dem fürchterlichsten Sturme des Unglücks, und ich konnte getrost hindurch gehn.
Belph. Glückliche Illusion! Wie wohl wäre mir gewesen, wenn sie mein Unmuth nicht aus meiner Seele getrieben hätte: aber mein Unglück war zu ungestüm; eine eiserne Seele hätte es kaum tragen können: und wenn ich gleich alle Fittige meiner Einbil- dungskraft ausgespannt hätte, um mich zu überreden, daß alles zu etwas gut sey, wie hätte ichs vermocht? -- Wozu konnte es gut seyn, daß die Natur die Menschen so anlegte, daß sie in dem allgemeinen Hand- gemenge auch meinen Scheitel so oft ver- wundeten? Wozu konnte das gut seyn? --
Fromal fiel ihm ins Wort: Du hast erfahren, Belphegor, daß die Menschen nicht das sind, wofür wir sie uns in dem ersten Rausche der Jugend ausgaben: keine friedlichen Geschöpfe, die vom Verlangen wohl zu thun glühn, die in Ruhe und Ein- tracht neben einander leben, sich über ihr wechselseitiges Glück freuen, und heiter, froh, zufrieden den muntern Tanz des Le- bens dahinhüpfen: Du hast sie gefunden, wie ich dir verkündigte -- eine Heerde Raub-
thiere,
dem fuͤrchterlichſten Sturme des Ungluͤcks, und ich konnte getroſt hindurch gehn.
Belph. Gluͤckliche Illuſion! Wie wohl waͤre mir geweſen, wenn ſie mein Unmuth nicht aus meiner Seele getrieben haͤtte: aber mein Ungluͤck war zu ungeſtuͤm; eine eiſerne Seele haͤtte es kaum tragen koͤnnen: und wenn ich gleich alle Fittige meiner Einbil- dungskraft ausgeſpannt haͤtte, um mich zu uͤberreden, daß alles zu etwas gut ſey, wie haͤtte ichs vermocht? — Wozu konnte es gut ſeyn, daß die Natur die Menſchen ſo anlegte, daß ſie in dem allgemeinen Hand- gemenge auch meinen Scheitel ſo oft ver- wundeten? Wozu konnte das gut ſeyn? —
Fromal fiel ihm ins Wort: Du haſt erfahren, Belphegor, daß die Menſchen nicht das ſind, wofuͤr wir ſie uns in dem erſten Rauſche der Jugend ausgaben: keine friedlichen Geſchoͤpfe, die vom Verlangen wohl zu thun gluͤhn, die in Ruhe und Ein- tracht neben einander leben, ſich uͤber ihr wechſelſeitiges Gluͤck freuen, und heiter, froh, zufrieden den muntern Tanz des Le- bens dahinhuͤpfen: Du haſt ſie gefunden, wie ich dir verkuͤndigte — eine Heerde Raub-
thiere,
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dem fuͤrchterlichſten Sturme des Ungluͤcks,
und ich konnte getroſt hindurch gehn.
Belph. Gluͤckliche Illuſion! Wie wohl
waͤre mir geweſen, wenn ſie mein Unmuth
nicht aus meiner Seele getrieben haͤtte: aber
mein Ungluͤck war zu ungeſtuͤm; eine eiſerne
Seele haͤtte es kaum tragen koͤnnen: und
wenn ich gleich alle Fittige meiner Einbil-
dungskraft ausgeſpannt haͤtte, um mich zu
uͤberreden, daß alles zu etwas gut ſey, wie
haͤtte ichs vermocht? — Wozu konnte es
gut ſeyn, daß die Natur die Menſchen ſo
anlegte, daß ſie in dem allgemeinen Hand-
gemenge auch meinen Scheitel ſo oft ver-
wundeten? Wozu konnte das gut ſeyn? —
Fromal fiel ihm ins Wort: Du haſt
erfahren, Belphegor, daß die Menſchen
nicht das ſind, wofuͤr wir ſie uns in dem
erſten Rauſche der Jugend ausgaben: keine
friedlichen Geſchoͤpfe, die vom Verlangen
wohl zu thun gluͤhn, die in Ruhe und Ein-
tracht neben einander leben, ſich uͤber ihr
wechſelſeitiges Gluͤck freuen, und heiter,
froh, zufrieden den muntern Tanz des Le-
bens dahinhuͤpfen: Du haſt ſie gefunden,
wie ich dir verkuͤndigte — eine Heerde Raub-
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/292>, abgerufen am 22.12.2024.
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