mir zwanzig unglückselige Jahre wieder geben und glücklich machen? -- Nein! -- Wehe dem Unterdrückten, dem Unrecht leidenden! Seichter Trost, daß man ohne Verschul- dung leidet! Er erhält das Leben, daß es der Schmerz nicht gleich zerfrißt, um desto län- ger daran zu nagen. --
Belphegor konnte von seinem Erstaunen nicht zurückkommen, daß man in einem Lande, welches die Gesezgebung der Manieren, der Moden und Ergözlichkeiten in ganz Europa an sich gerissen hat, die Gesetze, welche das Ei- genthum, die Ehre und das Leben des Ein- wohners sichern sollen, in einer Verfassung läßt, die eine solche Unterdrückung, eine sol- che Uebersehung der Unschuld möglich macht. Die Gesetze, die Art des gerichtlichen Ver- fahrens, die Verfassung muß doch die einzige Quelle seyn, aus welchem Jhr Unglück her- floß, sagte er. Leicht bleibt der Schuldige ungestraft: tausend Umstände, ohne die menschliche Schwachheit, machen es möglich; aber wehe, wehe! wenn es möglich ist, daß der völlig Unschuldige mit dem Schuldigen verwechselt und an seiner Stelle gestraft wird!
J 3
mir zwanzig ungluͤckſelige Jahre wieder geben und gluͤcklich machen? — Nein! — Wehe dem Unterdruͤckten, dem Unrecht leidenden! Seichter Troſt, daß man ohne Verſchul- dung leidet! Er erhaͤlt das Leben, daß es der Schmerz nicht gleich zerfrißt, um deſto laͤn- ger daran zu nagen. —
Belphegor konnte von ſeinem Erſtaunen nicht zuruͤckkommen, daß man in einem Lande, welches die Geſezgebung der Manieren, der Moden und Ergoͤzlichkeiten in ganz Europa an ſich geriſſen hat, die Geſetze, welche das Ei- genthum, die Ehre und das Leben des Ein- wohners ſichern ſollen, in einer Verfaſſung laͤßt, die eine ſolche Unterdruͤckung, eine ſol- che Ueberſehung der Unſchuld moͤglich macht. Die Geſetze, die Art des gerichtlichen Ver- fahrens, die Verfaſſung muß doch die einzige Quelle ſeyn, aus welchem Jhr Ungluͤck her- floß, ſagte er. Leicht bleibt der Schuldige ungeſtraft: tauſend Umſtaͤnde, ohne die menſchliche Schwachheit, machen es moͤglich; aber wehe, wehe! wenn es moͤglich iſt, daß der voͤllig Unſchuldige mit dem Schuldigen verwechſelt und an ſeiner Stelle geſtraft wird!
J 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0153"n="133"/>
mir zwanzig ungluͤckſelige Jahre wieder geben<lb/>
und gluͤcklich machen? — Nein! — Wehe<lb/>
dem Unterdruͤckten, dem Unrecht leidenden!<lb/>
Seichter Troſt, daß man ohne Verſchul-<lb/>
dung leidet! Er erhaͤlt das Leben, daß es der<lb/>
Schmerz nicht gleich zerfrißt, um deſto laͤn-<lb/>
ger daran zu nagen. —</p><lb/><p>Belphegor konnte von ſeinem Erſtaunen<lb/>
nicht zuruͤckkommen, daß man in einem Lande,<lb/>
welches die Geſezgebung der Manieren, der<lb/>
Moden und Ergoͤzlichkeiten in ganz Europa an<lb/>ſich geriſſen hat, die Geſetze, welche das Ei-<lb/>
genthum, die Ehre und das Leben des Ein-<lb/>
wohners ſichern ſollen, in einer Verfaſſung<lb/>
laͤßt, die eine ſolche Unterdruͤckung, eine ſol-<lb/>
che Ueberſehung der Unſchuld moͤglich macht.<lb/>
Die Geſetze, die Art des gerichtlichen Ver-<lb/>
fahrens, die Verfaſſung muß doch die einzige<lb/>
Quelle ſeyn, aus welchem Jhr Ungluͤck her-<lb/>
floß, ſagte er. Leicht bleibt der Schuldige<lb/>
ungeſtraft: tauſend Umſtaͤnde, ohne die<lb/>
menſchliche Schwachheit, machen es moͤglich;<lb/>
aber wehe, wehe! wenn es moͤglich iſt, daß<lb/>
der voͤllig Unſchuldige mit dem Schuldigen<lb/>
verwechſelt und an ſeiner Stelle geſtraft wird!</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">J 3</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[133/0153]
mir zwanzig ungluͤckſelige Jahre wieder geben
und gluͤcklich machen? — Nein! — Wehe
dem Unterdruͤckten, dem Unrecht leidenden!
Seichter Troſt, daß man ohne Verſchul-
dung leidet! Er erhaͤlt das Leben, daß es der
Schmerz nicht gleich zerfrißt, um deſto laͤn-
ger daran zu nagen. —
Belphegor konnte von ſeinem Erſtaunen
nicht zuruͤckkommen, daß man in einem Lande,
welches die Geſezgebung der Manieren, der
Moden und Ergoͤzlichkeiten in ganz Europa an
ſich geriſſen hat, die Geſetze, welche das Ei-
genthum, die Ehre und das Leben des Ein-
wohners ſichern ſollen, in einer Verfaſſung
laͤßt, die eine ſolche Unterdruͤckung, eine ſol-
che Ueberſehung der Unſchuld moͤglich macht.
Die Geſetze, die Art des gerichtlichen Ver-
fahrens, die Verfaſſung muß doch die einzige
Quelle ſeyn, aus welchem Jhr Ungluͤck her-
floß, ſagte er. Leicht bleibt der Schuldige
ungeſtraft: tauſend Umſtaͤnde, ohne die
menſchliche Schwachheit, machen es moͤglich;
aber wehe, wehe! wenn es moͤglich iſt, daß
der voͤllig Unſchuldige mit dem Schuldigen
verwechſelt und an ſeiner Stelle geſtraft wird!
J 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/153>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.