Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.den mindesten Vortheil dabey; aber da ihnen doch der liebe Gott zwey Arme gegeben hatte, so wußten sie dieses Geschenk nicht besser an- zuwenden, als sich damit herumzuschlagen; und daher ermangelten sie niemals, wenn ih- nen gepfiffen wurde, auf einander loszugehn. Das Spiel gieng nun ins unendliche fort; es kam mit der Zeit so weit, daß sich der Herrscher alles, und seine Rotte nur ein Ne- bending ward, das um seines Jnteresse wil- len ohne Bedenken geschlachtet und gewürgt wurde. Einem gefiel der Fleck, den der an- dre mit seiner Rotte besaß; er nahm ihn weg, und wer ihm den Besiz streitig machte, wurde niedergesäbelt. Dieser sah, daß die Men- schenkinder in der andern Rotte hübsche Töch- ter hatten; er nahm ihnen eine gute Ladung weg, und der Stärkre besaß sie. Der Menschenverstand wurde von Tage zu den mindeſten Vortheil dabey; aber da ihnen doch der liebe Gott zwey Arme gegeben hatte, ſo wußten ſie dieſes Geſchenk nicht beſſer an- zuwenden, als ſich damit herumzuſchlagen; und daher ermangelten ſie niemals, wenn ih- nen gepfiffen wurde, auf einander loszugehn. Das Spiel gieng nun ins unendliche fort; es kam mit der Zeit ſo weit, daß ſich der Herrſcher alles, und ſeine Rotte nur ein Ne- bending ward, das um ſeines Jntereſſe wil- len ohne Bedenken geſchlachtet und gewuͤrgt wurde. Einem gefiel der Fleck, den der an- dre mit ſeiner Rotte beſaß; er nahm ihn weg, und wer ihm den Beſiz ſtreitig machte, wurde niedergeſaͤbelt. Dieſer ſah, daß die Men- ſchenkinder in der andern Rotte huͤbſche Toͤch- ter hatten; er nahm ihnen eine gute Ladung weg, und der Staͤrkre beſaß ſie. Der Menſchenverſtand wurde von Tage zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0216" n="196"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> den mindeſten Vortheil dabey; aber da ihnen<lb/> doch der liebe Gott zwey Arme gegeben hatte,<lb/> ſo wußten ſie dieſes Geſchenk nicht beſſer an-<lb/> zuwenden, als ſich damit herumzuſchlagen;<lb/> und daher ermangelten ſie niemals, wenn ih-<lb/> nen gepfiffen wurde, auf einander loszugehn.<lb/> Das Spiel gieng nun ins unendliche fort;<lb/> es kam mit der Zeit ſo weit, daß ſich der<lb/> Herrſcher alles, und ſeine Rotte nur ein Ne-<lb/> bending ward, das um ſeines Jntereſſe wil-<lb/> len ohne Bedenken geſchlachtet und gewuͤrgt<lb/> wurde. Einem gefiel der Fleck, den der an-<lb/> dre mit ſeiner Rotte beſaß; er nahm ihn weg,<lb/> und wer ihm den Beſiz ſtreitig machte, wurde<lb/> niedergeſaͤbelt. Dieſer ſah, daß die Men-<lb/> ſchenkinder in der andern Rotte huͤbſche Toͤch-<lb/> ter hatten; er nahm ihnen eine gute Ladung<lb/> weg, und der Staͤrkre beſaß ſie.</p><lb/> <p>Der Menſchenverſtand wurde von Tage zu<lb/> Tage feiner und alſo auch die Begierden. Lan-<lb/> ge Zeit waren den Sterblichen Weiber, Felder,<lb/> Huͤtten, Berge, Thaͤler, Gewalt, Herrſchaft<lb/> gut genug, ſich deswegen die Kehlen abzu-<lb/> ſchneiden: ſie zankten ſich um ein grobes <hi rendition="#fr">Et-<lb/> was</hi>, doch izt pruͤgelten ſie ſich um ein fei-<lb/> nes <hi rendition="#fr">Nichts,</hi> um eine Jdee, um — die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [196/0216]
den mindeſten Vortheil dabey; aber da ihnen
doch der liebe Gott zwey Arme gegeben hatte,
ſo wußten ſie dieſes Geſchenk nicht beſſer an-
zuwenden, als ſich damit herumzuſchlagen;
und daher ermangelten ſie niemals, wenn ih-
nen gepfiffen wurde, auf einander loszugehn.
Das Spiel gieng nun ins unendliche fort;
es kam mit der Zeit ſo weit, daß ſich der
Herrſcher alles, und ſeine Rotte nur ein Ne-
bending ward, das um ſeines Jntereſſe wil-
len ohne Bedenken geſchlachtet und gewuͤrgt
wurde. Einem gefiel der Fleck, den der an-
dre mit ſeiner Rotte beſaß; er nahm ihn weg,
und wer ihm den Beſiz ſtreitig machte, wurde
niedergeſaͤbelt. Dieſer ſah, daß die Men-
ſchenkinder in der andern Rotte huͤbſche Toͤch-
ter hatten; er nahm ihnen eine gute Ladung
weg, und der Staͤrkre beſaß ſie.
Der Menſchenverſtand wurde von Tage zu
Tage feiner und alſo auch die Begierden. Lan-
ge Zeit waren den Sterblichen Weiber, Felder,
Huͤtten, Berge, Thaͤler, Gewalt, Herrſchaft
gut genug, ſich deswegen die Kehlen abzu-
ſchneiden: ſie zankten ſich um ein grobes Et-
was, doch izt pruͤgelten ſie ſich um ein fei-
nes Nichts, um eine Jdee, um — die
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Zitationshilfe: | Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/216>, abgerufen am 16.02.2025. |