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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner

So macht er es bei hundert anderen Gelegenheiten. Kein
Mensch drängt ihn dazu, er hat vollauf Zeit, aber er thut
es, weil er glaubt, dergleichen gehöre sich für einen tüchtigen
Mann. Auf der andern Seite kommt eine solche Anschauung
allerdings auch wieder dem Berufe selbst zu Gute und aus ihr
erklärt sich die Möglichkeit, daß Kauffarteischiffe mit so geringen
Besatzungen über See kommen und diese in kritischen Lagen oft
kaum Glaubliches leisten. Keiner verläßt sich auf den Andern;
ein Jeder thut ohne Sporn von selbst das Mögliche und arbeitet,
als sollte er das Ganze allein ausführen. Je größer die Ge-
fahr, je schwieriger die Lage, desto größer sind die Leistungen
und desto tapferer werden die Strapazen ertragen -- das ist
des echten Seemanns Art.

Unsere Reise bis in die Nähe des Aequators verlief ohne
weitere bemerkenswerthe Umstände. Wir schnitten denselben,
wie damals alle Segelschiffe, zwischen dem 17. und 18. westlichen
Längengrade von Greenwich. Jetzt geschieht dies auf Grund
hydrographischer und meteorologischer Forschungen der neueren
Zeit, 180--200 Meilen westlicher, zwischen dem 30. und 31.
Grade westlicher Länge.

Für die um das Cap der guten Hoffnung bestimmten
Schiffe ist dies zwar ein scheinbarer Umweg, aber in Wirklich-
keit ein Gewinst von durchschnittlich 14 Tagen und mehr.
Die beiden im Atlantischen Ocean wehenden Passate, der Nordost
im Norden, der Südost im Süden des Aequators, verschieben
je nach dem Stande der Sonne ihre Grenzen im Laufe des
Jahres um zwanzig bis dreißig Meilen, gehen aber nicht direct
in einander über, sondern bilden durch ihr Aufeinanderstoßen
in der Nähe der Linie, wie die Seeleute den Aequator nennen,
einen Stillgürtel. Derselbe ist an der afrikanischen Küste ziem-
lich breit, 40--50 Meilen, spitzt sich aber nach Westen kegel-
förmig zu und mißt auf 30--32 Grad Westlänge nur noch
wenige Meilen. Ehe man diese Thatsache kannte, die wir den

Werner

So macht er es bei hundert anderen Gelegenheiten. Kein
Menſch drängt ihn dazu, er hat vollauf Zeit, aber er thut
es, weil er glaubt, dergleichen gehöre ſich für einen tüchtigen
Mann. Auf der andern Seite kommt eine ſolche Anſchauung
allerdings auch wieder dem Berufe ſelbſt zu Gute und aus ihr
erklärt ſich die Möglichkeit, daß Kauffarteiſchiffe mit ſo geringen
Beſatzungen über See kommen und dieſe in kritiſchen Lagen oft
kaum Glaubliches leiſten. Keiner verläßt ſich auf den Andern;
ein Jeder thut ohne Sporn von ſelbſt das Mögliche und arbeitet,
als ſollte er das Ganze allein ausführen. Je größer die Ge-
fahr, je ſchwieriger die Lage, deſto größer ſind die Leiſtungen
und deſto tapferer werden die Strapazen ertragen — das iſt
des echten Seemanns Art.

Unſere Reiſe bis in die Nähe des Aequators verlief ohne
weitere bemerkenswerthe Umſtände. Wir ſchnitten denſelben,
wie damals alle Segelſchiffe, zwiſchen dem 17. und 18. weſtlichen
Längengrade von Greenwich. Jetzt geſchieht dies auf Grund
hydrographiſcher und meteorologiſcher Forſchungen der neueren
Zeit, 180—200 Meilen weſtlicher, zwiſchen dem 30. und 31.
Grade weſtlicher Länge.

Für die um das Cap der guten Hoffnung beſtimmten
Schiffe iſt dies zwar ein ſcheinbarer Umweg, aber in Wirklich-
keit ein Gewinſt von durchſchnittlich 14 Tagen und mehr.
Die beiden im Atlantiſchen Ocean wehenden Paſſate, der Nordoſt
im Norden, der Südoſt im Süden des Aequators, verſchieben
je nach dem Stande der Sonne ihre Grenzen im Laufe des
Jahres um zwanzig bis dreißig Meilen, gehen aber nicht direct
in einander über, ſondern bilden durch ihr Aufeinanderſtoßen
in der Nähe der Linie, wie die Seeleute den Aequator nennen,
einen Stillgürtel. Derſelbe iſt an der afrikaniſchen Küſte ziem-
lich breit, 40—50 Meilen, ſpitzt ſich aber nach Weſten kegel-
förmig zu und mißt auf 30—32 Grad Weſtlänge nur noch
wenige Meilen. Ehe man dieſe Thatſache kannte, die wir den

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[80/0092] Werner So macht er es bei hundert anderen Gelegenheiten. Kein Menſch drängt ihn dazu, er hat vollauf Zeit, aber er thut es, weil er glaubt, dergleichen gehöre ſich für einen tüchtigen Mann. Auf der andern Seite kommt eine ſolche Anſchauung allerdings auch wieder dem Berufe ſelbſt zu Gute und aus ihr erklärt ſich die Möglichkeit, daß Kauffarteiſchiffe mit ſo geringen Beſatzungen über See kommen und dieſe in kritiſchen Lagen oft kaum Glaubliches leiſten. Keiner verläßt ſich auf den Andern; ein Jeder thut ohne Sporn von ſelbſt das Mögliche und arbeitet, als ſollte er das Ganze allein ausführen. Je größer die Ge- fahr, je ſchwieriger die Lage, deſto größer ſind die Leiſtungen und deſto tapferer werden die Strapazen ertragen — das iſt des echten Seemanns Art. Unſere Reiſe bis in die Nähe des Aequators verlief ohne weitere bemerkenswerthe Umſtände. Wir ſchnitten denſelben, wie damals alle Segelſchiffe, zwiſchen dem 17. und 18. weſtlichen Längengrade von Greenwich. Jetzt geſchieht dies auf Grund hydrographiſcher und meteorologiſcher Forſchungen der neueren Zeit, 180—200 Meilen weſtlicher, zwiſchen dem 30. und 31. Grade weſtlicher Länge. Für die um das Cap der guten Hoffnung beſtimmten Schiffe iſt dies zwar ein ſcheinbarer Umweg, aber in Wirklich- keit ein Gewinſt von durchſchnittlich 14 Tagen und mehr. Die beiden im Atlantiſchen Ocean wehenden Paſſate, der Nordoſt im Norden, der Südoſt im Süden des Aequators, verſchieben je nach dem Stande der Sonne ihre Grenzen im Laufe des Jahres um zwanzig bis dreißig Meilen, gehen aber nicht direct in einander über, ſondern bilden durch ihr Aufeinanderſtoßen in der Nähe der Linie, wie die Seeleute den Aequator nennen, einen Stillgürtel. Derſelbe iſt an der afrikaniſchen Küſte ziem- lich breit, 40—50 Meilen, ſpitzt ſich aber nach Weſten kegel- förmig zu und mißt auf 30—32 Grad Weſtlänge nur noch wenige Meilen. Ehe man dieſe Thatſache kannte, die wir den

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/92>, abgerufen am 22.11.2024.