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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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entmannen, doch Bruder Paolo widersezte
sich ihrem Anschlage. Er konnte an sich
selbst abnehmen, wie schrecklich ein solcher Zu-
stand seyn müßte. Aus christlichem Mitlei-
den empfahl er seinen Mitbrüdern in einer
zierlichen Rede die Barmherzigkeit, als eine
der Kardinaltugenden, und beredete sie, mir
lieber, um ihr Gewissen vor Grausamkeit zu
bewahren, im Schlafe alle Flechsen am gan-
zen Leibe zu zerschneiden. Zum Glücke erfuhr
ich diesen schönen Plan, als er eben geschmie-
det wurde, und ehe sie ihn ausführen konn-
ten, war ich unsichtbar.

Jch änderte Land und Religion zugleich
und studirte. Siehst du, Brüderchen? nun
gieng eine neue Noth an. Der Superinten-
dent *** hatte viel Liebe für mich; er er-
hielt mich und war auf eine Versorgung für
mich bedacht. Jndessen bekam auch die Mä-
tresse o o eine kleine Liebe für mich; es lag ihr
an weiter nichts als einen Hofprediger zu ha-
ben, der ihr alles zu danken hätte und ihr
darum aus Dankbarkeit das Wort reden
müßte; in kurzem war ich Hofprediger, ohne
daß vorher jemals einer gewesen war. Nun
war alles wider mich; alles was ich sagte,

entmannen, doch Bruder Paolo widerſezte
ſich ihrem Anſchlage. Er konnte an ſich
ſelbſt abnehmen, wie ſchrecklich ein ſolcher Zu-
ſtand ſeyn muͤßte. Aus chriſtlichem Mitlei-
den empfahl er ſeinen Mitbruͤdern in einer
zierlichen Rede die Barmherzigkeit, als eine
der Kardinaltugenden, und beredete ſie, mir
lieber, um ihr Gewiſſen vor Grauſamkeit zu
bewahren, im Schlafe alle Flechſen am gan-
zen Leibe zu zerſchneiden. Zum Gluͤcke erfuhr
ich dieſen ſchoͤnen Plan, als er eben geſchmie-
det wurde, und ehe ſie ihn ausfuͤhren konn-
ten, war ich unſichtbar.

Jch aͤnderte Land und Religion zugleich
und ſtudirte. Siehſt du, Bruͤderchen? nun
gieng eine neue Noth an. Der Superinten-
dent *** hatte viel Liebe fuͤr mich; er er-
hielt mich und war auf eine Verſorgung fuͤr
mich bedacht. Jndeſſen bekam auch die Maͤ-
treſſe º º eine kleine Liebe fuͤr mich; es lag ihr
an weiter nichts als einen Hofprediger zu ha-
ben, der ihr alles zu danken haͤtte und ihr
darum aus Dankbarkeit das Wort reden
muͤßte; in kurzem war ich Hofprediger, ohne
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[62/0082] entmannen, doch Bruder Paolo widerſezte ſich ihrem Anſchlage. Er konnte an ſich ſelbſt abnehmen, wie ſchrecklich ein ſolcher Zu- ſtand ſeyn muͤßte. Aus chriſtlichem Mitlei- den empfahl er ſeinen Mitbruͤdern in einer zierlichen Rede die Barmherzigkeit, als eine der Kardinaltugenden, und beredete ſie, mir lieber, um ihr Gewiſſen vor Grauſamkeit zu bewahren, im Schlafe alle Flechſen am gan- zen Leibe zu zerſchneiden. Zum Gluͤcke erfuhr ich dieſen ſchoͤnen Plan, als er eben geſchmie- det wurde, und ehe ſie ihn ausfuͤhren konn- ten, war ich unſichtbar. Jch aͤnderte Land und Religion zugleich und ſtudirte. Siehſt du, Bruͤderchen? nun gieng eine neue Noth an. Der Superinten- dent *** hatte viel Liebe fuͤr mich; er er- hielt mich und war auf eine Verſorgung fuͤr mich bedacht. Jndeſſen bekam auch die Maͤ- treſſe º º eine kleine Liebe fuͤr mich; es lag ihr an weiter nichts als einen Hofprediger zu ha- ben, der ihr alles zu danken haͤtte und ihr darum aus Dankbarkeit das Wort reden muͤßte; in kurzem war ich Hofprediger, ohne daß vorher jemals einer geweſen war. Nun war alles wider mich; alles was ich ſagte,

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/82>, abgerufen am 24.11.2024.