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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
mochte wol wirken, meine Gedanken verschwammen und ich
entschlummerte ebenfalls. Mein Schlaf mußte sehr fest sein.
Ich hörte beim Wachwechsel um vier Uhr nichts von dem
sonderbaren Gesange, mit dem die Freiwache geweckt wird "Reiß*
aus Quartier in Gottes Namen". Man ließ mich ruhig liegen
und erst gegen Tages Anbruch wurde ich wach, als der Alarm-
ruf "Reeve, Reeve" in die Logiskappe hinunter gellte. Der
Sturm hatte so zugenommen, daß das letzte Reff in die Mars-
segel gesteckt werden mußte. Jener Ruf an Bord von Handels-
schiffen wie "Ueberall, überall!" bedeutet, daß Noth am Mann
ist und alles flog aus der Coje. Ich fühlte mich wieder voll-
ständig gesund, war im Augenblick angekleidet und sprang als
einer der ersten die Treppe hinauf an Deck.

Huh! wie wehte es und wie peitschte Regen und Hagel in
das Gesicht, so daß man kaum die Augen öffnen konnte! Eine
schwere Hagelbö war eingefallen. Trotz der heruntergelassenen
Marssegel standen Raaen und Brassen zum brechen; das Schiff
lag so über, daß fast die Lee-Verschanzung im Wasser schleppte;
die See dampfte von vorn bis mittschiffs ununterbrochen über
Deck und man konnte nur vorwärts kommen, indem man sich
längs der Bordwand an den Tauen hielt. Der Bootsmann
hatte Recht gehabt, es lag noch viel Schlimmes in der Luft.

Mit Anspannung aller Kräfte gelang es uns, das dritte
Reff einzubinden, aber wir lagen über eine halbe Stunde auf
den Raaen und brachen uns die Fingernägel an dem nassen
steifen Segeltuch, ehe wir es bewältigten. Als wir endlich fertig
waren, hatte auch die Bö nachgelassen; das Schiff richtete sich
etwas auf und lag bequemer und ruhiger auf dem Wasser, ob-
wol es immer noch schlimm genug arbeitete. Es war hell
geworden und klarte auf.

"Mannt** das Loth!" befahl der Kapitän, der die ganze

* Gleichbedeutend hier mit dem englischen "rise", aufstehen.
** Bemannt.

Werner
mochte wol wirken, meine Gedanken verſchwammen und ich
entſchlummerte ebenfalls. Mein Schlaf mußte ſehr feſt ſein.
Ich hörte beim Wachwechſel um vier Uhr nichts von dem
ſonderbaren Geſange, mit dem die Freiwache geweckt wird „Reiß*
aus Quartier in Gottes Namen“. Man ließ mich ruhig liegen
und erſt gegen Tages Anbruch wurde ich wach, als der Alarm-
ruf „Reeve, Reeve“ in die Logiskappe hinunter gellte. Der
Sturm hatte ſo zugenommen, daß das letzte Reff in die Mars-
ſegel geſteckt werden mußte. Jener Ruf an Bord von Handels-
ſchiffen wie „Ueberall, überall!“ bedeutet, daß Noth am Mann
iſt und alles flog aus der Coje. Ich fühlte mich wieder voll-
ſtändig geſund, war im Augenblick angekleidet und ſprang als
einer der erſten die Treppe hinauf an Deck.

Huh! wie wehte es und wie peitſchte Regen und Hagel in
das Geſicht, ſo daß man kaum die Augen öffnen konnte! Eine
ſchwere Hagelbö war eingefallen. Trotz der heruntergelaſſenen
Marsſegel ſtanden Raaen und Braſſen zum brechen; das Schiff
lag ſo über, daß faſt die Lee-Verſchanzung im Waſſer ſchleppte;
die See dampfte von vorn bis mittſchiffs ununterbrochen über
Deck und man konnte nur vorwärts kommen, indem man ſich
längs der Bordwand an den Tauen hielt. Der Bootsmann
hatte Recht gehabt, es lag noch viel Schlimmes in der Luft.

Mit Anſpannung aller Kräfte gelang es uns, das dritte
Reff einzubinden, aber wir lagen über eine halbe Stunde auf
den Raaen und brachen uns die Fingernägel an dem naſſen
ſteifen Segeltuch, ehe wir es bewältigten. Als wir endlich fertig
waren, hatte auch die Bö nachgelaſſen; das Schiff richtete ſich
etwas auf und lag bequemer und ruhiger auf dem Waſſer, ob-
wol es immer noch ſchlimm genug arbeitete. Es war hell
geworden und klarte auf.

„Mannt** das Loth!“ befahl der Kapitän, der die ganze

* Gleichbedeutend hier mit dem engliſchen „rise“, aufſtehen.
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[28/0040] Werner mochte wol wirken, meine Gedanken verſchwammen und ich entſchlummerte ebenfalls. Mein Schlaf mußte ſehr feſt ſein. Ich hörte beim Wachwechſel um vier Uhr nichts von dem ſonderbaren Geſange, mit dem die Freiwache geweckt wird „Reiß * aus Quartier in Gottes Namen“. Man ließ mich ruhig liegen und erſt gegen Tages Anbruch wurde ich wach, als der Alarm- ruf „Reeve, Reeve“ in die Logiskappe hinunter gellte. Der Sturm hatte ſo zugenommen, daß das letzte Reff in die Mars- ſegel geſteckt werden mußte. Jener Ruf an Bord von Handels- ſchiffen wie „Ueberall, überall!“ bedeutet, daß Noth am Mann iſt und alles flog aus der Coje. Ich fühlte mich wieder voll- ſtändig geſund, war im Augenblick angekleidet und ſprang als einer der erſten die Treppe hinauf an Deck. Huh! wie wehte es und wie peitſchte Regen und Hagel in das Geſicht, ſo daß man kaum die Augen öffnen konnte! Eine ſchwere Hagelbö war eingefallen. Trotz der heruntergelaſſenen Marsſegel ſtanden Raaen und Braſſen zum brechen; das Schiff lag ſo über, daß faſt die Lee-Verſchanzung im Waſſer ſchleppte; die See dampfte von vorn bis mittſchiffs ununterbrochen über Deck und man konnte nur vorwärts kommen, indem man ſich längs der Bordwand an den Tauen hielt. Der Bootsmann hatte Recht gehabt, es lag noch viel Schlimmes in der Luft. Mit Anſpannung aller Kräfte gelang es uns, das dritte Reff einzubinden, aber wir lagen über eine halbe Stunde auf den Raaen und brachen uns die Fingernägel an dem naſſen ſteifen Segeltuch, ehe wir es bewältigten. Als wir endlich fertig waren, hatte auch die Bö nachgelaſſen; das Schiff richtete ſich etwas auf und lag bequemer und ruhiger auf dem Waſſer, ob- wol es immer noch ſchlimm genug arbeitete. Es war hell geworden und klarte auf. „Mannt ** das Loth!“ befahl der Kapitän, der die ganze * Gleichbedeutend hier mit dem engliſchen „rise“, aufſtehen. ** Bemannt.

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/40>, abgerufen am 24.11.2024.