Wetzel, Franz Xaver: Reisebegleiter für Jünglinge. Ravensburg, [1901].Künstler immer noch an derselben Arbeit zu finden. So ist es in allen Dingen. Nur wer das "Rastlos vorwärts mußt du streben, Nie ermüdet stille steh'n, Willst du die Vollendung seh'n." Die meisten müssen es sich selbst zuschreiben, Künstler immer noch an derselben Arbeit zu finden. So ist es in allen Dingen. Nur wer das „Rastlos vorwärts mußt du streben, Nie ermüdet stille steh'n, Willst du die Vollendung seh'n.“ Die meisten müssen es sich selbst zuschreiben, <TEI> <text> <body> <div n="8"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0077" xml:id="W544R3_001_1901_pb0071_0001" n="71"/> Künstler immer noch an derselben Arbeit zu finden.<lb/><q>„Sie haben wohl seit meinem letzten Besuche nichts<lb/> an der Statue gemacht?“</q> fragte er. <q>„Da irren<lb/> Sie,“</q> entgegnete der Meister. <q>„Ich habe diesen<lb/> Teil geglättet, hier etwas weggenommen, jenem Zuge<lb/> mehr Weichheit gegeben, diese Lippe ausdrucksvoller<lb/> gemacht und jene Muskel besser hervortreten lassen.“</q><lb/><q>„Ganz gut,“</q> bemerkte der Besucher, <q>„aber das sind<lb/> doch nur Kleinigkeiten.“</q> <q>„Mag sein,“</q> erwiderte<lb/> Michel Angelo; <q>„aber vergessen Sie nicht, <hi rendition="#g">daß die<lb/> Kleinigkeiten die Vollkommenheit aus-<lb/> machen, und daß die Vollkommenheit keine<lb/> Kleinigkeit ist</hi>.“</q></p> <p>So ist es in allen Dingen. Nur wer das<lb/> Kleine nicht gering schätzt, wer exakt und pünktlich<lb/> arbeitet, wer unermüdlich sich fortbildet in seinem<lb/> Berufe, der bringt es zur Tüchtigkeit, zur Voll-<lb/> kommenheit, und nur wer tüchtig ist, macht seinen<lb/> Weg durch die Welt.</p> <lg> <l rendition="#s"> <q>„Rastlos vorwärts mußt du streben,</q> </l> <l rendition="#s"> <q>Nie ermüdet stille steh'n,</q> </l> <l rendition="#s"> <q>Willst du die Vollendung seh'n.“</q> </l> </lg> <bibl rendition="#right #s">(Schiller.)</bibl> <p>Die meisten müssen es sich selbst zuschreiben,<lb/> wenn sie wochen- und monatelang keine Arbeit und<lb/> Stellung finden, wenn sie nach kurzer Zeit wieder<lb/> entlassen werden: <hi rendition="#g">es fehlt ihnen an Tüchtig-<lb/> keit. Und sie sind nicht tüchtig, weil sie<lb/> keinen rechten Fleiß, keinen Eifer, keine<lb/> Ausdauer besitzen</hi>.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [71/0077]
Künstler immer noch an derselben Arbeit zu finden.
„Sie haben wohl seit meinem letzten Besuche nichts
an der Statue gemacht?“ fragte er. „Da irren
Sie,“ entgegnete der Meister. „Ich habe diesen
Teil geglättet, hier etwas weggenommen, jenem Zuge
mehr Weichheit gegeben, diese Lippe ausdrucksvoller
gemacht und jene Muskel besser hervortreten lassen.“
„Ganz gut,“ bemerkte der Besucher, „aber das sind
doch nur Kleinigkeiten.“ „Mag sein,“ erwiderte
Michel Angelo; „aber vergessen Sie nicht, daß die
Kleinigkeiten die Vollkommenheit aus-
machen, und daß die Vollkommenheit keine
Kleinigkeit ist.“
So ist es in allen Dingen. Nur wer das
Kleine nicht gering schätzt, wer exakt und pünktlich
arbeitet, wer unermüdlich sich fortbildet in seinem
Berufe, der bringt es zur Tüchtigkeit, zur Voll-
kommenheit, und nur wer tüchtig ist, macht seinen
Weg durch die Welt.
„Rastlos vorwärts mußt du streben, Nie ermüdet stille steh'n, Willst du die Vollendung seh'n.“
(Schiller.) Die meisten müssen es sich selbst zuschreiben,
wenn sie wochen- und monatelang keine Arbeit und
Stellung finden, wenn sie nach kurzer Zeit wieder
entlassen werden: es fehlt ihnen an Tüchtig-
keit. Und sie sind nicht tüchtig, weil sie
keinen rechten Fleiß, keinen Eifer, keine
Ausdauer besitzen.
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