Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Werner
"Hans Hansen" wendete er sich dann an einen Matrosen, "Du
hast gute Augen, geh in's Want und sieh, ob Du nicht einen
Thurm gewahr werden kannst." Der Angeredete enterte auf und
suchte den Horizont ab.

"Feuerthurm voraus drei Strich* in Lee" rief er und
zeigte mit der Hand nach der Richtung.

"Gut," sagte der Kapitän und winkte ihm herunter zu
kommen. "Wie viel Abdrift haben wir?" fragte er den
Steuermann.

"Vier Strich" meldete dieser, als er nach der Richtung
des Kielwassers gesehen hatte. Der Wind war Nordwest, die
"Alma" lag scheinbar etwas ab vom Lande, mit der Drift
näherte sie sich jedoch demselben. Wenn ein Schiff scharf am
Winde segelt und nur kleine Segel führt, also wenig Fahrt
machen kann, so geht es nicht in der Richtung seines Kiels
voraus, sondern wird vom Winde schräg seitwärts geschoben --
das ist seine Abdrift.

"Wir müssen Segel setzen. Ein Reff aus den Marssegeln!"

Das eben mit so viel Mühe und Roth eingenommene
Reff wurde wieder ausgesteckt.

"Wie viel Drift?" "Drei Strich!" "Noch zu viel,
Großsegel los!"

Das Großsegel wurde gesetzt und verminderte die Drift
abermals um 11/2 Strich. Das Schiff ging damit grade längs
der Küste, aber das genügte noch nicht, es mußte auch davon
abliegen. Der Klüver wurde geheißt. Alles ging gut; das
Schiff machte unter dem Preß von Segeln schlanke Fahrt und
der Feuerthurm wanderte rasch aus. Noch zwei Stunden so,
dann befanden wir uns in freiem Wasser und konnten auf-
athmen. Augenblicklich war der Wind nicht zu schwer für die
Segel, aber dort leewärts stieg am Horizonte schon wieder eine

* Der Compaß resp. der Horizont wird in 360 Grade oder 32
Striche getheilt, von denen einer 111/4 Grad enthält.

Werner
„Hans Hanſen“ wendete er ſich dann an einen Matroſen, „Du
haſt gute Augen, geh in’s Want und ſieh, ob Du nicht einen
Thurm gewahr werden kannſt.“ Der Angeredete enterte auf und
ſuchte den Horizont ab.

„Feuerthurm voraus drei Strich* in Lee“ rief er und
zeigte mit der Hand nach der Richtung.

„Gut,“ ſagte der Kapitän und winkte ihm herunter zu
kommen. „Wie viel Abdrift haben wir?“ fragte er den
Steuermann.

„Vier Strich“ meldete dieſer, als er nach der Richtung
des Kielwaſſers geſehen hatte. Der Wind war Nordweſt, die
„Alma“ lag ſcheinbar etwas ab vom Lande, mit der Drift
näherte ſie ſich jedoch demſelben. Wenn ein Schiff ſcharf am
Winde ſegelt und nur kleine Segel führt, alſo wenig Fahrt
machen kann, ſo geht es nicht in der Richtung ſeines Kiels
voraus, ſondern wird vom Winde ſchräg ſeitwärts geſchoben —
das iſt ſeine Abdrift.

„Wir müſſen Segel ſetzen. Ein Reff aus den Marsſegeln!“

Das eben mit ſo viel Mühe und Roth eingenommene
Reff wurde wieder ausgeſteckt.

„Wie viel Drift?“ „Drei Strich!“ „Noch zu viel,
Großſegel los!“

Das Großſegel wurde geſetzt und verminderte die Drift
abermals um 1½ Strich. Das Schiff ging damit grade längs
der Küſte, aber das genügte noch nicht, es mußte auch davon
abliegen. Der Klüver wurde geheißt. Alles ging gut; das
Schiff machte unter dem Preß von Segeln ſchlanke Fahrt und
der Feuerthurm wanderte raſch aus. Noch zwei Stunden ſo,
dann befanden wir uns in freiem Waſſer und konnten auf-
athmen. Augenblicklich war der Wind nicht zu ſchwer für die
Segel, aber dort leewärts ſtieg am Horizonte ſchon wieder eine

* Der Compaß reſp. der Horizont wird in 360 Grade oder 32
Striche getheilt, von denen einer 11¼ Grad enthält.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0042" n="30"/><fw place="top" type="header">Werner</fw><lb/>
&#x201E;Hans Han&#x017F;en&#x201C; wendete er &#x017F;ich dann an einen Matro&#x017F;en, &#x201E;Du<lb/>
ha&#x017F;t gute Augen, geh in&#x2019;s Want und &#x017F;ieh, ob Du nicht einen<lb/>
Thurm gewahr werden kann&#x017F;t.&#x201C; Der Angeredete enterte auf und<lb/>
&#x017F;uchte den Horizont ab.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Feuerthurm voraus drei Strich<note place="foot" n="*">Der Compaß re&#x017F;p. der Horizont wird in 360 Grade oder 32<lb/>
Striche getheilt, von denen einer 11¼ Grad enthält.</note> in Lee&#x201C; rief er und<lb/>
zeigte mit der Hand nach der Richtung.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gut,&#x201C; &#x017F;agte der Kapitän und winkte ihm herunter zu<lb/>
kommen. &#x201E;Wie viel Abdrift haben wir?&#x201C; fragte er den<lb/>
Steuermann.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Vier Strich&#x201C; meldete die&#x017F;er, als er nach der Richtung<lb/>
des Kielwa&#x017F;&#x017F;ers ge&#x017F;ehen hatte. Der Wind war Nordwe&#x017F;t, die<lb/>
&#x201E;Alma&#x201C; lag &#x017F;cheinbar etwas ab vom Lande, mit der Drift<lb/>
näherte &#x017F;ie &#x017F;ich jedoch dem&#x017F;elben. Wenn ein Schiff &#x017F;charf am<lb/>
Winde &#x017F;egelt und nur kleine Segel führt, al&#x017F;o wenig Fahrt<lb/>
machen kann, &#x017F;o geht es nicht in der Richtung &#x017F;eines Kiels<lb/>
voraus, &#x017F;ondern wird vom Winde &#x017F;chräg &#x017F;eitwärts ge&#x017F;choben &#x2014;<lb/>
das i&#x017F;t &#x017F;eine Abdrift.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir mü&#x017F;&#x017F;en Segel &#x017F;etzen. Ein Reff aus den Mars&#x017F;egeln!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Das eben mit &#x017F;o viel Mühe und Roth eingenommene<lb/>
Reff wurde wieder ausge&#x017F;teckt.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie viel Drift?&#x201C; &#x201E;Drei Strich!&#x201C; &#x201E;Noch zu viel,<lb/>
Groß&#x017F;egel los!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Das Groß&#x017F;egel wurde ge&#x017F;etzt und verminderte die Drift<lb/>
abermals um 1½ Strich. Das Schiff ging damit grade längs<lb/>
der Kü&#x017F;te, aber das genügte noch nicht, es mußte auch davon<lb/>
abliegen. Der Klüver wurde geheißt. Alles ging gut; das<lb/>
Schiff machte unter dem Preß von Segeln &#x017F;chlanke Fahrt und<lb/>
der Feuerthurm wanderte ra&#x017F;ch aus. Noch zwei Stunden &#x017F;o,<lb/>
dann befanden wir uns in freiem Wa&#x017F;&#x017F;er und konnten auf-<lb/>
athmen. Augenblicklich war der Wind nicht zu &#x017F;chwer für die<lb/>
Segel, aber dort leewärts &#x017F;tieg am Horizonte &#x017F;chon wieder eine<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0042] Werner „Hans Hanſen“ wendete er ſich dann an einen Matroſen, „Du haſt gute Augen, geh in’s Want und ſieh, ob Du nicht einen Thurm gewahr werden kannſt.“ Der Angeredete enterte auf und ſuchte den Horizont ab. „Feuerthurm voraus drei Strich * in Lee“ rief er und zeigte mit der Hand nach der Richtung. „Gut,“ ſagte der Kapitän und winkte ihm herunter zu kommen. „Wie viel Abdrift haben wir?“ fragte er den Steuermann. „Vier Strich“ meldete dieſer, als er nach der Richtung des Kielwaſſers geſehen hatte. Der Wind war Nordweſt, die „Alma“ lag ſcheinbar etwas ab vom Lande, mit der Drift näherte ſie ſich jedoch demſelben. Wenn ein Schiff ſcharf am Winde ſegelt und nur kleine Segel führt, alſo wenig Fahrt machen kann, ſo geht es nicht in der Richtung ſeines Kiels voraus, ſondern wird vom Winde ſchräg ſeitwärts geſchoben — das iſt ſeine Abdrift. „Wir müſſen Segel ſetzen. Ein Reff aus den Marsſegeln!“ Das eben mit ſo viel Mühe und Roth eingenommene Reff wurde wieder ausgeſteckt. „Wie viel Drift?“ „Drei Strich!“ „Noch zu viel, Großſegel los!“ Das Großſegel wurde geſetzt und verminderte die Drift abermals um 1½ Strich. Das Schiff ging damit grade längs der Küſte, aber das genügte noch nicht, es mußte auch davon abliegen. Der Klüver wurde geheißt. Alles ging gut; das Schiff machte unter dem Preß von Segeln ſchlanke Fahrt und der Feuerthurm wanderte raſch aus. Noch zwei Stunden ſo, dann befanden wir uns in freiem Waſſer und konnten auf- athmen. Augenblicklich war der Wind nicht zu ſchwer für die Segel, aber dort leewärts ſtieg am Horizonte ſchon wieder eine * Der Compaß reſp. der Horizont wird in 360 Grade oder 32 Striche getheilt, von denen einer 11¼ Grad enthält.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/42
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/42>, abgerufen am 24.11.2024.