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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Nach Westindien und dem Mittelmeer
friedlicher Menschen gefährdenden gesetzlosen Bande zu schützen.
Die Cortes hatten zwar selbst diese Schiffe als Piraten erklärt
und die Kriegsschiffe aller befreundeten Nationen waren durch einen
Erlaß der Regierung in Madrid aufgefordert worden, jene aufzu-
bringen, wo sie sie fänden, allein da die spanische Republik noch
nicht officiell vom deutschen Reiche anerkannt war, obwol ein
deutscher Geschäftsträger in Madrid mit ihr officiöse Beziehungen
unterhielt, so hätte ich auf Grund dieses Erlasses und ohne
weitere Instructionen nichts gegen die Schiffe der Intransigenten
unternehmen können, hielt mich aber in Anbetracht der oben
dargelegten Argumente dazu für berechtigt und verpflichtet.
Ich ging deshalb mit der Absicht nach Alicante, nicht nur das
Bombardement nicht zu dulden, sondern auch die "Victoria"
aufzubringen, wenn ich sie unter rother Flagge träfe, und sie
unschädlich zu machen. Dazu kam es jedoch nicht; denn als
wir am andern Morgen früh vor Alicante anlangten, begegnete
uns von weitem die "Victoria" und zeigte ihre Flagge, aber
nicht die rothe, sondern die spanische. Da ich überdem nicht
wußte, ob das angedrohte Bombardement wirklich stattgefunden,
so fehlte mir jetzt ein legaler Grund zum Angriff und ich ließ
sie auf ihrem südwärts gerichteten Wege passiren.

In Alicante selbst erfuhren wir, daß das Telegramm des
englischen Consuls über die bevorstehende Ankunft und Schutz-
leistung des "Friedrich Karl" die Sachlage ganz bedeutend ver-
ändert hatte. Die Flüchtlinge waren größtentheils zurückgekehrt
und die "Victoria" hatte ihre Drohung, die Stadt zu bombar-
diren, nicht ausgeführt, sondern, im Bewußtsein ihres illegalen
Treibens, es vorgezogen, sich zu entfernen, jedoch noch einen
auf der Rhede liegenden Aviso, den "Vigilante", mitgenommen.
Die "Victoria" sollte sich nach Torre-vieja, einer kleinen auf
dem Wege nach Cartagena liegenden Hafenstadt, begeben haben,
um dort ihre Erpressungen fortzusetzen. Ich verließ deshalb
Abends Alicante, wo von den Schiffen der Intransigenten keine

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Nach Weſtindien und dem Mittelmeer
friedlicher Menſchen gefährdenden geſetzloſen Bande zu ſchützen.
Die Cortes hatten zwar ſelbſt dieſe Schiffe als Piraten erklärt
und die Kriegsſchiffe aller befreundeten Nationen waren durch einen
Erlaß der Regierung in Madrid aufgefordert worden, jene aufzu-
bringen, wo ſie ſie fänden, allein da die ſpaniſche Republik noch
nicht officiell vom deutſchen Reiche anerkannt war, obwol ein
deutſcher Geſchäftsträger in Madrid mit ihr officiöſe Beziehungen
unterhielt, ſo hätte ich auf Grund dieſes Erlaſſes und ohne
weitere Inſtructionen nichts gegen die Schiffe der Intranſigenten
unternehmen können, hielt mich aber in Anbetracht der oben
dargelegten Argumente dazu für berechtigt und verpflichtet.
Ich ging deshalb mit der Abſicht nach Alicante, nicht nur das
Bombardement nicht zu dulden, ſondern auch die „Victoria“
aufzubringen, wenn ich ſie unter rother Flagge träfe, und ſie
unſchädlich zu machen. Dazu kam es jedoch nicht; denn als
wir am andern Morgen früh vor Alicante anlangten, begegnete
uns von weitem die „Victoria“ und zeigte ihre Flagge, aber
nicht die rothe, ſondern die ſpaniſche. Da ich überdem nicht
wußte, ob das angedrohte Bombardement wirklich ſtattgefunden,
ſo fehlte mir jetzt ein legaler Grund zum Angriff und ich ließ
ſie auf ihrem ſüdwärts gerichteten Wege paſſiren.

In Alicante ſelbſt erfuhren wir, daß das Telegramm des
engliſchen Conſuls über die bevorſtehende Ankunft und Schutz-
leiſtung des „Friedrich Karl“ die Sachlage ganz bedeutend ver-
ändert hatte. Die Flüchtlinge waren größtentheils zurückgekehrt
und die „Victoria“ hatte ihre Drohung, die Stadt zu bombar-
diren, nicht ausgeführt, ſondern, im Bewußtſein ihres illegalen
Treibens, es vorgezogen, ſich zu entfernen, jedoch noch einen
auf der Rhede liegenden Aviſo, den „Vigilante“, mitgenommen.
Die „Victoria“ ſollte ſich nach Torre-vieja, einer kleinen auf
dem Wege nach Cartagena liegenden Hafenſtadt, begeben haben,
um dort ihre Erpreſſungen fortzuſetzen. Ich verließ deshalb
Abends Alicante, wo von den Schiffen der Intranſigenten keine

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[387/0399] Nach Weſtindien und dem Mittelmeer friedlicher Menſchen gefährdenden geſetzloſen Bande zu ſchützen. Die Cortes hatten zwar ſelbſt dieſe Schiffe als Piraten erklärt und die Kriegsſchiffe aller befreundeten Nationen waren durch einen Erlaß der Regierung in Madrid aufgefordert worden, jene aufzu- bringen, wo ſie ſie fänden, allein da die ſpaniſche Republik noch nicht officiell vom deutſchen Reiche anerkannt war, obwol ein deutſcher Geſchäftsträger in Madrid mit ihr officiöſe Beziehungen unterhielt, ſo hätte ich auf Grund dieſes Erlaſſes und ohne weitere Inſtructionen nichts gegen die Schiffe der Intranſigenten unternehmen können, hielt mich aber in Anbetracht der oben dargelegten Argumente dazu für berechtigt und verpflichtet. Ich ging deshalb mit der Abſicht nach Alicante, nicht nur das Bombardement nicht zu dulden, ſondern auch die „Victoria“ aufzubringen, wenn ich ſie unter rother Flagge träfe, und ſie unſchädlich zu machen. Dazu kam es jedoch nicht; denn als wir am andern Morgen früh vor Alicante anlangten, begegnete uns von weitem die „Victoria“ und zeigte ihre Flagge, aber nicht die rothe, ſondern die ſpaniſche. Da ich überdem nicht wußte, ob das angedrohte Bombardement wirklich ſtattgefunden, ſo fehlte mir jetzt ein legaler Grund zum Angriff und ich ließ ſie auf ihrem ſüdwärts gerichteten Wege paſſiren. In Alicante ſelbſt erfuhren wir, daß das Telegramm des engliſchen Conſuls über die bevorſtehende Ankunft und Schutz- leiſtung des „Friedrich Karl“ die Sachlage ganz bedeutend ver- ändert hatte. Die Flüchtlinge waren größtentheils zurückgekehrt und die „Victoria“ hatte ihre Drohung, die Stadt zu bombar- diren, nicht ausgeführt, ſondern, im Bewußtſein ihres illegalen Treibens, es vorgezogen, ſich zu entfernen, jedoch noch einen auf der Rhede liegenden Aviſo, den „Vigilante“, mitgenommen. Die „Victoria“ ſollte ſich nach Torre-vieja, einer kleinen auf dem Wege nach Cartagena liegenden Hafenſtadt, begeben haben, um dort ihre Erpreſſungen fortzuſetzen. Ich verließ deshalb Abends Alicante, wo von den Schiffen der Intranſigenten keine 25*

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/399>, abgerufen am 22.11.2024.