Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Werner
habe auf späteren Reisen in dieser Gegend noch oft Schildkröten
gefangen, doch nie größere gesehen, während man in südlicheren
Ländern bisweilen ganz außerordentlich mächtige Exemplare bis
zu 5--600 Pfund Gewicht findet. Zwei solche Thiere kaufte
ich einmal auf der Insel Ascension, um sie mit nach Europa
zu nehmen. Unsere Reise dauerte 8 Wochen. Während der
ganzen Zeit lagen die Schildkröten unter dem Decksboot auf
dem Rücken mit einem nassen Sack unter dem Kopfe und wenn
die See es nicht selbst besorgte, wurden ihnen täglich zur Er-
frischung ein Paar Eimer Wasser über den Körper gespült.
Zu fressen erhielten sie nichts, weil wir nichts für sie hatten,
aber trotz der wenig behaglichen Situation kamen beide Thiere
lebend in Deutschland an und eine von ihnen hatte sogar die
Freundlichkeit, einige Wochen lang täglich 15--18 Eier zu legen,
die wir uns wohl schmecken ließen.

Es schien, als sollten wir für alle das bisher erlebte Un-
gemach an Wind und Wetter jetzt entschädigt werden, denn der
Norder wuchs wieder zu einer steifen Briese, die uns mit zehn
Meilen Fahrt vorwärts trieb und uns in wenigen Tagen auf
die Höhe von Madeira und damit an die Grenze der Tropen
brachte. Doch vergebens strengten wir unsere Augen an, um
die schöne Insel am fernen Horizonte zu entdecken. Die eigen-
thümliche aber ganz praktische Belohnung, welche auf Hamburger
Kauffarteischiffen demjenigen winkt, welcher nach längerer See-
reise zuerst das Land sieht, nämlich das nöthige Segeltuch zu
einer Hose, die dann der Betreffende sich selbst anzufertigen hat,
blieb diesmal unverdient und Madeira kam nicht zum Vorschein.
Das verdarb für den Tag Allen die gute Laune; dem Kapitän,
der ohnehin nicht viel davon besaß, weil seine astronomische
Rechnung so schlecht stimmte; den Leuten, weil ihnen die Segel-
tuchhose entgangen war, und mir selbst auch, weil ich auf meiner
Freiwache zwei volle Stunden umsonst im Top gesessen und
Ausguck gehalten hatte.


Werner
habe auf ſpäteren Reiſen in dieſer Gegend noch oft Schildkröten
gefangen, doch nie größere geſehen, während man in ſüdlicheren
Ländern bisweilen ganz außerordentlich mächtige Exemplare bis
zu 5—600 Pfund Gewicht findet. Zwei ſolche Thiere kaufte
ich einmal auf der Inſel Ascenſion, um ſie mit nach Europa
zu nehmen. Unſere Reiſe dauerte 8 Wochen. Während der
ganzen Zeit lagen die Schildkröten unter dem Decksboot auf
dem Rücken mit einem naſſen Sack unter dem Kopfe und wenn
die See es nicht ſelbſt beſorgte, wurden ihnen täglich zur Er-
friſchung ein Paar Eimer Waſſer über den Körper geſpült.
Zu freſſen erhielten ſie nichts, weil wir nichts für ſie hatten,
aber trotz der wenig behaglichen Situation kamen beide Thiere
lebend in Deutſchland an und eine von ihnen hatte ſogar die
Freundlichkeit, einige Wochen lang täglich 15—18 Eier zu legen,
die wir uns wohl ſchmecken ließen.

Es ſchien, als ſollten wir für alle das bisher erlebte Un-
gemach an Wind und Wetter jetzt entſchädigt werden, denn der
Norder wuchs wieder zu einer ſteifen Brieſe, die uns mit zehn
Meilen Fahrt vorwärts trieb und uns in wenigen Tagen auf
die Höhe von Madeira und damit an die Grenze der Tropen
brachte. Doch vergebens ſtrengten wir unſere Augen an, um
die ſchöne Inſel am fernen Horizonte zu entdecken. Die eigen-
thümliche aber ganz praktiſche Belohnung, welche auf Hamburger
Kauffarteiſchiffen demjenigen winkt, welcher nach längerer See-
reiſe zuerſt das Land ſieht, nämlich das nöthige Segeltuch zu
einer Hoſe, die dann der Betreffende ſich ſelbſt anzufertigen hat,
blieb diesmal unverdient und Madeira kam nicht zum Vorſchein.
Das verdarb für den Tag Allen die gute Laune; dem Kapitän,
der ohnehin nicht viel davon beſaß, weil ſeine aſtronomiſche
Rechnung ſo ſchlecht ſtimmte; den Leuten, weil ihnen die Segel-
tuchhoſe entgangen war, und mir ſelbſt auch, weil ich auf meiner
Freiwache zwei volle Stunden umſonſt im Top geſeſſen und
Ausguck gehalten hatte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="50"/><fw place="top" type="header">Werner</fw><lb/>
habe auf &#x017F;päteren Rei&#x017F;en in die&#x017F;er Gegend noch oft Schildkröten<lb/>
gefangen, doch nie größere ge&#x017F;ehen, während man in &#x017F;üdlicheren<lb/>
Ländern bisweilen ganz außerordentlich mächtige Exemplare bis<lb/>
zu 5&#x2014;600 Pfund Gewicht findet. Zwei &#x017F;olche Thiere kaufte<lb/>
ich einmal auf der In&#x017F;el Ascen&#x017F;ion, um &#x017F;ie mit nach Europa<lb/>
zu nehmen. Un&#x017F;ere Rei&#x017F;e dauerte 8 Wochen. Während der<lb/>
ganzen Zeit lagen die Schildkröten unter dem Decksboot auf<lb/>
dem Rücken mit einem na&#x017F;&#x017F;en Sack unter dem Kopfe und wenn<lb/>
die See es nicht &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;orgte, wurden ihnen täglich zur Er-<lb/>
fri&#x017F;chung ein Paar Eimer Wa&#x017F;&#x017F;er über den Körper ge&#x017F;pült.<lb/>
Zu fre&#x017F;&#x017F;en erhielten &#x017F;ie nichts, weil wir nichts für &#x017F;ie hatten,<lb/>
aber trotz der wenig behaglichen Situation kamen beide Thiere<lb/>
lebend in Deut&#x017F;chland an und eine von ihnen hatte &#x017F;ogar die<lb/>
Freundlichkeit, einige Wochen lang täglich 15&#x2014;18 Eier zu legen,<lb/>
die wir uns wohl &#x017F;chmecken ließen.</p><lb/>
        <p>Es &#x017F;chien, als &#x017F;ollten wir für alle das bisher erlebte Un-<lb/>
gemach an Wind und Wetter jetzt ent&#x017F;chädigt werden, denn der<lb/>
Norder wuchs wieder zu einer &#x017F;teifen Brie&#x017F;e, die uns mit zehn<lb/>
Meilen Fahrt vorwärts trieb und uns in wenigen Tagen auf<lb/>
die Höhe von Madeira und damit an die Grenze der Tropen<lb/>
brachte. Doch vergebens &#x017F;trengten wir un&#x017F;ere Augen an, um<lb/>
die &#x017F;chöne In&#x017F;el am fernen Horizonte zu entdecken. Die eigen-<lb/>
thümliche aber ganz prakti&#x017F;che Belohnung, welche auf Hamburger<lb/>
Kauffartei&#x017F;chiffen demjenigen winkt, welcher nach längerer See-<lb/>
rei&#x017F;e zuer&#x017F;t das Land &#x017F;ieht, nämlich das nöthige Segeltuch zu<lb/>
einer Ho&#x017F;e, die dann der Betreffende &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t anzufertigen hat,<lb/>
blieb diesmal unverdient und Madeira kam nicht zum Vor&#x017F;chein.<lb/>
Das verdarb für den Tag Allen die gute Laune; dem Kapitän,<lb/>
der ohnehin nicht viel davon be&#x017F;aß, weil &#x017F;eine a&#x017F;tronomi&#x017F;che<lb/>
Rechnung &#x017F;o &#x017F;chlecht &#x017F;timmte; den Leuten, weil ihnen die Segel-<lb/>
tuchho&#x017F;e entgangen war, und mir &#x017F;elb&#x017F;t auch, weil ich auf meiner<lb/>
Freiwache zwei volle Stunden um&#x017F;on&#x017F;t im Top ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
Ausguck gehalten hatte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0062] Werner habe auf ſpäteren Reiſen in dieſer Gegend noch oft Schildkröten gefangen, doch nie größere geſehen, während man in ſüdlicheren Ländern bisweilen ganz außerordentlich mächtige Exemplare bis zu 5—600 Pfund Gewicht findet. Zwei ſolche Thiere kaufte ich einmal auf der Inſel Ascenſion, um ſie mit nach Europa zu nehmen. Unſere Reiſe dauerte 8 Wochen. Während der ganzen Zeit lagen die Schildkröten unter dem Decksboot auf dem Rücken mit einem naſſen Sack unter dem Kopfe und wenn die See es nicht ſelbſt beſorgte, wurden ihnen täglich zur Er- friſchung ein Paar Eimer Waſſer über den Körper geſpült. Zu freſſen erhielten ſie nichts, weil wir nichts für ſie hatten, aber trotz der wenig behaglichen Situation kamen beide Thiere lebend in Deutſchland an und eine von ihnen hatte ſogar die Freundlichkeit, einige Wochen lang täglich 15—18 Eier zu legen, die wir uns wohl ſchmecken ließen. Es ſchien, als ſollten wir für alle das bisher erlebte Un- gemach an Wind und Wetter jetzt entſchädigt werden, denn der Norder wuchs wieder zu einer ſteifen Brieſe, die uns mit zehn Meilen Fahrt vorwärts trieb und uns in wenigen Tagen auf die Höhe von Madeira und damit an die Grenze der Tropen brachte. Doch vergebens ſtrengten wir unſere Augen an, um die ſchöne Inſel am fernen Horizonte zu entdecken. Die eigen- thümliche aber ganz praktiſche Belohnung, welche auf Hamburger Kauffarteiſchiffen demjenigen winkt, welcher nach längerer See- reiſe zuerſt das Land ſieht, nämlich das nöthige Segeltuch zu einer Hoſe, die dann der Betreffende ſich ſelbſt anzufertigen hat, blieb diesmal unverdient und Madeira kam nicht zum Vorſchein. Das verdarb für den Tag Allen die gute Laune; dem Kapitän, der ohnehin nicht viel davon beſaß, weil ſeine aſtronomiſche Rechnung ſo ſchlecht ſtimmte; den Leuten, weil ihnen die Segel- tuchhoſe entgangen war, und mir ſelbſt auch, weil ich auf meiner Freiwache zwei volle Stunden umſonſt im Top geſeſſen und Ausguck gehalten hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/62
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/62>, abgerufen am 24.11.2024.