fleisch nennen, weil sie behaupten, daß man es einen Tag lang im Tornister tragen könne, ohne einen Fettfleck zu bekommen, flößte mir einen völligen Widerwillen ein. Ich habe es Jahre lang nicht gegessen und auch der Schiffszwieback war nicht meine Passion; dagegen mochte ich faute de mieux die Graupen ganz gern. Man sieht, verwöhnt wurde man nicht an Bord. Alle 14 Tage wurde aber auch Roggenbrod für einen Tag gebacken und das gab einen wahren Festtag. Dann wurden selbst die Graupen mißachtet und nur das frische Brod gegessen, wenn es auch oft eine verbrannte Kruste und zollbreite Wasserstreifen zeigte -- es schmeckte uns doch herrlich.
Mit der Dauer der Reise wurde natürlich die Verschlechte- rung der Proviantartikel immer größer, aber eine eigentliche Unzufriedenheit, welche nachtheiligen Einfluß auf den guten Geist der Mannschaft geübt hätte, zeigte sich deshalb doch nicht. Die Leute wußten, daß die sämmtlichen Lebensmittel gut an Bord gekommen und die Rheder in keiner Weise knauserig gewesen waren. Dies Bewußtsein genügte ihnen, um über die Mängel der Verpflegung zwar wie über alles zu räsonniren -- das liegt nun einmal in der Natur der Matrosen -- aber sie auch nicht ernst zu nehmen.
Die Genügsamkeit des gewöhnlichen Seemanns verdient überhaupt Bewunderung. Wenn er von Seiten seiner Vor- gesetzten nur richtig und human behandelt wird und merkt, daß jene etwas für ihn übrig haben, dann ist er mit allem zu- frieden. Unverdrossen arbeitet er Tag und Nacht, erträgt ohne Murren die größten Strapazen, hilft sich scherzend über Un- gemach fort und vergißt alles Schwere, sobald nur ein freund- licher Strahl ihm wieder leuchtet. Das gilt im allgemeinen von den tüchtigen Seeleuten aller Nationen, speciell aber von den Deutschen, die vor den andern noch die größere Zuverlässig- keit voraus haben und grade in den kritischsten Momenten sich am meisten bewähren.
R. Werner, Erinnerungen. 5
Eine erſte Seereiſe
fleiſch nennen, weil ſie behaupten, daß man es einen Tag lang im Torniſter tragen könne, ohne einen Fettfleck zu bekommen, flößte mir einen völligen Widerwillen ein. Ich habe es Jahre lang nicht gegeſſen und auch der Schiffszwieback war nicht meine Paſſion; dagegen mochte ich faute de mieux die Graupen ganz gern. Man ſieht, verwöhnt wurde man nicht an Bord. Alle 14 Tage wurde aber auch Roggenbrod für einen Tag gebacken und das gab einen wahren Feſttag. Dann wurden ſelbſt die Graupen mißachtet und nur das friſche Brod gegeſſen, wenn es auch oft eine verbrannte Kruſte und zollbreite Waſſerſtreifen zeigte — es ſchmeckte uns doch herrlich.
Mit der Dauer der Reiſe wurde natürlich die Verſchlechte- rung der Proviantartikel immer größer, aber eine eigentliche Unzufriedenheit, welche nachtheiligen Einfluß auf den guten Geiſt der Mannſchaft geübt hätte, zeigte ſich deshalb doch nicht. Die Leute wußten, daß die ſämmtlichen Lebensmittel gut an Bord gekommen und die Rheder in keiner Weiſe knauſerig geweſen waren. Dies Bewußtſein genügte ihnen, um über die Mängel der Verpflegung zwar wie über alles zu räſonniren — das liegt nun einmal in der Natur der Matroſen — aber ſie auch nicht ernſt zu nehmen.
Die Genügſamkeit des gewöhnlichen Seemanns verdient überhaupt Bewunderung. Wenn er von Seiten ſeiner Vor- geſetzten nur richtig und human behandelt wird und merkt, daß jene etwas für ihn übrig haben, dann iſt er mit allem zu- frieden. Unverdroſſen arbeitet er Tag und Nacht, erträgt ohne Murren die größten Strapazen, hilft ſich ſcherzend über Un- gemach fort und vergißt alles Schwere, ſobald nur ein freund- licher Strahl ihm wieder leuchtet. Das gilt im allgemeinen von den tüchtigen Seeleuten aller Nationen, ſpeciell aber von den Deutſchen, die vor den andern noch die größere Zuverläſſig- keit voraus haben und grade in den kritiſchſten Momenten ſich am meiſten bewähren.
R. Werner, Erinnerungen. 5
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0077"n="65"/><fwplace="top"type="header">Eine erſte Seereiſe</fw><lb/>
fleiſch nennen, weil ſie behaupten, daß man es einen Tag lang<lb/>
im Torniſter tragen könne, ohne <hirendition="#g">einen</hi> Fettfleck zu bekommen,<lb/>
flößte mir einen völligen Widerwillen ein. Ich habe es Jahre<lb/>
lang nicht gegeſſen und auch der Schiffszwieback war nicht meine<lb/>
Paſſion; dagegen mochte ich <hirendition="#aq">faute de mieux</hi> die Graupen ganz<lb/>
gern. Man ſieht, verwöhnt wurde man nicht an Bord. Alle<lb/>
14 Tage wurde aber auch Roggenbrod für einen Tag gebacken<lb/>
und das gab einen wahren Feſttag. Dann wurden ſelbſt die<lb/>
Graupen mißachtet und nur das friſche Brod gegeſſen, wenn<lb/>
es auch oft eine verbrannte Kruſte und zollbreite Waſſerſtreifen<lb/>
zeigte — es ſchmeckte uns doch herrlich.</p><lb/><p>Mit der Dauer der Reiſe wurde natürlich die Verſchlechte-<lb/>
rung der Proviantartikel immer größer, aber eine eigentliche<lb/>
Unzufriedenheit, welche nachtheiligen Einfluß auf den guten Geiſt<lb/>
der Mannſchaft geübt hätte, zeigte ſich deshalb doch nicht. Die<lb/>
Leute wußten, daß die ſämmtlichen Lebensmittel gut an Bord<lb/>
gekommen und die Rheder in keiner Weiſe knauſerig geweſen<lb/>
waren. Dies Bewußtſein genügte ihnen, um über die Mängel<lb/>
der Verpflegung zwar wie über alles zu räſonniren — das liegt<lb/>
nun einmal in der Natur der Matroſen — aber ſie auch nicht<lb/>
ernſt zu nehmen.</p><lb/><p>Die Genügſamkeit des gewöhnlichen Seemanns verdient<lb/>
überhaupt Bewunderung. Wenn er von Seiten ſeiner Vor-<lb/>
geſetzten nur richtig und human behandelt wird und merkt,<lb/>
daß jene etwas für ihn übrig haben, dann iſt er mit allem zu-<lb/>
frieden. Unverdroſſen arbeitet er Tag und Nacht, erträgt ohne<lb/>
Murren die größten Strapazen, hilft ſich ſcherzend über Un-<lb/>
gemach fort und vergißt alles Schwere, ſobald nur ein freund-<lb/>
licher Strahl ihm wieder leuchtet. Das gilt im allgemeinen<lb/>
von den tüchtigen Seeleuten aller Nationen, ſpeciell aber von<lb/>
den Deutſchen, die vor den andern noch die größere Zuverläſſig-<lb/>
keit voraus haben und grade in den kritiſchſten Momenten ſich<lb/>
am meiſten bewähren.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">R. <hirendition="#g">Werner</hi>, Erinnerungen. 5</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[65/0077]
Eine erſte Seereiſe
fleiſch nennen, weil ſie behaupten, daß man es einen Tag lang
im Torniſter tragen könne, ohne einen Fettfleck zu bekommen,
flößte mir einen völligen Widerwillen ein. Ich habe es Jahre
lang nicht gegeſſen und auch der Schiffszwieback war nicht meine
Paſſion; dagegen mochte ich faute de mieux die Graupen ganz
gern. Man ſieht, verwöhnt wurde man nicht an Bord. Alle
14 Tage wurde aber auch Roggenbrod für einen Tag gebacken
und das gab einen wahren Feſttag. Dann wurden ſelbſt die
Graupen mißachtet und nur das friſche Brod gegeſſen, wenn
es auch oft eine verbrannte Kruſte und zollbreite Waſſerſtreifen
zeigte — es ſchmeckte uns doch herrlich.
Mit der Dauer der Reiſe wurde natürlich die Verſchlechte-
rung der Proviantartikel immer größer, aber eine eigentliche
Unzufriedenheit, welche nachtheiligen Einfluß auf den guten Geiſt
der Mannſchaft geübt hätte, zeigte ſich deshalb doch nicht. Die
Leute wußten, daß die ſämmtlichen Lebensmittel gut an Bord
gekommen und die Rheder in keiner Weiſe knauſerig geweſen
waren. Dies Bewußtſein genügte ihnen, um über die Mängel
der Verpflegung zwar wie über alles zu räſonniren — das liegt
nun einmal in der Natur der Matroſen — aber ſie auch nicht
ernſt zu nehmen.
Die Genügſamkeit des gewöhnlichen Seemanns verdient
überhaupt Bewunderung. Wenn er von Seiten ſeiner Vor-
geſetzten nur richtig und human behandelt wird und merkt,
daß jene etwas für ihn übrig haben, dann iſt er mit allem zu-
frieden. Unverdroſſen arbeitet er Tag und Nacht, erträgt ohne
Murren die größten Strapazen, hilft ſich ſcherzend über Un-
gemach fort und vergißt alles Schwere, ſobald nur ein freund-
licher Strahl ihm wieder leuchtet. Das gilt im allgemeinen
von den tüchtigen Seeleuten aller Nationen, ſpeciell aber von
den Deutſchen, die vor den andern noch die größere Zuverläſſig-
keit voraus haben und grade in den kritiſchſten Momenten ſich
am meiſten bewähren.
R. Werner, Erinnerungen. 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/77>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.