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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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bis sie erfuhren, daß vor einigen Tagen
eine schöne Europäerinn in dem Harem des
großen Königes von Persien geführt worden
sey: eine Karavane von Reisenden war dem
Zuge begegnet, und da sie unglückseliger
Weise ihm nicht ausweichen konnte, so hat-
ten sich die Evnuchen einen Weg mit dem
Schwerdte durch sie gebahnt. Das näm-
liche Schicksal betraf alle, die die Unvorsich-
tigkeit oder das Unglück hatten, sich auf
dem Wege finden zu lassen: der klügere
Theil war aus den Wohnungen, die an der
Straße lagen, geflüchtet, um nicht durch
einen unbedachtsamen Blick auf eine ver-
schleierte Schönheit das Leben zu verwirken.

Belphegor hätte gern dem großen Sohne
des Himmels für diese Barbarey den Kopf
abgeschlagen, wenn er bey der Hand gewe-
sen wäre, und machte verschiedene Anmer-
kungen in seinem Tone darüber, die bey
andern, als sklavischen erstorbnen Gemü-
thern, einen förmlichen Aufruhr veranlaßt
hätten. Wenn es aber gleich nicht diese
Wirkung that, so fühlten doch seine Zuhörer
einen gewissen Schwung in seiner Denkungs-
art und seiner Beredsamkeit, welcher sie

dunkel
E 2

bis ſie erfuhren, daß vor einigen Tagen
eine ſchoͤne Europaͤerinn in dem Harem des
großen Koͤniges von Perſien gefuͤhrt worden
ſey: eine Karavane von Reiſenden war dem
Zuge begegnet, und da ſie ungluͤckſeliger
Weiſe ihm nicht ausweichen konnte, ſo hat-
ten ſich die Evnuchen einen Weg mit dem
Schwerdte durch ſie gebahnt. Das naͤm-
liche Schickſal betraf alle, die die Unvorſich-
tigkeit oder das Ungluͤck hatten, ſich auf
dem Wege finden zu laſſen: der kluͤgere
Theil war aus den Wohnungen, die an der
Straße lagen, gefluͤchtet, um nicht durch
einen unbedachtſamen Blick auf eine ver-
ſchleierte Schoͤnheit das Leben zu verwirken.

Belphegor haͤtte gern dem großen Sohne
des Himmels fuͤr dieſe Barbarey den Kopf
abgeſchlagen, wenn er bey der Hand gewe-
ſen waͤre, und machte verſchiedene Anmer-
kungen in ſeinem Tone daruͤber, die bey
andern, als ſklaviſchen erſtorbnen Gemuͤ-
thern, einen foͤrmlichen Aufruhr veranlaßt
haͤtten. Wenn es aber gleich nicht dieſe
Wirkung that, ſo fuͤhlten doch ſeine Zuhoͤrer
einen gewiſſen Schwung in ſeiner Denkungs-
art und ſeiner Beredſamkeit, welcher ſie

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E 2
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[65/0071] bis ſie erfuhren, daß vor einigen Tagen eine ſchoͤne Europaͤerinn in dem Harem des großen Koͤniges von Perſien gefuͤhrt worden ſey: eine Karavane von Reiſenden war dem Zuge begegnet, und da ſie ungluͤckſeliger Weiſe ihm nicht ausweichen konnte, ſo hat- ten ſich die Evnuchen einen Weg mit dem Schwerdte durch ſie gebahnt. Das naͤm- liche Schickſal betraf alle, die die Unvorſich- tigkeit oder das Ungluͤck hatten, ſich auf dem Wege finden zu laſſen: der kluͤgere Theil war aus den Wohnungen, die an der Straße lagen, gefluͤchtet, um nicht durch einen unbedachtſamen Blick auf eine ver- ſchleierte Schoͤnheit das Leben zu verwirken. Belphegor haͤtte gern dem großen Sohne des Himmels fuͤr dieſe Barbarey den Kopf abgeſchlagen, wenn er bey der Hand gewe- ſen waͤre, und machte verſchiedene Anmer- kungen in ſeinem Tone daruͤber, die bey andern, als ſklaviſchen erſtorbnen Gemuͤ- thern, einen foͤrmlichen Aufruhr veranlaßt haͤtten. Wenn es aber gleich nicht dieſe Wirkung that, ſo fuͤhlten doch ſeine Zuhoͤrer einen gewiſſen Schwung in ſeiner Denkungs- art und ſeiner Beredſamkeit, welcher ſie dunkel E 2

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/71>, abgerufen am 28.11.2024.