Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874.sprochenen tief blödsinnig ist; der Telegraphenapparat ist in Ord- Ist nur das optische Sinnesgebiet erkrankt, und zwar die *) Alle Erfahrungen sprechen dafür, dass unsere meist doppelseitig fun- girenden Sinnesnerven Erinnerungsbilder an identische Punkte beider Hemi- sphären liefern. Auch der Ort der Klangbilder muss ebenso rechts bestehen, wie links, denn wir hören unser Leben lang mit beiden Ohren. Aber nur das linke Klangcentrum ist mit dem motorischen Sprachcentrum wirksam verknüpft, daher wahrscheinlich nur das linke Klangcentrum mit den Begriffsregionen eingeübte Bahnen aufzuweisen hat. Das rechte Klangcentrum kann aber das linke sehr bald voll ersetzen, wie aus der Krankengeschichte Adam hervor- geht. (S. unten.) **) Ein Beitrag zur Lehre von der Aphasie, Breslau 1873.
sprochenen tief blödsinnig ist; der Telegraphenapparat ist in Ord- Ist nur das optische Sinnesgebiet erkrankt, und zwar die *) Alle Erfahrungen sprechen dafür, dass unsere meist doppelseitig fun- girenden Sinnesnerven Erinnerungsbilder an identische Punkte beider Hemi- sphären liefern. Auch der Ort der Klangbilder muss ebenso rechts bestehen, wie links, denn wir hören unser Leben lang mit beiden Ohren. Aber nur das linke Klangcentrum ist mit dem motorischen Sprachcentrum wirksam verknüpft, daher wahrscheinlich nur das linke Klangcentrum mit den Begriffsregionen eingeübte Bahnen aufzuweisen hat. Das rechte Klangcentrum kann aber das linke sehr bald voll ersetzen, wie aus der Krankengeschichte Adam hervor- geht. (S. unten.) **) Ein Beitrag zur Lehre von der Aphasie, Breslau 1873.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0041" n="37"/> sprochenen tief blödsinnig ist; der Telegraphenapparat ist in Ord-<lb/> nung, nur das aufgegebene Telegramm ist unsinnig. Bei Mikro-<lb/> cephalen findet sich oft die formale Sprachfähigkeit erhalten; sie<lb/> erlernen das Sprechen, aber nicht Begriffe fassen, es kommt zur<lb/> Echolalie.</p><lb/> <p>Ist nur das optische Sinnesgebiet erkrankt, und zwar die<lb/> identischen Punkte beider Hemisphären,<note place="foot" n="*)">Alle Erfahrungen sprechen dafür, dass unsere meist doppelseitig fun-<lb/> girenden Sinnesnerven Erinnerungsbilder an identische Punkte beider Hemi-<lb/> sphären liefern. Auch der Ort der Klangbilder muss ebenso rechts bestehen,<lb/> wie links, denn wir hören unser Leben lang mit beiden Ohren. Aber nur das<lb/> linke Klangcentrum ist mit dem motorischen Sprachcentrum wirksam verknüpft,<lb/> daher wahrscheinlich nur das linke Klangcentrum mit den Begriffsregionen<lb/> eingeübte Bahnen aufzuweisen hat. Das rechte Klangcentrum kann aber das<lb/> linke sehr bald voll ersetzen, wie aus der Krankengeschichte Adam hervor-<lb/> geht. (S. unten.)</note> so würde das uns zu-<lb/> nächst interessirende Symptom eine Art der Alexie sein, welche<lb/> von der schon besprochenen wesentlich abweicht. Die Schrift-<lb/> zeichen wären dann gänzlich erloschen und könnten auch durch<lb/> Erzeugung des Klanges nicht wieder ins Bewusstsein zurückgerufen<lb/> werden; es wäre im Gegensatze zur relativen Alexie, welche nur<lb/> Folgezustand der Aphasie ist, eine absolute Alexie. Ebenso würde<lb/> Agraphie daraus erfolgen. Die Schriftzeichen besitzen aber vor<lb/> den übrigen optischen Erinnerungsbildern keinerlei Vorzug. Daher<lb/> werden auch die gewohnten Gesichtseindrücke der Umgebung,<lb/> bekannte Gegenstände, Personen, Orte nicht mehr wiedererkannt,<lb/> Dass dieses Nichtwiedererkennen bisher immer nur partiell beob-<lb/> achtet worden ist, ist jedenfalls dadurch zu erklären, dass durch<lb/> Zerstörungen in beiden Hinterhauptsschläfelappen nur diejenigen<lb/> Erinnerungsbilder ausgelöscht werden, welche beiderseits betroffen<lb/> sind, dagegen noch alle diejenigen erhalten bleiben, welche nur<lb/> in einer Hemisphäre zerstört sind. Ein Fall derart ist in der<lb/> trefflichen Dissertation von Gogol<note place="foot" n="**)">Ein Beitrag zur Lehre von der Aphasie, Breslau 1873.</note> mitgetheilt. Der Kranke biss<lb/> in die Seife, urinirte ins Waschbecken; Zirkel, Thermometer,<lb/> Krug, Streusandbüchse, einen gegenüberstehenden Thurm sah er<lb/> sich wie gänzlich fremde Dinge an. In einem früheren, zur Be-<lb/> obachtung geeigneteren Stadium der Erkrankung war bei dem-<lb/> selben Kranken nicht nur Unfähigkeit sich sprachlich auszudrücken,<lb/> sondern auch die, Gesprochenes zu verstehen, constatirt worden.<lb/> Die Section ergab (Ebstein) „bis 4 cm. nach hinten von der F.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0041]
sprochenen tief blödsinnig ist; der Telegraphenapparat ist in Ord-
nung, nur das aufgegebene Telegramm ist unsinnig. Bei Mikro-
cephalen findet sich oft die formale Sprachfähigkeit erhalten; sie
erlernen das Sprechen, aber nicht Begriffe fassen, es kommt zur
Echolalie.
Ist nur das optische Sinnesgebiet erkrankt, und zwar die
identischen Punkte beider Hemisphären, *) so würde das uns zu-
nächst interessirende Symptom eine Art der Alexie sein, welche
von der schon besprochenen wesentlich abweicht. Die Schrift-
zeichen wären dann gänzlich erloschen und könnten auch durch
Erzeugung des Klanges nicht wieder ins Bewusstsein zurückgerufen
werden; es wäre im Gegensatze zur relativen Alexie, welche nur
Folgezustand der Aphasie ist, eine absolute Alexie. Ebenso würde
Agraphie daraus erfolgen. Die Schriftzeichen besitzen aber vor
den übrigen optischen Erinnerungsbildern keinerlei Vorzug. Daher
werden auch die gewohnten Gesichtseindrücke der Umgebung,
bekannte Gegenstände, Personen, Orte nicht mehr wiedererkannt,
Dass dieses Nichtwiedererkennen bisher immer nur partiell beob-
achtet worden ist, ist jedenfalls dadurch zu erklären, dass durch
Zerstörungen in beiden Hinterhauptsschläfelappen nur diejenigen
Erinnerungsbilder ausgelöscht werden, welche beiderseits betroffen
sind, dagegen noch alle diejenigen erhalten bleiben, welche nur
in einer Hemisphäre zerstört sind. Ein Fall derart ist in der
trefflichen Dissertation von Gogol **) mitgetheilt. Der Kranke biss
in die Seife, urinirte ins Waschbecken; Zirkel, Thermometer,
Krug, Streusandbüchse, einen gegenüberstehenden Thurm sah er
sich wie gänzlich fremde Dinge an. In einem früheren, zur Be-
obachtung geeigneteren Stadium der Erkrankung war bei dem-
selben Kranken nicht nur Unfähigkeit sich sprachlich auszudrücken,
sondern auch die, Gesprochenes zu verstehen, constatirt worden.
Die Section ergab (Ebstein) „bis 4 cm. nach hinten von der F.
*) Alle Erfahrungen sprechen dafür, dass unsere meist doppelseitig fun-
girenden Sinnesnerven Erinnerungsbilder an identische Punkte beider Hemi-
sphären liefern. Auch der Ort der Klangbilder muss ebenso rechts bestehen,
wie links, denn wir hören unser Leben lang mit beiden Ohren. Aber nur das
linke Klangcentrum ist mit dem motorischen Sprachcentrum wirksam verknüpft,
daher wahrscheinlich nur das linke Klangcentrum mit den Begriffsregionen
eingeübte Bahnen aufzuweisen hat. Das rechte Klangcentrum kann aber das
linke sehr bald voll ersetzen, wie aus der Krankengeschichte Adam hervor-
geht. (S. unten.)
**) Ein Beitrag zur Lehre von der Aphasie, Breslau 1873.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |