und dem Beifalle der übrigen Gesetze vor- schreiben soll. Man sonderte sich auch hier in Rotten und Faktionen, auch hier waren Neid und Vorzugssucht die Waffenträger, auch hier galt es Unterdrückung und Herrsch- sucht. Es ist alles eins: nur andre Gegen- stände, andre Waffen.
Durch eine lange Reihe der Begebenheiten bildeten sich in der Gesellschaft verschiedene Stände, wurden verschiedene Lebensarten nöthig: und gleich entstund daher der große Krieg der Verachtung, dieser possirlichste und doch allgemeinste Krieg, da jeder Stand den andern herabsezt, jeder höhere den niedern verachtet, und der niedere sich durch Spott an dem höhern rächt -- dieser Verachtung, die nicht blos innerhalb der Gränzen der Ver- achtung bleibt, sondern aus den Menschen Faktionen macht, worunter jede ein einzelnes Jnteresse von den übrigen absondert. Der Mensch ist ein geselliges Thier; wenn er es ist, so ist er es nur, um sich in Rotten zu theilen, sich zu würgen, sich zu verfolgen, sich zu verachten; die Menschen mußten sich ver- einigen, um sich zu trennen, um sich unter dem Namen der Nationen, der Stände zu hassen,
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und dem Beifalle der uͤbrigen Geſetze vor- ſchreiben ſoll. Man ſonderte ſich auch hier in Rotten und Faktionen, auch hier waren Neid und Vorzugsſucht die Waffentraͤger, auch hier galt es Unterdruͤckung und Herrſch- ſucht. Es iſt alles eins: nur andre Gegen- ſtaͤnde, andre Waffen.
Durch eine lange Reihe der Begebenheiten bildeten ſich in der Geſellſchaft verſchiedene Staͤnde, wurden verſchiedene Lebensarten noͤthig: und gleich entſtund daher der große Krieg der Verachtung, dieſer poſſirlichſte und doch allgemeinſte Krieg, da jeder Stand den andern herabſezt, jeder hoͤhere den niedern verachtet, und der niedere ſich durch Spott an dem hoͤhern raͤcht — dieſer Verachtung, die nicht blos innerhalb der Graͤnzen der Ver- achtung bleibt, ſondern aus den Menſchen Faktionen macht, worunter jede ein einzelnes Jntereſſe von den uͤbrigen abſondert. Der Menſch iſt ein geſelliges Thier; wenn er es iſt, ſo iſt er es nur, um ſich in Rotten zu theilen, ſich zu wuͤrgen, ſich zu verfolgen, ſich zu verachten; die Menſchen mußten ſich ver- einigen, um ſich zu trennen, um ſich unter dem Namen der Nationen, der Staͤnde zu haſſen,
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und dem Beifalle der uͤbrigen Geſetze vor-
ſchreiben ſoll. Man ſonderte ſich auch hier
in Rotten und Faktionen, auch hier waren
Neid und Vorzugsſucht die Waffentraͤger,
auch hier galt es Unterdruͤckung und Herrſch-
ſucht. Es iſt alles eins: nur andre Gegen-
ſtaͤnde, andre Waffen.
Durch eine lange Reihe der Begebenheiten
bildeten ſich in der Geſellſchaft verſchiedene
Staͤnde, wurden verſchiedene Lebensarten
noͤthig: und gleich entſtund daher der große
Krieg der Verachtung, dieſer poſſirlichſte und
doch allgemeinſte Krieg, da jeder Stand den
andern herabſezt, jeder hoͤhere den niedern
verachtet, und der niedere ſich durch Spott
an dem hoͤhern raͤcht — dieſer Verachtung,
die nicht blos innerhalb der Graͤnzen der Ver-
achtung bleibt, ſondern aus den Menſchen
Faktionen macht, worunter jede ein einzelnes
Jntereſſe von den uͤbrigen abſondert. Der
Menſch iſt ein geſelliges Thier; wenn er es
iſt, ſo iſt er es nur, um ſich in Rotten zu
theilen, ſich zu wuͤrgen, ſich zu verfolgen, ſich
zu verachten; die Menſchen mußten ſich ver-
einigen, um ſich zu trennen, um ſich unter
dem Namen der Nationen, der Staͤnde zu haſſen,
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/235>, abgerufen am 16.02.2025.
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