöfen, einer Anzahl Eigenkathen, großer Feldmark, ausgedehnten Wiesen am Fluß, Torfstich in der Nähe des kurischen Haff's und beträchtlichem Antheil an der Haide gegen die russische Grenze hin, die als Weide benutzt wurde. Daß gleichwohl die dort angesessenen littauischen Bauern zu wenig Wohlstand kamen und zuletzt größtentheils ihr Erbe ganz einbüßten, lag an ihrer Wirthschaftsweise, die auch unter veränderten Verhältnissen von alten Gewohnheiten nicht lassen konnte. Wie die Großeltern gehaust hatten, als die Dorfschaft noch ungetheilt war, so ähnlich meinten auch die Enkel auf ihren separirten Grundstücken Hausen zu müssen, um sich als gute Littauer zu beweisen. Aber die Bedürfnisse waren gewachsen, baares Geld konnte nicht mehr entbehrt werden, Erbtheilungen verschuldeten den Besitz, fortwährende Pfändungsprozesse der Nachbarn untereinander verzehrten die geringen Einnahmen aus dem Verkauf von Naturalien, das Inventar Wanagischken war einmal vor Jahren ein sehr ansehnliches littauisches Dorf mit zwölf oder fünfzehn Bauernhöfen, einer Anzahl Eigenkathen, großer Feldmark, ausgedehnten Wiesen am Fluß, Torfstich in der Nähe des kurischen Haff's und beträchtlichem Antheil an der Haide gegen die russische Grenze hin, die als Weide benutzt wurde. Daß gleichwohl die dort angesessenen littauischen Bauern zu wenig Wohlstand kamen und zuletzt größtentheils ihr Erbe ganz einbüßten, lag an ihrer Wirthschaftsweise, die auch unter veränderten Verhältnissen von alten Gewohnheiten nicht lassen konnte. Wie die Großeltern gehaust hatten, als die Dorfschaft noch ungetheilt war, so ähnlich meinten auch die Enkel auf ihren separirten Grundstücken Hausen zu müssen, um sich als gute Littauer zu beweisen. Aber die Bedürfnisse waren gewachsen, baares Geld konnte nicht mehr entbehrt werden, Erbtheilungen verschuldeten den Besitz, fortwährende Pfändungsprozesse der Nachbarn untereinander verzehrten die geringen Einnahmen aus dem Verkauf von Naturalien, das Inventar <TEI> <text> <pb facs="#f0007"/> <body> <div n="1"> <p>Wanagischken war einmal vor Jahren ein sehr ansehnliches littauisches Dorf mit zwölf oder fünfzehn Bauernhöfen, einer Anzahl Eigenkathen, großer Feldmark, ausgedehnten Wiesen am Fluß, Torfstich in der Nähe des kurischen Haff's und beträchtlichem Antheil an der Haide gegen die russische Grenze hin, die als Weide benutzt wurde. Daß gleichwohl die dort angesessenen littauischen Bauern zu wenig Wohlstand kamen und zuletzt größtentheils ihr Erbe ganz einbüßten, lag an ihrer Wirthschaftsweise, die auch unter veränderten Verhältnissen von alten Gewohnheiten nicht lassen konnte. Wie die Großeltern gehaust hatten, als die Dorfschaft noch ungetheilt war, so ähnlich meinten auch die Enkel auf ihren separirten Grundstücken Hausen zu müssen, um sich als gute Littauer zu beweisen. Aber die Bedürfnisse waren gewachsen, baares Geld konnte nicht mehr entbehrt werden, Erbtheilungen verschuldeten den Besitz, fortwährende Pfändungsprozesse der Nachbarn untereinander verzehrten die geringen Einnahmen aus dem Verkauf von Naturalien, das Inventar<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0007]
Wanagischken war einmal vor Jahren ein sehr ansehnliches littauisches Dorf mit zwölf oder fünfzehn Bauernhöfen, einer Anzahl Eigenkathen, großer Feldmark, ausgedehnten Wiesen am Fluß, Torfstich in der Nähe des kurischen Haff's und beträchtlichem Antheil an der Haide gegen die russische Grenze hin, die als Weide benutzt wurde. Daß gleichwohl die dort angesessenen littauischen Bauern zu wenig Wohlstand kamen und zuletzt größtentheils ihr Erbe ganz einbüßten, lag an ihrer Wirthschaftsweise, die auch unter veränderten Verhältnissen von alten Gewohnheiten nicht lassen konnte. Wie die Großeltern gehaust hatten, als die Dorfschaft noch ungetheilt war, so ähnlich meinten auch die Enkel auf ihren separirten Grundstücken Hausen zu müssen, um sich als gute Littauer zu beweisen. Aber die Bedürfnisse waren gewachsen, baares Geld konnte nicht mehr entbehrt werden, Erbtheilungen verschuldeten den Besitz, fortwährende Pfändungsprozesse der Nachbarn untereinander verzehrten die geringen Einnahmen aus dem Verkauf von Naturalien, das Inventar
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Zitationshilfe: | Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/7>, abgerufen am 16.02.2025. |