Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Werner
es tüchtige Leute. Unter der rauhen Außenseite barg sich ein
guter Kern, hinter ihrem oft crassen Aberglauben eine tiefe
Religiosität und, trotz ihrer vielen Schattenseiten, konnte man
ihren Charaktereigenschaften eine gewisse Achtung nicht versagen,
wenn man sie näher kennen lernte.

Die Monatsgage, welche ich vom Kapitän empfing, war
zwar nur gering, aber sie erfüllte mich doch mit Genugthuung.
Es war das erste selbstverdiente Geld, ich stand jetzt auf eigenen
Füßen. Ich erhielt zwei Thaler monatlich, viel weniger, als
die übrigen Schiffsjungen, aber dafür stand ich auch in einem
anderen Verhältnisse. Ich war nicht einfach, wie jene, durch
den Kapitän angenommen, sondern durch die Rheder contract-
lich als Lehrling engagirt und zwar auf vier Jahre. Ich er-
hielt während dieser Zeit an Bord und am Lande freie Station,
meine gesammte Kleidung, und der Kapitän war verpflichtet,
mich auch theoretisch in der Navigation so weit vorzubereiten,
daß ich am Schlusse meiner Lehrzeit nach kurzem Besuch der
Navigationsschule das Steuermannsexamen ablegen und als
Steuermann fahren konnte. Dies Lehrlingsverhältniß war bis
dahin in Deutschland nicht gebräuchlich, dagegen in England,
Holland und Frankreich, und von meinen Rhedern herüber-
genommen, um sich junge Leute aus besseren Ständen zu Steuer-
leuten und Kapitänen heranzuziehen. Die deutsche Schifffahrt
begann damals allmälig aus ihrem alten Schlendrian heraus-
zutreten, und die Rheder sahen ein, daß die Führung ihrer
Schiffe durch Kapitäne von Bildung nur gewinnen könne. Prac-
tische Seemannschaft blieb und bleibt zwar immer Hauptsache,
aber daneben hergehende theoretische Kenntnisse der Meteorologie,
Hydrographie etc. mit Hülfe deren die Reisen abgekürzt wurden,
brachten baaren Gewinn. Wenige Jahre später, als der be-
rühmte amerikanische Hydrograph Maury seine Wind- und
Wetterkarten herausgab, die auf Grund von systematischen
Beobachtungen intelligenter Seeleute auf ihren verschiedenen Reisen

Werner
es tüchtige Leute. Unter der rauhen Außenſeite barg ſich ein
guter Kern, hinter ihrem oft craſſen Aberglauben eine tiefe
Religioſität und, trotz ihrer vielen Schattenſeiten, konnte man
ihren Charaktereigenſchaften eine gewiſſe Achtung nicht verſagen,
wenn man ſie näher kennen lernte.

Die Monatsgage, welche ich vom Kapitän empfing, war
zwar nur gering, aber ſie erfüllte mich doch mit Genugthuung.
Es war das erſte ſelbſtverdiente Geld, ich ſtand jetzt auf eigenen
Füßen. Ich erhielt zwei Thaler monatlich, viel weniger, als
die übrigen Schiffsjungen, aber dafür ſtand ich auch in einem
anderen Verhältniſſe. Ich war nicht einfach, wie jene, durch
den Kapitän angenommen, ſondern durch die Rheder contract-
lich als Lehrling engagirt und zwar auf vier Jahre. Ich er-
hielt während dieſer Zeit an Bord und am Lande freie Station,
meine geſammte Kleidung, und der Kapitän war verpflichtet,
mich auch theoretiſch in der Navigation ſo weit vorzubereiten,
daß ich am Schluſſe meiner Lehrzeit nach kurzem Beſuch der
Navigationsſchule das Steuermannsexamen ablegen und als
Steuermann fahren konnte. Dies Lehrlingsverhältniß war bis
dahin in Deutſchland nicht gebräuchlich, dagegen in England,
Holland und Frankreich, und von meinen Rhedern herüber-
genommen, um ſich junge Leute aus beſſeren Ständen zu Steuer-
leuten und Kapitänen heranzuziehen. Die deutſche Schifffahrt
begann damals allmälig aus ihrem alten Schlendrian heraus-
zutreten, und die Rheder ſahen ein, daß die Führung ihrer
Schiffe durch Kapitäne von Bildung nur gewinnen könne. Prac-
tiſche Seemannſchaft blieb und bleibt zwar immer Hauptſache,
aber daneben hergehende theoretiſche Kenntniſſe der Meteorologie,
Hydrographie ꝛc. mit Hülfe deren die Reiſen abgekürzt wurden,
brachten baaren Gewinn. Wenige Jahre ſpäter, als der be-
rühmte amerikaniſche Hydrograph Maury ſeine Wind- und
Wetterkarten herausgab, die auf Grund von ſyſtematiſchen
Beobachtungen intelligenter Seeleute auf ihren verſchiedenen Reiſen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0054" n="42"/><fw place="top" type="header">Werner</fw><lb/>
es tüchtige Leute. Unter der rauhen Außen&#x017F;eite barg &#x017F;ich ein<lb/>
guter Kern, hinter ihrem oft cra&#x017F;&#x017F;en Aberglauben eine tiefe<lb/>
Religio&#x017F;ität und, trotz ihrer vielen Schatten&#x017F;eiten, konnte man<lb/>
ihren Charaktereigen&#x017F;chaften eine gewi&#x017F;&#x017F;e Achtung nicht ver&#x017F;agen,<lb/>
wenn man &#x017F;ie näher kennen lernte.</p><lb/>
        <p>Die Monatsgage, welche ich vom Kapitän empfing, war<lb/>
zwar nur gering, aber &#x017F;ie erfüllte mich doch mit Genugthuung.<lb/>
Es war das er&#x017F;te &#x017F;elb&#x017F;tverdiente Geld, ich &#x017F;tand jetzt auf eigenen<lb/>
Füßen. Ich erhielt zwei Thaler monatlich, viel weniger, als<lb/>
die übrigen Schiffsjungen, aber dafür &#x017F;tand ich auch in einem<lb/>
anderen Verhältni&#x017F;&#x017F;e. Ich war nicht einfach, wie jene, durch<lb/>
den Kapitän angenommen, &#x017F;ondern durch die Rheder contract-<lb/>
lich als Lehrling engagirt und zwar auf vier Jahre. Ich er-<lb/>
hielt während die&#x017F;er Zeit an Bord und am Lande freie Station,<lb/>
meine ge&#x017F;ammte Kleidung, und der Kapitän war verpflichtet,<lb/>
mich auch theoreti&#x017F;ch in der Navigation &#x017F;o weit vorzubereiten,<lb/>
daß ich am Schlu&#x017F;&#x017F;e meiner Lehrzeit nach kurzem Be&#x017F;uch der<lb/>
Navigations&#x017F;chule das Steuermannsexamen ablegen und als<lb/>
Steuermann fahren konnte. Dies Lehrlingsverhältniß war bis<lb/>
dahin in Deut&#x017F;chland nicht gebräuchlich, dagegen in England,<lb/>
Holland und Frankreich, und von meinen Rhedern herüber-<lb/>
genommen, um &#x017F;ich junge Leute aus be&#x017F;&#x017F;eren Ständen zu Steuer-<lb/>
leuten und Kapitänen heranzuziehen. Die deut&#x017F;che Schifffahrt<lb/>
begann damals allmälig aus ihrem alten Schlendrian heraus-<lb/>
zutreten, und die Rheder &#x017F;ahen ein, daß die Führung ihrer<lb/>
Schiffe durch Kapitäne von Bildung nur gewinnen könne. Prac-<lb/>
ti&#x017F;che Seemann&#x017F;chaft blieb und bleibt zwar immer Haupt&#x017F;ache,<lb/>
aber daneben hergehende theoreti&#x017F;che Kenntni&#x017F;&#x017F;e der Meteorologie,<lb/>
Hydrographie &#xA75B;c. mit Hülfe deren die Rei&#x017F;en abgekürzt wurden,<lb/>
brachten baaren Gewinn. Wenige Jahre &#x017F;päter, als der be-<lb/>
rühmte amerikani&#x017F;che Hydrograph Maury &#x017F;eine Wind- und<lb/>
Wetterkarten herausgab, die auf Grund von &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen<lb/>
Beobachtungen intelligenter Seeleute auf ihren ver&#x017F;chiedenen Rei&#x017F;en<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0054] Werner es tüchtige Leute. Unter der rauhen Außenſeite barg ſich ein guter Kern, hinter ihrem oft craſſen Aberglauben eine tiefe Religioſität und, trotz ihrer vielen Schattenſeiten, konnte man ihren Charaktereigenſchaften eine gewiſſe Achtung nicht verſagen, wenn man ſie näher kennen lernte. Die Monatsgage, welche ich vom Kapitän empfing, war zwar nur gering, aber ſie erfüllte mich doch mit Genugthuung. Es war das erſte ſelbſtverdiente Geld, ich ſtand jetzt auf eigenen Füßen. Ich erhielt zwei Thaler monatlich, viel weniger, als die übrigen Schiffsjungen, aber dafür ſtand ich auch in einem anderen Verhältniſſe. Ich war nicht einfach, wie jene, durch den Kapitän angenommen, ſondern durch die Rheder contract- lich als Lehrling engagirt und zwar auf vier Jahre. Ich er- hielt während dieſer Zeit an Bord und am Lande freie Station, meine geſammte Kleidung, und der Kapitän war verpflichtet, mich auch theoretiſch in der Navigation ſo weit vorzubereiten, daß ich am Schluſſe meiner Lehrzeit nach kurzem Beſuch der Navigationsſchule das Steuermannsexamen ablegen und als Steuermann fahren konnte. Dies Lehrlingsverhältniß war bis dahin in Deutſchland nicht gebräuchlich, dagegen in England, Holland und Frankreich, und von meinen Rhedern herüber- genommen, um ſich junge Leute aus beſſeren Ständen zu Steuer- leuten und Kapitänen heranzuziehen. Die deutſche Schifffahrt begann damals allmälig aus ihrem alten Schlendrian heraus- zutreten, und die Rheder ſahen ein, daß die Führung ihrer Schiffe durch Kapitäne von Bildung nur gewinnen könne. Prac- tiſche Seemannſchaft blieb und bleibt zwar immer Hauptſache, aber daneben hergehende theoretiſche Kenntniſſe der Meteorologie, Hydrographie ꝛc. mit Hülfe deren die Reiſen abgekürzt wurden, brachten baaren Gewinn. Wenige Jahre ſpäter, als der be- rühmte amerikaniſche Hydrograph Maury ſeine Wind- und Wetterkarten herausgab, die auf Grund von ſyſtematiſchen Beobachtungen intelligenter Seeleute auf ihren verſchiedenen Reiſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/54
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/54>, abgerufen am 25.11.2024.