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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
Gefangenen mußten, mit Kugeln oder andern Eisenstücken be-
schwert, auf ihr hinausgehen. Waren sie am äußersten Ende der
Planke angekommen, so kippte man das innere in die Höhe und
jene stürzten in das Meer.

An demselben Tage, der uns alle in solche gemeinsame
Aufregung versetzt hatte, passirte mir persönlich noch ein Unfall,
dessen gefährlichen Folgen ich zwar glücklicher Weise entging,
der aber leicht für mich eben so schlimm hätte ablaufen können,
wie das "Marschiren über die Planke". Ich war hinaufgeschickt,
um an der Takelage der Großbramraa etwas zu repariren und
saß zu diesem Zwecke in dem unter der Raa hängenden, Pferd
genannten, Tau, in welchem man steht, wenn man die Segel
fest oder los machen oder reefen soll. Das Schiff segelte vor
dem Winde und rollte sehr stark, so daß ich dort oben auf
meinem luftigen Sitze ununterbrochen einen Kreisbogen von
60--70 Grad bei einem Radius von 35 Metern beschrieb.

Als ich nach beendeter Arbeit mich anschickte, an Deck nieder
zu entern, brach plötzlich das Rak, der Tauring, welcher die Raa
an der Stenge festhält und das vom Winde geblähte Segel flog
mit einem Ruck nach vorwärts. Ich verlor das Gleichgewicht,
stürzte hinunter und wäre unbedingt verloren gewesen, wenn
mich nicht 20 Fuß niederwärts verschiedene Brassen und andere
Taue, die sich dort wagerecht kreuzen, wie ein Netz aufgefangen
und durch ihre Elasticität die Gewalt des Falles gebrochen hätten.

Ich konnte nun meinen so gewaltsam beschleunigten Weg
nach unten in langsamerem Tempo fortsetzen, wenn mir auch
der Schreck so in die Glieder gefahren war, daß ich am ganzen
Körper zitterte. "Schweizer", redete mich der Bootsmann an,
"was hast du da wieder für dummes Zeug gemacht? wann
wirst du lernen, an jedem Finger einen Angelhaken zu haben,
wie ich dir schon so oft gesagt!" Die übrige Mannschaft lachte
und ich zwang mich auch dazu so schwer es mir wurde --
damit war dann die Sache abgethan. Dergleichen Fälle, bei

Werner
Gefangenen mußten, mit Kugeln oder andern Eiſenſtücken be-
ſchwert, auf ihr hinausgehen. Waren ſie am äußerſten Ende der
Planke angekommen, ſo kippte man das innere in die Höhe und
jene ſtürzten in das Meer.

An demſelben Tage, der uns alle in ſolche gemeinſame
Aufregung verſetzt hatte, paſſirte mir perſönlich noch ein Unfall,
deſſen gefährlichen Folgen ich zwar glücklicher Weiſe entging,
der aber leicht für mich eben ſo ſchlimm hätte ablaufen können,
wie das „Marſchiren über die Planke“. Ich war hinaufgeſchickt,
um an der Takelage der Großbramraa etwas zu repariren und
ſaß zu dieſem Zwecke in dem unter der Raa hängenden, Pferd
genannten, Tau, in welchem man ſteht, wenn man die Segel
feſt oder los machen oder reefen ſoll. Das Schiff ſegelte vor
dem Winde und rollte ſehr ſtark, ſo daß ich dort oben auf
meinem luftigen Sitze ununterbrochen einen Kreisbogen von
60—70 Grad bei einem Radius von 35 Metern beſchrieb.

Als ich nach beendeter Arbeit mich anſchickte, an Deck nieder
zu entern, brach plötzlich das Rak, der Tauring, welcher die Raa
an der Stenge feſthält und das vom Winde geblähte Segel flog
mit einem Ruck nach vorwärts. Ich verlor das Gleichgewicht,
ſtürzte hinunter und wäre unbedingt verloren geweſen, wenn
mich nicht 20 Fuß niederwärts verſchiedene Braſſen und andere
Taue, die ſich dort wagerecht kreuzen, wie ein Netz aufgefangen
und durch ihre Elaſticität die Gewalt des Falles gebrochen hätten.

Ich konnte nun meinen ſo gewaltſam beſchleunigten Weg
nach unten in langſamerem Tempo fortſetzen, wenn mir auch
der Schreck ſo in die Glieder gefahren war, daß ich am ganzen
Körper zitterte. „Schweizer“, redete mich der Bootsmann an,
„was haſt du da wieder für dummes Zeug gemacht? wann
wirſt du lernen, an jedem Finger einen Angelhaken zu haben,
wie ich dir ſchon ſo oft geſagt!“ Die übrige Mannſchaft lachte
und ich zwang mich auch dazu ſo ſchwer es mir wurde —
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[74/0086] Werner Gefangenen mußten, mit Kugeln oder andern Eiſenſtücken be- ſchwert, auf ihr hinausgehen. Waren ſie am äußerſten Ende der Planke angekommen, ſo kippte man das innere in die Höhe und jene ſtürzten in das Meer. An demſelben Tage, der uns alle in ſolche gemeinſame Aufregung verſetzt hatte, paſſirte mir perſönlich noch ein Unfall, deſſen gefährlichen Folgen ich zwar glücklicher Weiſe entging, der aber leicht für mich eben ſo ſchlimm hätte ablaufen können, wie das „Marſchiren über die Planke“. Ich war hinaufgeſchickt, um an der Takelage der Großbramraa etwas zu repariren und ſaß zu dieſem Zwecke in dem unter der Raa hängenden, Pferd genannten, Tau, in welchem man ſteht, wenn man die Segel feſt oder los machen oder reefen ſoll. Das Schiff ſegelte vor dem Winde und rollte ſehr ſtark, ſo daß ich dort oben auf meinem luftigen Sitze ununterbrochen einen Kreisbogen von 60—70 Grad bei einem Radius von 35 Metern beſchrieb. Als ich nach beendeter Arbeit mich anſchickte, an Deck nieder zu entern, brach plötzlich das Rak, der Tauring, welcher die Raa an der Stenge feſthält und das vom Winde geblähte Segel flog mit einem Ruck nach vorwärts. Ich verlor das Gleichgewicht, ſtürzte hinunter und wäre unbedingt verloren geweſen, wenn mich nicht 20 Fuß niederwärts verſchiedene Braſſen und andere Taue, die ſich dort wagerecht kreuzen, wie ein Netz aufgefangen und durch ihre Elaſticität die Gewalt des Falles gebrochen hätten. Ich konnte nun meinen ſo gewaltſam beſchleunigten Weg nach unten in langſamerem Tempo fortſetzen, wenn mir auch der Schreck ſo in die Glieder gefahren war, daß ich am ganzen Körper zitterte. „Schweizer“, redete mich der Bootsmann an, „was haſt du da wieder für dummes Zeug gemacht? wann wirſt du lernen, an jedem Finger einen Angelhaken zu haben, wie ich dir ſchon ſo oft geſagt!“ Die übrige Mannſchaft lachte und ich zwang mich auch dazu ſo ſchwer es mir wurde — damit war dann die Sache abgethan. Dergleichen Fälle, bei

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/86>, abgerufen am 22.11.2024.