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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
mäßigen Briese geschnellten schneeweißen Segel deren Spitze --
das dreieckige Himmelsegel -- sich wirklich im Himmel zu ver-
lieren schien und ringsum die weite endlose Wasserfläche --
wahrlich ein prachtvolles Bild, an dessen Schönheit ich mich
nicht satt sehen konnte und das die ganze Poesie des Meeres in
sich verkörperte.

Man glaubt vielfach, der Seemann sei nicht religiös, und
wenn man bisweilen sein Gebahren am Lande sieht, ohne ihm
auch an Bord zu folgen und dort sein Wesen und seinen
Charakter zu beobachten, so scheint diese Ansicht eine Berech-
tigung zu haben, aber sie ist trotzdem irrig. Ein tief religiöser
Zug geht durch sein Gemüth, und das ist bei seinem Leben auch
nicht anders möglich. Nur ein völlig verderbtes und verhärtetes
Herz kann unempfänglich sein gegen die Schönheiten und Wunder,
mögen sie auch oft grausig erscheinen, in denen Gott seine All-
macht auf dem Meere offenbart.

Die ganze Natur, in Berg und Thal, in Wald und Feld
ist zwar auch voll von solchen Wundern, aber nirgend sprechen
sie so laut und vernehmlich zum Menschen, wie auf der See.
Das Heulen und Pfeifen des Sturmes, das Brausen der Wogen,
wenn der Orkan sie peitscht, das Donnern und Zischen und
Schäumen der Brandung, wenn sie sich an den Felsen bricht,
oder brüllend sich auf den Strand wälzt, das Aechzen und
Stöhnen des Schiffes in dem wüthenden Ringen mit den tosenden
Elementen, wenn nur eine schmale Planke den Menschen von
dem nassen Grabe trennt -- und dann wieder ein Bild wie
das obige im Passat -- das sind Mahnungen, dem sich auch
die roheste Natur nicht verschließen kann. Sie künden die Nähe
Gottes, seine Liebe und seine Allmacht; unwillkührlich nehmen
sie das Herz des Seemannes gefangen und leiten ihn unmerk-
lich auf die Bahn der Religion und Gottesfurcht. Selten giebt
der Matrose zwar seinen Gefühlen nach dieser Richtung Aus-
druck, ja er mag sich oft selbst nicht einmal klar darüber sein,

Werner
mäßigen Brieſe geſchnellten ſchneeweißen Segel deren Spitze —
das dreieckige Himmelſegel — ſich wirklich im Himmel zu ver-
lieren ſchien und ringsum die weite endloſe Waſſerfläche —
wahrlich ein prachtvolles Bild, an deſſen Schönheit ich mich
nicht ſatt ſehen konnte und das die ganze Poeſie des Meeres in
ſich verkörperte.

Man glaubt vielfach, der Seemann ſei nicht religiös, und
wenn man bisweilen ſein Gebahren am Lande ſieht, ohne ihm
auch an Bord zu folgen und dort ſein Weſen und ſeinen
Charakter zu beobachten, ſo ſcheint dieſe Anſicht eine Berech-
tigung zu haben, aber ſie iſt trotzdem irrig. Ein tief religiöſer
Zug geht durch ſein Gemüth, und das iſt bei ſeinem Leben auch
nicht anders möglich. Nur ein völlig verderbtes und verhärtetes
Herz kann unempfänglich ſein gegen die Schönheiten und Wunder,
mögen ſie auch oft grauſig erſcheinen, in denen Gott ſeine All-
macht auf dem Meere offenbart.

Die ganze Natur, in Berg und Thal, in Wald und Feld
iſt zwar auch voll von ſolchen Wundern, aber nirgend ſprechen
ſie ſo laut und vernehmlich zum Menſchen, wie auf der See.
Das Heulen und Pfeifen des Sturmes, das Brauſen der Wogen,
wenn der Orkan ſie peitſcht, das Donnern und Ziſchen und
Schäumen der Brandung, wenn ſie ſich an den Felſen bricht,
oder brüllend ſich auf den Strand wälzt, das Aechzen und
Stöhnen des Schiffes in dem wüthenden Ringen mit den toſenden
Elementen, wenn nur eine ſchmale Planke den Menſchen von
dem naſſen Grabe trennt — und dann wieder ein Bild wie
das obige im Paſſat — das ſind Mahnungen, dem ſich auch
die roheſte Natur nicht verſchließen kann. Sie künden die Nähe
Gottes, ſeine Liebe und ſeine Allmacht; unwillkührlich nehmen
ſie das Herz des Seemannes gefangen und leiten ihn unmerk-
lich auf die Bahn der Religion und Gottesfurcht. Selten giebt
der Matroſe zwar ſeinen Gefühlen nach dieſer Richtung Aus-
druck, ja er mag ſich oft ſelbſt nicht einmal klar darüber ſein,

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[56/0068] Werner mäßigen Brieſe geſchnellten ſchneeweißen Segel deren Spitze — das dreieckige Himmelſegel — ſich wirklich im Himmel zu ver- lieren ſchien und ringsum die weite endloſe Waſſerfläche — wahrlich ein prachtvolles Bild, an deſſen Schönheit ich mich nicht ſatt ſehen konnte und das die ganze Poeſie des Meeres in ſich verkörperte. Man glaubt vielfach, der Seemann ſei nicht religiös, und wenn man bisweilen ſein Gebahren am Lande ſieht, ohne ihm auch an Bord zu folgen und dort ſein Weſen und ſeinen Charakter zu beobachten, ſo ſcheint dieſe Anſicht eine Berech- tigung zu haben, aber ſie iſt trotzdem irrig. Ein tief religiöſer Zug geht durch ſein Gemüth, und das iſt bei ſeinem Leben auch nicht anders möglich. Nur ein völlig verderbtes und verhärtetes Herz kann unempfänglich ſein gegen die Schönheiten und Wunder, mögen ſie auch oft grauſig erſcheinen, in denen Gott ſeine All- macht auf dem Meere offenbart. Die ganze Natur, in Berg und Thal, in Wald und Feld iſt zwar auch voll von ſolchen Wundern, aber nirgend ſprechen ſie ſo laut und vernehmlich zum Menſchen, wie auf der See. Das Heulen und Pfeifen des Sturmes, das Brauſen der Wogen, wenn der Orkan ſie peitſcht, das Donnern und Ziſchen und Schäumen der Brandung, wenn ſie ſich an den Felſen bricht, oder brüllend ſich auf den Strand wälzt, das Aechzen und Stöhnen des Schiffes in dem wüthenden Ringen mit den toſenden Elementen, wenn nur eine ſchmale Planke den Menſchen von dem naſſen Grabe trennt — und dann wieder ein Bild wie das obige im Paſſat — das ſind Mahnungen, dem ſich auch die roheſte Natur nicht verſchließen kann. Sie künden die Nähe Gottes, ſeine Liebe und ſeine Allmacht; unwillkührlich nehmen ſie das Herz des Seemannes gefangen und leiten ihn unmerk- lich auf die Bahn der Religion und Gottesfurcht. Selten giebt der Matroſe zwar ſeinen Gefühlen nach dieſer Richtung Aus- druck, ja er mag ſich oft ſelbſt nicht einmal klar darüber ſein,

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/68>, abgerufen am 22.11.2024.