er alles verdächtig und ermunterte zur Ver- theidigung der Freiheit. Sogleich rotteten sich seine Leser zusammen; wer sie oder ihren Autor aufs Gewissen gefragt hätte, worinne ihre Freiheit gekränkt worden wäre, würde keine Antwort darauf erhalten haben: den- noch sezte das einzige Wörtchen "Freiheit" das ganze Volk in Feuer. Man schlug Pas- quille an, man warf Fenster ein, man ver- folgte diejenigen, die der Autor verhaßt ge- macht hatte, auf allen Gassen, hielt ihre Kut- schen an, sie konnten sich beinahe nicht ohne Lebensgefahr sehen lassen, man erdrückte, man zerquetschte sich, rief dem Autor ein Vi- vat, bis alle Kehlen durstig wurden, und dann zerstreute man sich in die Bierhäuser, um für die Freiheit zu saufen. Dem Manne, der sie losgehezt hatte, kam es wenig auf die Freiheit an, von der er vielleicht selbst keinen Begriff hatte: er wollte sich aus der Dunkel- heit reißen, und war ihm der entgegengesezte Weg dienlicher dazu, so schrieb er wider die Freiheit so gut als izt dafür. Doch in Eng- land bringt nun einmal der Eifer für die Freiheit empor, wie in verschiednen andern Reichen der Eifer für die Unterdrückung: ein
er alles verdaͤchtig und ermunterte zur Ver- theidigung der Freiheit. Sogleich rotteten ſich ſeine Leſer zuſammen; wer ſie oder ihren Autor aufs Gewiſſen gefragt haͤtte, worinne ihre Freiheit gekraͤnkt worden waͤre, wuͤrde keine Antwort darauf erhalten haben: den- noch ſezte das einzige Woͤrtchen „Freiheit‟ das ganze Volk in Feuer. Man ſchlug Pas- quille an, man warf Fenſter ein, man ver- folgte diejenigen, die der Autor verhaßt ge- macht hatte, auf allen Gaſſen, hielt ihre Kut- ſchen an, ſie konnten ſich beinahe nicht ohne Lebensgefahr ſehen laſſen, man erdruͤckte, man zerquetſchte ſich, rief dem Autor ein Vi- vat, bis alle Kehlen durſtig wurden, und dann zerſtreute man ſich in die Bierhaͤuſer, um fuͤr die Freiheit zu ſaufen. Dem Manne, der ſie losgehezt hatte, kam es wenig auf die Freiheit an, von der er vielleicht ſelbſt keinen Begriff hatte: er wollte ſich aus der Dunkel- heit reißen, und war ihm der entgegengeſezte Weg dienlicher dazu, ſo ſchrieb er wider die Freiheit ſo gut als izt dafuͤr. Doch in Eng- land bringt nun einmal der Eifer fuͤr die Freiheit empor, wie in verſchiednen andern Reichen der Eifer fuͤr die Unterdruͤckung: ein
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er alles verdaͤchtig und ermunterte zur Ver-
theidigung der Freiheit. Sogleich rotteten
ſich ſeine Leſer zuſammen; wer ſie oder ihren
Autor aufs Gewiſſen gefragt haͤtte, worinne
ihre Freiheit gekraͤnkt worden waͤre, wuͤrde
keine Antwort darauf erhalten haben: den-
noch ſezte das einzige Woͤrtchen „Freiheit‟
das ganze Volk in Feuer. Man ſchlug Pas-
quille an, man warf Fenſter ein, man ver-
folgte diejenigen, die der Autor verhaßt ge-
macht hatte, auf allen Gaſſen, hielt ihre Kut-
ſchen an, ſie konnten ſich beinahe nicht ohne
Lebensgefahr ſehen laſſen, man erdruͤckte,
man zerquetſchte ſich, rief dem Autor ein Vi-
vat, bis alle Kehlen durſtig wurden, und
dann zerſtreute man ſich in die Bierhaͤuſer,
um fuͤr die Freiheit zu ſaufen. Dem Manne,
der ſie losgehezt hatte, kam es wenig auf die
Freiheit an, von der er vielleicht ſelbſt keinen
Begriff hatte: er wollte ſich aus der Dunkel-
heit reißen, und war ihm der entgegengeſezte
Weg dienlicher dazu, ſo ſchrieb er wider die
Freiheit ſo gut als izt dafuͤr. Doch in Eng-
land bringt nun einmal der Eifer fuͤr die
Freiheit empor, wie in verſchiednen andern
Reichen der Eifer fuͤr die Unterdruͤckung: ein
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/188>, abgerufen am 26.11.2024.
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