ihm eine ganz ausgezeichnet bezahlte Stelle in einem Londoner Handelshause zu verschaffen. Der Be- trag mußte selbstverständlich sofort entrichtet werden. In London angekommen, gingen die bei- den Herrn in ein Hotel, um zu speisen und über Nacht zu bleiben; am anderen Morgen früh wollte man das Geschäft aufsuchen. Unser "vertrauens- selige" Sohn der Schweizerberge war ganz glück- lich, so rasch in der Weltstadt einen Platz gefunden zu haben, stand am folgenden Tage ziemlich früh auf, gieng in das Gastzimmer und wartete auf seinen Begleiter. Er wartete bis 9 Uhr, bis 10 Uhr, - aber umsonst, er kam nicht. Als er sich nach dem Engländer beim Kellner erkundigte, er- klärte ihm dieser, jener Herr habe ja gestern abend schon das Hotel wieder verlassen und sei wahrschein- lich weiter gereist; es sei übrigens kein Engländer, sondern ein Deutscher. Solche Fälle wiederholen sich alle Tage.
Es ist also auf der Reise äußerste Vorsicht notwendig. Höchst selten darf man sich mit unbe- kannten Leuten näher einlassen. Man gebe weder Beruf noch Reiseziel an und lehne alle Dienste dankend ab. Auch lasse man sich in kein Hotel führen; schon mancher arglose Reisende ist dadurch ins Unglück geraten. Wer dem Handwerker- stande angehört, der gehe überhaupt nicht in die Fremde, ohne vorher in den "Katho- lischen Gesellenverein" einzutreten. Dann bekommt er ein "Wanderbüchlein", worin sich eine
ihm eine ganz ausgezeichnet bezahlte Stelle in einem Londoner Handelshause zu verschaffen. Der Be- trag mußte selbstverständlich sofort entrichtet werden. In London angekommen, gingen die bei- den Herrn in ein Hotel, um zu speisen und über Nacht zu bleiben; am anderen Morgen früh wollte man das Geschäft aufsuchen. Unser „vertrauens- selige“ Sohn der Schweizerberge war ganz glück- lich, so rasch in der Weltstadt einen Platz gefunden zu haben, stand am folgenden Tage ziemlich früh auf, gieng in das Gastzimmer und wartete auf seinen Begleiter. Er wartete bis 9 Uhr, bis 10 Uhr, – aber umsonst, er kam nicht. Als er sich nach dem Engländer beim Kellner erkundigte, er- klärte ihm dieser, jener Herr habe ja gestern abend schon das Hotel wieder verlassen und sei wahrschein- lich weiter gereist; es sei übrigens kein Engländer, sondern ein Deutscher. Solche Fälle wiederholen sich alle Tage.
Es ist also auf der Reise äußerste Vorsicht notwendig. Höchst selten darf man sich mit unbe- kannten Leuten näher einlassen. Man gebe weder Beruf noch Reiseziel an und lehne alle Dienste dankend ab. Auch lasse man sich in kein Hotel führen; schon mancher arglose Reisende ist dadurch ins Unglück geraten. Wer dem Handwerker- stande angehört, der gehe überhaupt nicht in die Fremde, ohne vorher in den „Katho- lischen Gesellenverein“ einzutreten. Dann bekommt er ein „Wanderbüchlein“, worin sich eine
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ihm eine ganz ausgezeichnet bezahlte Stelle in einem
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trag mußte selbstverständlich sofort entrichtet
werden. In London angekommen, gingen die bei-
den Herrn in ein Hotel, um zu speisen und über
Nacht zu bleiben; am anderen Morgen früh wollte
man das Geschäft aufsuchen. Unser „vertrauens-
selige“ Sohn der Schweizerberge war ganz glück-
lich, so rasch in der Weltstadt einen Platz gefunden
zu haben, stand am folgenden Tage ziemlich früh
auf, gieng in das Gastzimmer und wartete auf
seinen Begleiter. Er wartete bis 9 Uhr, bis 10
Uhr, – aber umsonst, er kam nicht. Als er sich
nach dem Engländer beim Kellner erkundigte, er-
klärte ihm dieser, jener Herr habe ja gestern abend
schon das Hotel wieder verlassen und sei wahrschein-
lich weiter gereist; es sei übrigens kein Engländer,
sondern ein Deutscher. Solche Fälle wiederholen
sich alle Tage.
Es ist also auf der Reise äußerste Vorsicht
notwendig. Höchst selten darf man sich mit unbe-
kannten Leuten näher einlassen. Man gebe weder
Beruf noch Reiseziel an und lehne alle Dienste
dankend ab. Auch lasse man sich in kein Hotel
führen; schon mancher arglose Reisende ist dadurch
ins Unglück geraten. Wer dem Handwerker-
stande angehört, der gehe überhaupt nicht
in die Fremde, ohne vorher in den „Katho-
lischen Gesellenverein“ einzutreten. Dann
bekommt er ein „Wanderbüchlein“, worin sich eine
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Wetzel, Franz Xaver: Reisebegleiter für Jünglinge. Ravensburg, [1901], S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wetzel_reisebegleiter_1901/29>, abgerufen am 16.02.2025.
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