Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Diesmal spannte Ansas die beiden mageren Pferde an den geflickten Wagen, lud einen halben Scheffel Getreide auf und fuhr nach der einige Meilen entfernten Stadt, um einen Rechtsanwalt anzunehmen. Er glaubte bemerkt zu haben, daß der Secretär der Karalene beistehe und seine Zeugen schlecht vernehme, und sein eigener Vater, der solche Winkelzüge machte, behauptete wirklich, die Alte einmal vor einem Termin mit einem Stück Butter um dessen Wohnung herumschleichen gesehen zu haben. Der Rechtsanwalt versteht's doch noch besser, tröstete er sich, und darum die Reise. Die Karalene merkte sogleich, was er im Sinne hatte. Sie konnte freilich kein Fuhrwerk zur Fahrt erschwingen; aber als Ansas siegesfroh und mit leerem Wagen aus der Stadt zurückkehrte, kam sie ihm schon zu Fuß entgegen. Unter dem weißen Laken, das sie um Kopf und Schultern geschlagen hatte, hingen die Schwanzfedern eines Hahnes hervor. Ansas hielt erschrocken an. Wohin willst du? fragte er. -- Nach der Stadt. -- Hast du Geschäfte? -- So viel, wie du. -- Für wen ist der Hahn, den du da trägst? -- Für wen war das Getreide, das du nach der Stadt gefahren hast? -- Also du willst es auch mit dem Rechtsanwalt versuchen? Diesmal steht deine Sache schlecht. -- Der König wird mir schon beistehen. Guten Abend. -- Er sah ihr verärgert nach. Warte doch einmal! das ist ja mein Hahn. -- Sie schlug das Tuch zurück. Das lügst du! -- Was? Du willst Diesmal spannte Ansas die beiden mageren Pferde an den geflickten Wagen, lud einen halben Scheffel Getreide auf und fuhr nach der einige Meilen entfernten Stadt, um einen Rechtsanwalt anzunehmen. Er glaubte bemerkt zu haben, daß der Secretär der Karalene beistehe und seine Zeugen schlecht vernehme, und sein eigener Vater, der solche Winkelzüge machte, behauptete wirklich, die Alte einmal vor einem Termin mit einem Stück Butter um dessen Wohnung herumschleichen gesehen zu haben. Der Rechtsanwalt versteht's doch noch besser, tröstete er sich, und darum die Reise. Die Karalene merkte sogleich, was er im Sinne hatte. Sie konnte freilich kein Fuhrwerk zur Fahrt erschwingen; aber als Ansas siegesfroh und mit leerem Wagen aus der Stadt zurückkehrte, kam sie ihm schon zu Fuß entgegen. Unter dem weißen Laken, das sie um Kopf und Schultern geschlagen hatte, hingen die Schwanzfedern eines Hahnes hervor. Ansas hielt erschrocken an. Wohin willst du? fragte er. — Nach der Stadt. — Hast du Geschäfte? — So viel, wie du. — Für wen ist der Hahn, den du da trägst? — Für wen war das Getreide, das du nach der Stadt gefahren hast? — Also du willst es auch mit dem Rechtsanwalt versuchen? Diesmal steht deine Sache schlecht. — Der König wird mir schon beistehen. Guten Abend. — Er sah ihr verärgert nach. Warte doch einmal! das ist ja mein Hahn. — Sie schlug das Tuch zurück. Das lügst du! — Was? Du willst <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0027"/> <p>Diesmal spannte Ansas die beiden mageren Pferde an den geflickten Wagen, lud einen halben Scheffel Getreide auf und fuhr nach der einige Meilen entfernten Stadt, um einen Rechtsanwalt anzunehmen. Er glaubte bemerkt zu haben, daß der Secretär der Karalene beistehe und seine Zeugen schlecht vernehme, und sein eigener Vater, der solche Winkelzüge machte, behauptete wirklich, die Alte einmal vor einem Termin mit einem Stück Butter um dessen Wohnung herumschleichen gesehen zu haben. Der Rechtsanwalt versteht's doch noch besser, tröstete er sich, und darum die Reise. Die Karalene merkte sogleich, was er im Sinne hatte. Sie konnte freilich kein Fuhrwerk zur Fahrt erschwingen; aber als Ansas siegesfroh und mit leerem Wagen aus der Stadt zurückkehrte, kam sie ihm schon zu Fuß entgegen. Unter dem weißen Laken, das sie um Kopf und Schultern geschlagen hatte, hingen die Schwanzfedern eines Hahnes hervor. Ansas hielt erschrocken an. Wohin willst du? fragte er. — Nach der Stadt. — Hast du Geschäfte? — So viel, wie du. — Für wen ist der Hahn, den du da trägst? — Für wen war das Getreide, das du nach der Stadt gefahren hast? — Also du willst es auch mit dem Rechtsanwalt versuchen? Diesmal steht deine Sache schlecht. — Der König wird mir schon beistehen. Guten Abend. — Er sah ihr verärgert nach. Warte doch einmal! das ist ja mein Hahn. — Sie schlug das Tuch zurück. Das lügst du! — Was? Du willst<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0027]
Diesmal spannte Ansas die beiden mageren Pferde an den geflickten Wagen, lud einen halben Scheffel Getreide auf und fuhr nach der einige Meilen entfernten Stadt, um einen Rechtsanwalt anzunehmen. Er glaubte bemerkt zu haben, daß der Secretär der Karalene beistehe und seine Zeugen schlecht vernehme, und sein eigener Vater, der solche Winkelzüge machte, behauptete wirklich, die Alte einmal vor einem Termin mit einem Stück Butter um dessen Wohnung herumschleichen gesehen zu haben. Der Rechtsanwalt versteht's doch noch besser, tröstete er sich, und darum die Reise. Die Karalene merkte sogleich, was er im Sinne hatte. Sie konnte freilich kein Fuhrwerk zur Fahrt erschwingen; aber als Ansas siegesfroh und mit leerem Wagen aus der Stadt zurückkehrte, kam sie ihm schon zu Fuß entgegen. Unter dem weißen Laken, das sie um Kopf und Schultern geschlagen hatte, hingen die Schwanzfedern eines Hahnes hervor. Ansas hielt erschrocken an. Wohin willst du? fragte er. — Nach der Stadt. — Hast du Geschäfte? — So viel, wie du. — Für wen ist der Hahn, den du da trägst? — Für wen war das Getreide, das du nach der Stadt gefahren hast? — Also du willst es auch mit dem Rechtsanwalt versuchen? Diesmal steht deine Sache schlecht. — Der König wird mir schon beistehen. Guten Abend. — Er sah ihr verärgert nach. Warte doch einmal! das ist ja mein Hahn. — Sie schlug das Tuch zurück. Das lügst du! — Was? Du willst
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Zitationshilfe: | Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/27>, abgerufen am 16.07.2024. |