Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wetzel, Franz Xaver: Reisebegleiter für Jünglinge. Ravensburg, [1901].

Bild:
<< vorherige Seite

Ein anderer Jüngling hatte das Schreiner-
handwerk erlernt. Mit 18 Jahren ging er nach
München. Nach etwa 2 Monaten meldete er seinen
Eltern, er habe in einer großen Schreinerei Arbeit
gefunden, aber alle seine Mitarbeiter seien Sozial-
demokraten. Sie hätten auch ihm keine Ruhe ge-
lassen, bis er dem Vereine beigetreten. Der Vater
schrieb dem Sohne, er solle diese Werkstätte ver-
lassen und sich von der Sozialdemokratie fernhalten
und in den katholischen Gesellenverein gehen. Von
da an kam keine Antwort mehr. Erst etwa zehn
Jahre später traf ein Brief aus Köln ein, worin
der Sohn um Geld bat. Er liege krank im
Spitale, schrieb er; von Gott und den Menschen
habe er keine Hilfe mehr zu erwarten. Wenn der
Vater ihm nicht helfe, so jage er sich eine Kugel
durch den Kopf. Vier Wochen später berichtete
die Spitalverwaltung den plötzlichen Hinscheid des
Sohnes.

Zahllose Jünglinge rennen ins Unglück, weil
sie viel zu früh das Elternhaus verlassen.
Darum rufen wir allen jungen Leuten zu: Wenn
ihr nicht durch die Not gezwungen seid, fortzu-
gehen, so bleibet doch daheim, bis ihr das gehörige
Alter erlangt habet. Laut Jahresbericht der "Ge-
sellschaft zur Fürsorge für die zuziehende männ-
liche Jugend in Berlin"
waren im Jahre 1900
über 23000 Jünglinge im Alter von 14 bis
21 Jahren nur nach Berlin gekommen
. Die
wenigsten davon fanden Arbeit. Die Uebrigen

Ein anderer Jüngling hatte das Schreiner-
handwerk erlernt. Mit 18 Jahren ging er nach
München. Nach etwa 2 Monaten meldete er seinen
Eltern, er habe in einer großen Schreinerei Arbeit
gefunden, aber alle seine Mitarbeiter seien Sozial-
demokraten. Sie hätten auch ihm keine Ruhe ge-
lassen, bis er dem Vereine beigetreten. Der Vater
schrieb dem Sohne, er solle diese Werkstätte ver-
lassen und sich von der Sozialdemokratie fernhalten
und in den katholischen Gesellenverein gehen. Von
da an kam keine Antwort mehr. Erst etwa zehn
Jahre später traf ein Brief aus Köln ein, worin
der Sohn um Geld bat. Er liege krank im
Spitale, schrieb er; von Gott und den Menschen
habe er keine Hilfe mehr zu erwarten. Wenn der
Vater ihm nicht helfe, so jage er sich eine Kugel
durch den Kopf. Vier Wochen später berichtete
die Spitalverwaltung den plötzlichen Hinscheid des
Sohnes.

Zahllose Jünglinge rennen ins Unglück, weil
sie viel zu früh das Elternhaus verlassen.
Darum rufen wir allen jungen Leuten zu: Wenn
ihr nicht durch die Not gezwungen seid, fortzu-
gehen, so bleibet doch daheim, bis ihr das gehörige
Alter erlangt habet. Laut Jahresbericht der „Ge-
sellschaft zur Fürsorge für die zuziehende männ-
liche Jugend in Berlin“
waren im Jahre 1900
über 23000 Jünglinge im Alter von 14 bis
21 Jahren nur nach Berlin gekommen
. Die
wenigsten davon fanden Arbeit. Die Uebrigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0013" xml:id="W544R3_001_1901_pb0007_0001" n="7"/>
        <p>Ein anderer Jüngling hatte das Schreiner-<lb/>
handwerk erlernt. Mit 18 Jahren ging er nach<lb/>
München. Nach etwa 2 Monaten meldete er seinen<lb/>
Eltern, er habe in einer großen Schreinerei Arbeit<lb/>
gefunden, aber alle seine Mitarbeiter seien Sozial-<lb/>
demokraten. Sie hätten auch ihm keine Ruhe ge-<lb/>
lassen, bis er dem Vereine beigetreten. Der Vater<lb/>
schrieb dem Sohne, er solle diese Werkstätte ver-<lb/>
lassen und sich von der Sozialdemokratie fernhalten<lb/>
und in den katholischen Gesellenverein gehen. Von<lb/>
da an kam keine Antwort mehr. Erst etwa zehn<lb/>
Jahre später traf ein Brief aus Köln ein, worin<lb/>
der Sohn um Geld bat. Er liege krank im<lb/>
Spitale, schrieb er; von Gott und den Menschen<lb/>
habe er keine Hilfe mehr zu erwarten. Wenn der<lb/>
Vater ihm nicht helfe, so jage er sich eine Kugel<lb/>
durch den Kopf. Vier Wochen später berichtete<lb/>
die Spitalverwaltung den plötzlichen Hinscheid des<lb/>
Sohnes.</p>
        <p>Zahllose Jünglinge rennen ins Unglück, weil<lb/>
sie <hi rendition="#g">viel zu früh</hi> das Elternhaus verlassen.<lb/>
Darum rufen wir allen jungen Leuten zu: Wenn<lb/>
ihr nicht durch die Not gezwungen seid, fortzu-<lb/>
gehen, so bleibet doch daheim, bis ihr das gehörige<lb/>
Alter erlangt habet. Laut Jahresbericht der <q>&#x201E;Ge-<lb/>
sellschaft zur Fürsorge für die zuziehende männ-<lb/>
liche Jugend in Berlin&#x201C;</q> waren im Jahre 1900<lb/>
über <hi rendition="#b">23000 Jünglinge im Alter von 14 bis<lb/>
21 Jahren nur nach Berlin gekommen</hi>. Die<lb/>
wenigsten davon fanden Arbeit. Die Uebrigen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0013] Ein anderer Jüngling hatte das Schreiner- handwerk erlernt. Mit 18 Jahren ging er nach München. Nach etwa 2 Monaten meldete er seinen Eltern, er habe in einer großen Schreinerei Arbeit gefunden, aber alle seine Mitarbeiter seien Sozial- demokraten. Sie hätten auch ihm keine Ruhe ge- lassen, bis er dem Vereine beigetreten. Der Vater schrieb dem Sohne, er solle diese Werkstätte ver- lassen und sich von der Sozialdemokratie fernhalten und in den katholischen Gesellenverein gehen. Von da an kam keine Antwort mehr. Erst etwa zehn Jahre später traf ein Brief aus Köln ein, worin der Sohn um Geld bat. Er liege krank im Spitale, schrieb er; von Gott und den Menschen habe er keine Hilfe mehr zu erwarten. Wenn der Vater ihm nicht helfe, so jage er sich eine Kugel durch den Kopf. Vier Wochen später berichtete die Spitalverwaltung den plötzlichen Hinscheid des Sohnes. Zahllose Jünglinge rennen ins Unglück, weil sie viel zu früh das Elternhaus verlassen. Darum rufen wir allen jungen Leuten zu: Wenn ihr nicht durch die Not gezwungen seid, fortzu- gehen, so bleibet doch daheim, bis ihr das gehörige Alter erlangt habet. Laut Jahresbericht der „Ge- sellschaft zur Fürsorge für die zuziehende männ- liche Jugend in Berlin“ waren im Jahre 1900 über 23000 Jünglinge im Alter von 14 bis 21 Jahren nur nach Berlin gekommen. Die wenigsten davon fanden Arbeit. Die Uebrigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt vom Projekt Digitization Lifecycle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.

Anmerkungen zur Transkription:

Bei der Zeichenerkennung wurde nach Vorgabe des DLC modernisiert.

In Absprache mit dem MPI wurden die folgenden Aspekte der Vorlage nicht erfasst:

  • Bogensignaturen und Kustoden
  • Kolumnentitel
  • Auf Titelblättern wurde auf die Auszeichnung der Schriftgrößenunterscheide zugunsten der Identifizierung von titleParts verzichtet.
  • Bei Textpassagen, die als Abschnittsüberschrift ausgeweisen werden können, wird auf die zusätzliche Auszeichnung des Layouts verzichtet.
  • Keine Auszeichnung der Initialbuchstaben am Kapitelanfang.

Es wurden alle Anführungszeichen übernommen und die Zitate zusätzlich mit q ausgezeichnet.

Weiche und harte Zeilentrennungen werden identisch als 002D übernommen. Der Zeilenumbruch selbst über lb ausgezeichnet.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wetzel_reisebegleiter_1901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wetzel_reisebegleiter_1901/13
Zitationshilfe: Wetzel, Franz Xaver: Reisebegleiter für Jünglinge. Ravensburg, [1901], S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wetzel_reisebegleiter_1901/13>, abgerufen am 27.11.2024.