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Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874.

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Sylvii eine ockergelb verfärbte Partie, an welcher die Hirnmasse
beträchtlich erweicht schien und die Gyri sich schwer abgrenzen
liessen. Gleiche Beschaffenheit der unteren Schicht der 3. linken
Stirnwindung etc. In Folge des beschriebenen Erweichungs-
processes sind die die Insula Reilii überdeckenden Windungen
(Operculum) geschrumpft und die Insel freigelegt. An der Aussen-
fläche des rechten Hinterhauptlappens und zwar gerade an der
Spitze findet sich noch eine, etwa 8 groschengrosse, ebenfalls
ockergelb aussehende, narbig eingezogene Stelle, wo die Ober-
flächenschicht des Cortex erweicht ist."

III.

Die Casuistik der Aphasie ist, so reich sie ist, doch zur
Unterstützung irgend einer den anatomischen Verhältnissen ent-
nommenen Theorie sehr wenig verwerthbar. Das liegt einmal an
der subjectiven Auffassung, welche die meisten Beobachter ihren
Fällen entgegenbrachten. So finden wir bei den verschiedenen
Krankengeschichten, die von einem Beobachter publicirt sind, den
Hauptwerth immer auf ein bisher vielleicht noch nicht beschrie-
benes Symptom gelegt, den andern psychischen Befund vernach-
lässigt. Oder, um den eben genannten Fehler zu vermeiden, ge-
rieth man in eine möglichst weitschweifige, weil objective Be-
schreibung -- bei der dennoch gerade das Wichtigste ausgelassen
ist, weil eine exacte Untersuchung besonders psychischer Symp-
tomencomplexe einer bereits fertigen Theorie nicht entbehren
kann, welche ihr die Richtung vorschreibt. Der zweite Uebel-
stand aber ist die Mangelhaftigkeit der Sectionsbefunde. Es ist
nicht zu bezweifeln, dass die bedeutenderen Autoren über Aphasie
(wie Broca, Ogle, Hughlings, Jackson) in den Windungen und der
Faserung des Gehirnes so weit bewandert waren, dass sie selbst
eine präcise Bezeichnung der Localität zu geben vermochten.
Aber die Mehrzahl der Beobachter, welche ihnen das Material
lieferten, waren unzweifelhaft ausser Stande, authentische Gehirn-
sectionen zu machen. So war fast jeder genöthigt, ein zweifel-
haftes Material zu benützen, d. h. so viel hinzuzudeuten, dass
schliesslich doch ein allgemeiner Satz herauskam.

Aus diesen Gründen sah ich mich genöthigt, von einer ein-
gehenderen Benützung der casuistischen Literatur zu abstrahiren.
Glücklicherweise bot sich mir in den wenigen von mir selbst
beobachteten Fällen hinreichendes Material, um eine andere Art

Sylvii eine ockergelb verfärbte Partie, an welcher die Hirnmasse
beträchtlich erweicht schien und die Gyri sich schwer abgrenzen
liessen. Gleiche Beschaffenheit der unteren Schicht der 3. linken
Stirnwindung etc. In Folge des beschriebenen Erweichungs-
processes sind die die Insula Reilii überdeckenden Windungen
(Operculum) geschrumpft und die Insel freigelegt. An der Aussen-
fläche des rechten Hinterhauptlappens und zwar gerade an der
Spitze findet sich noch eine, etwa 8 groschengrosse, ebenfalls
ockergelb aussehende, narbig eingezogene Stelle, wo die Ober-
flächenschicht des Cortex erweicht ist.‟

III.

Die Casuistik der Aphasie ist, so reich sie ist, doch zur
Unterstützung irgend einer den anatomischen Verhältnissen ent-
nommenen Theorie sehr wenig verwerthbar. Das liegt einmal an
der subjectiven Auffassung, welche die meisten Beobachter ihren
Fällen entgegenbrachten. So finden wir bei den verschiedenen
Krankengeschichten, die von einem Beobachter publicirt sind, den
Hauptwerth immer auf ein bisher vielleicht noch nicht beschrie-
benes Symptom gelegt, den andern psychischen Befund vernach-
lässigt. Oder, um den eben genannten Fehler zu vermeiden, ge-
rieth man in eine möglichst weitschweifige, weil objective Be-
schreibung — bei der dennoch gerade das Wichtigste ausgelassen
ist, weil eine exacte Untersuchung besonders psychischer Symp-
tomencomplexe einer bereits fertigen Theorie nicht entbehren
kann, welche ihr die Richtung vorschreibt. Der zweite Uebel-
stand aber ist die Mangelhaftigkeit der Sectionsbefunde. Es ist
nicht zu bezweifeln, dass die bedeutenderen Autoren über Aphasie
(wie Broca, Ogle, Hughlings, Jackson) in den Windungen und der
Faserung des Gehirnes so weit bewandert waren, dass sie selbst
eine präcise Bezeichnung der Localität zu geben vermochten.
Aber die Mehrzahl der Beobachter, welche ihnen das Material
lieferten, waren unzweifelhaft ausser Stande, authentische Gehirn-
sectionen zu machen. So war fast jeder genöthigt, ein zweifel-
haftes Material zu benützen, d. h. so viel hinzuzudeuten, dass
schliesslich doch ein allgemeiner Satz herauskam.

Aus diesen Gründen sah ich mich genöthigt, von einer ein-
gehenderen Benützung der casuistischen Literatur zu abstrahiren.
Glücklicherweise bot sich mir in den wenigen von mir selbst
beobachteten Fällen hinreichendes Material, um eine andere Art

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[38/0042] Sylvii eine ockergelb verfärbte Partie, an welcher die Hirnmasse beträchtlich erweicht schien und die Gyri sich schwer abgrenzen liessen. Gleiche Beschaffenheit der unteren Schicht der 3. linken Stirnwindung etc. In Folge des beschriebenen Erweichungs- processes sind die die Insula Reilii überdeckenden Windungen (Operculum) geschrumpft und die Insel freigelegt. An der Aussen- fläche des rechten Hinterhauptlappens und zwar gerade an der Spitze findet sich noch eine, etwa 8 groschengrosse, ebenfalls ockergelb aussehende, narbig eingezogene Stelle, wo die Ober- flächenschicht des Cortex erweicht ist.‟ III. Die Casuistik der Aphasie ist, so reich sie ist, doch zur Unterstützung irgend einer den anatomischen Verhältnissen ent- nommenen Theorie sehr wenig verwerthbar. Das liegt einmal an der subjectiven Auffassung, welche die meisten Beobachter ihren Fällen entgegenbrachten. So finden wir bei den verschiedenen Krankengeschichten, die von einem Beobachter publicirt sind, den Hauptwerth immer auf ein bisher vielleicht noch nicht beschrie- benes Symptom gelegt, den andern psychischen Befund vernach- lässigt. Oder, um den eben genannten Fehler zu vermeiden, ge- rieth man in eine möglichst weitschweifige, weil objective Be- schreibung — bei der dennoch gerade das Wichtigste ausgelassen ist, weil eine exacte Untersuchung besonders psychischer Symp- tomencomplexe einer bereits fertigen Theorie nicht entbehren kann, welche ihr die Richtung vorschreibt. Der zweite Uebel- stand aber ist die Mangelhaftigkeit der Sectionsbefunde. Es ist nicht zu bezweifeln, dass die bedeutenderen Autoren über Aphasie (wie Broca, Ogle, Hughlings, Jackson) in den Windungen und der Faserung des Gehirnes so weit bewandert waren, dass sie selbst eine präcise Bezeichnung der Localität zu geben vermochten. Aber die Mehrzahl der Beobachter, welche ihnen das Material lieferten, waren unzweifelhaft ausser Stande, authentische Gehirn- sectionen zu machen. So war fast jeder genöthigt, ein zweifel- haftes Material zu benützen, d. h. so viel hinzuzudeuten, dass schliesslich doch ein allgemeiner Satz herauskam. Aus diesen Gründen sah ich mich genöthigt, von einer ein- gehenderen Benützung der casuistischen Literatur zu abstrahiren. Glücklicherweise bot sich mir in den wenigen von mir selbst beobachteten Fällen hinreichendes Material, um eine andere Art

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Zitationshilfe: Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wernicke_symptomencomplex_1874/42>, abgerufen am 21.11.2024.