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Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874.

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aller zugänglichen Gefässe, leidenden Gesichtsausdruck. Fortwäh-
rendes Frostgefühl, kein Fieber. Sie konnte nur mit Unterstützung
gehen, sichtlich wegen allgemeiner Schwäche und Schwindelgefühl,
schien aber das linke Bein vorwiegend zu schleppen. Im Bett
lag sie meist jammernd, tief in die Decken eingewickelt; Stuhl
und Urin liess sie ins Bett gehen.

Ihr psychischer Zustand wurde damals als Verwirrtheit, com-
plicirt mit Aphasie, angesehen. Sie antwortete völlig verkehrt
auf alle an sie gerichteten Fragen; führte auch die gegebenen
Aufträge gar nicht oder verkehrt aus, was damals als Apraxie
imponirte. (Die Wärterin glaubte, wegen ihres Mangels an Ver-
ständniss, dass sie taub wäre.) Sie schenkte übrigens ihrer Um-
gebung wenig Aufmerksamkeit, und zeigte, angemessen ihrem
schweren Krankheitsgefühl, wenig Bedürfniss sich mitzutheilen. Ihr
(spontan gebrauchter) Sprachschatz schien demnach gering im
Vergleich zu dem oben geschilderten Falle, jedoch immerhin so
bedeutend, dass an eine motorische Aphasie (s. oben) nicht ge-
dacht werden konnte. Erkannt wurde die Aphasie an dem Ver-
wechseln und Entstellen der Wörter, welche sie gebrauchte. So
sagte sie sehr oft richtig: "Ich danke recht herzlich", andere Male:
"ich danke recht geblich" etc. "Ich bin recht krank. Ach es ist
mir so kalt. Sie sind sehr ein guter Herr," sind oft gebrauchte
Redensarten. Den Arzt, den sie eben einen guten Herrn genannt
hatte, nannte sie bald darauf mein Töchtel, oder mein Sohnel,
beides in demselben Sinne.

Eine am 5. November 1873 vorgenommene Augenspiegel-
untersuchung ergab graue Arophie der rechten Papilla optica.

Die Sensibilität schien intact. Der Händedruck war beider-
seits gleich, schwach. Genauere Untersuchungen über Sensibilität
und Motilität liessen sich nicht anstellen.

Herzdämpfung nach links verbreitert, keine abnormen Geräusche.

Weder in den psychischen, noch den körperlichen Symptomen
trat irgend eine Besserung ein.

Der Tod trat nach einem langwierigen Darmkatarrh ein, zu
welchem sich in den letzten zwei Tagen Erbrechen und tiefe
Prostration gesellt hatte, am 1. December 1874.

Die von den Angehörigen erhobene Anamnese ergab, dass
sie seit 10 Jahren an Schwäche des linken Beines litt, welche sich
allmählich eingestellt hatte; die verwirrte Sprache soll plötzlich
am 2. November 1873 gekommen sein. Sonst waren die Angaben
über körperliches und geistiges Befinden mangelhaft.

aller zugänglichen Gefässe, leidenden Gesichtsausdruck. Fortwäh-
rendes Frostgefühl, kein Fieber. Sie konnte nur mit Unterstützung
gehen, sichtlich wegen allgemeiner Schwäche und Schwindelgefühl,
schien aber das linke Bein vorwiegend zu schleppen. Im Bett
lag sie meist jammernd, tief in die Decken eingewickelt; Stuhl
und Urin liess sie ins Bett gehen.

Ihr psychischer Zustand wurde damals als Verwirrtheit, com-
plicirt mit Aphasie, angesehen. Sie antwortete völlig verkehrt
auf alle an sie gerichteten Fragen; führte auch die gegebenen
Aufträge gar nicht oder verkehrt aus, was damals als Apraxie
imponirte. (Die Wärterin glaubte, wegen ihres Mangels an Ver-
ständniss, dass sie taub wäre.) Sie schenkte übrigens ihrer Um-
gebung wenig Aufmerksamkeit, und zeigte, angemessen ihrem
schweren Krankheitsgefühl, wenig Bedürfniss sich mitzutheilen. Ihr
(spontan gebrauchter) Sprachschatz schien demnach gering im
Vergleich zu dem oben geschilderten Falle, jedoch immerhin so
bedeutend, dass an eine motorische Aphasie (s. oben) nicht ge-
dacht werden konnte. Erkannt wurde die Aphasie an dem Ver-
wechseln und Entstellen der Wörter, welche sie gebrauchte. So
sagte sie sehr oft richtig: „Ich danke recht herzlich‟, andere Male:
„ich danke recht geblich‟ etc. „Ich bin recht krank. Ach es ist
mir so kalt. Sie sind sehr ein guter Herr,‟ sind oft gebrauchte
Redensarten. Den Arzt, den sie eben einen guten Herrn genannt
hatte, nannte sie bald darauf mein Töchtel, oder mein Sohnel,
beides in demselben Sinne.

Eine am 5. November 1873 vorgenommene Augenspiegel-
untersuchung ergab graue Arophie der rechten Papilla optica.

Die Sensibilität schien intact. Der Händedruck war beider-
seits gleich, schwach. Genauere Untersuchungen über Sensibilität
und Motilität liessen sich nicht anstellen.

Herzdämpfung nach links verbreitert, keine abnormen Geräusche.

Weder in den psychischen, noch den körperlichen Symptomen
trat irgend eine Besserung ein.

Der Tod trat nach einem langwierigen Darmkatarrh ein, zu
welchem sich in den letzten zwei Tagen Erbrechen und tiefe
Prostration gesellt hatte, am 1. December 1874.

Die von den Angehörigen erhobene Anamnese ergab, dass
sie seit 10 Jahren an Schwäche des linken Beines litt, welche sich
allmählich eingestellt hatte; die verwirrte Sprache soll plötzlich
am 2. November 1873 gekommen sein. Sonst waren die Angaben
über körperliches und geistiges Befinden mangelhaft.

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[44/0048] aller zugänglichen Gefässe, leidenden Gesichtsausdruck. Fortwäh- rendes Frostgefühl, kein Fieber. Sie konnte nur mit Unterstützung gehen, sichtlich wegen allgemeiner Schwäche und Schwindelgefühl, schien aber das linke Bein vorwiegend zu schleppen. Im Bett lag sie meist jammernd, tief in die Decken eingewickelt; Stuhl und Urin liess sie ins Bett gehen. Ihr psychischer Zustand wurde damals als Verwirrtheit, com- plicirt mit Aphasie, angesehen. Sie antwortete völlig verkehrt auf alle an sie gerichteten Fragen; führte auch die gegebenen Aufträge gar nicht oder verkehrt aus, was damals als Apraxie imponirte. (Die Wärterin glaubte, wegen ihres Mangels an Ver- ständniss, dass sie taub wäre.) Sie schenkte übrigens ihrer Um- gebung wenig Aufmerksamkeit, und zeigte, angemessen ihrem schweren Krankheitsgefühl, wenig Bedürfniss sich mitzutheilen. Ihr (spontan gebrauchter) Sprachschatz schien demnach gering im Vergleich zu dem oben geschilderten Falle, jedoch immerhin so bedeutend, dass an eine motorische Aphasie (s. oben) nicht ge- dacht werden konnte. Erkannt wurde die Aphasie an dem Ver- wechseln und Entstellen der Wörter, welche sie gebrauchte. So sagte sie sehr oft richtig: „Ich danke recht herzlich‟, andere Male: „ich danke recht geblich‟ etc. „Ich bin recht krank. Ach es ist mir so kalt. Sie sind sehr ein guter Herr,‟ sind oft gebrauchte Redensarten. Den Arzt, den sie eben einen guten Herrn genannt hatte, nannte sie bald darauf mein Töchtel, oder mein Sohnel, beides in demselben Sinne. Eine am 5. November 1873 vorgenommene Augenspiegel- untersuchung ergab graue Arophie der rechten Papilla optica. Die Sensibilität schien intact. Der Händedruck war beider- seits gleich, schwach. Genauere Untersuchungen über Sensibilität und Motilität liessen sich nicht anstellen. Herzdämpfung nach links verbreitert, keine abnormen Geräusche. Weder in den psychischen, noch den körperlichen Symptomen trat irgend eine Besserung ein. Der Tod trat nach einem langwierigen Darmkatarrh ein, zu welchem sich in den letzten zwei Tagen Erbrechen und tiefe Prostration gesellt hatte, am 1. December 1874. Die von den Angehörigen erhobene Anamnese ergab, dass sie seit 10 Jahren an Schwäche des linken Beines litt, welche sich allmählich eingestellt hatte; die verwirrte Sprache soll plötzlich am 2. November 1873 gekommen sein. Sonst waren die Angaben über körperliches und geistiges Befinden mangelhaft.

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Zitationshilfe: Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wernicke_symptomencomplex_1874/48>, abgerufen am 24.11.2024.