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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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ersten Schritt. zu der Herrschaft über die Ot-
tomanen gethan, als er um seiner Sicherheit
willen seine ein und zwanzig Brüder, Vettern
und andre Anverwandten ermorden ließ:
alle erlagen unter ihrem Schicksale, nur die-
ser Prinz, der sich durch sein Naturell über
seine Erziehung erhoben hatte, rührte durch
seine einnehmenden Bitten den abgeschickten
Mörder, der schon den Dolch auf ihn gekehrt
hielt, daß er einen Sklaven an seiner Stelle
umbrachte und ihm im Sklavenkleide auf die
Flucht verhalf. Er kam in dem kläglichsten
Zustande vor drey Tagen an meine Thür,
bat mich ihn einzunehmen, und hatte den
edlen Muth, sich mir geradezu zu entdecken,
mit der Erklärung, daß er einen Dolch bey
sich trage, den er sich augenblicklich ins Herz
stoßen wolle, so bald er in Gefahr gerathen
werde, in die Hände seiner Feinde zu fallen.
Sie wissen, daß eine Französinn zu schwach
ist, den Bitten einer schönen Mannsperson zu
widerstehn -- Mitleid und Liebe sind die
Elemente unsers Wesens -- ich nahm ihn
auf; ich habe ihn erhalten, verborgen, so
bald die mindeste Gefahr drohte: ich verbarg
ihn bey Jhrer Ankunft in diesem Fasse. Ver-

erſten Schritt. zu der Herrſchaft uͤber die Ot-
tomanen gethan, als er um ſeiner Sicherheit
willen ſeine ein und zwanzig Bruͤder, Vettern
und andre Anverwandten ermorden ließ:
alle erlagen unter ihrem Schickſale, nur die-
ſer Prinz, der ſich durch ſein Naturell uͤber
ſeine Erziehung erhoben hatte, ruͤhrte durch
ſeine einnehmenden Bitten den abgeſchickten
Moͤrder, der ſchon den Dolch auf ihn gekehrt
hielt, daß er einen Sklaven an ſeiner Stelle
umbrachte und ihm im Sklavenkleide auf die
Flucht verhalf. Er kam in dem klaͤglichſten
Zuſtande vor drey Tagen an meine Thuͤr,
bat mich ihn einzunehmen, und hatte den
edlen Muth, ſich mir geradezu zu entdecken,
mit der Erklaͤrung, daß er einen Dolch bey
ſich trage, den er ſich augenblicklich ins Herz
ſtoßen wolle, ſo bald er in Gefahr gerathen
werde, in die Haͤnde ſeiner Feinde zu fallen.
Sie wiſſen, daß eine Franzoͤſinn zu ſchwach
iſt, den Bitten einer ſchoͤnen Mannsperſon zu
widerſtehn — Mitleid und Liebe ſind die
Elemente unſers Weſens — ich nahm ihn
auf; ich habe ihn erhalten, verborgen, ſo
bald die mindeſte Gefahr drohte: ich verbarg
ihn bey Jhrer Ankunft in dieſem Faſſe. Ver-

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[125/0145] erſten Schritt. zu der Herrſchaft uͤber die Ot- tomanen gethan, als er um ſeiner Sicherheit willen ſeine ein und zwanzig Bruͤder, Vettern und andre Anverwandten ermorden ließ: alle erlagen unter ihrem Schickſale, nur die- ſer Prinz, der ſich durch ſein Naturell uͤber ſeine Erziehung erhoben hatte, ruͤhrte durch ſeine einnehmenden Bitten den abgeſchickten Moͤrder, der ſchon den Dolch auf ihn gekehrt hielt, daß er einen Sklaven an ſeiner Stelle umbrachte und ihm im Sklavenkleide auf die Flucht verhalf. Er kam in dem klaͤglichſten Zuſtande vor drey Tagen an meine Thuͤr, bat mich ihn einzunehmen, und hatte den edlen Muth, ſich mir geradezu zu entdecken, mit der Erklaͤrung, daß er einen Dolch bey ſich trage, den er ſich augenblicklich ins Herz ſtoßen wolle, ſo bald er in Gefahr gerathen werde, in die Haͤnde ſeiner Feinde zu fallen. Sie wiſſen, daß eine Franzoͤſinn zu ſchwach iſt, den Bitten einer ſchoͤnen Mannsperſon zu widerſtehn — Mitleid und Liebe ſind die Elemente unſers Weſens — ich nahm ihn auf; ich habe ihn erhalten, verborgen, ſo bald die mindeſte Gefahr drohte: ich verbarg ihn bey Jhrer Ankunft in dieſem Faſſe. Ver-

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/145>, abgerufen am 24.11.2024.