seine körperliche Leistungsfähigkeit die frühere Sclavenarbeit zu ersetzen und dem wirthschaftlichen Ruin oder wenigstens dem Rückgange vorzubeugen, den die Aufhebung der Sclaverei noth- wendig nach sich zieht. In Ländern jedoch, deren Klima dem weißen Manne dauernde Arbeit im Freien oder in Fabriken ge- stattet, ist die Einführung von Chinesen in größeren Massen keineswegs wünschenswerth, weil die Weißen mit ihnen durchaus nicht concurriren können.
Faßt man nur die materielle Seite in's Auge, so mag es willkommen sein, wenn die Arbeitskraft und infolge davon die Productionskosten sich so viel billiger stellen, aber es ist auch das ethische Moment zu berücksichtigen. Die Fortschritte der Civilisation sind darauf gerichtet, selbst dem Niedrigstgeborenen ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, und wenn dasselbe sich auch nur in den bescheidensten Ansprüchen bewegt, so erfordert es für den weißen Arbeiter eine gewisse Summe für den Lebens- unterhalt, nach der sich seine Lohnforderungen richten müssen. Unter ein gewisses Minimum darf der weiße Arbeiter nicht hin- abgehen, ohne geistig und körperlich zu verkommen und mit dem, was der Kuli für sich gebraucht, ist es jenem unmöglich zu exi- stiren. Der Chinese miethet sich mit acht bis zehn Kameraden einen Raum als Wohnung, dessen Kubikinhalt kaum für einen Europäer genügt, in dem die ganze schmutzige Gesellschaft lebt, speist, schläft und in dessen für Weiße unerträglicher Atmo- sphäre sich die Ausdünstungen so vieler Menschen mit dem widerlich süßen Geruche des Opiumrauches mischen. Die Bett- stellen sind wegen des beschränkten Platzes, drei bis vier über einander, an den Wänden aus alten Brettern zusammengeschlagen und ein paar Strohmatten bilden das Lager. Die Kleidung deckt nur auf das Dürftigste die Blößen, Mobiliar wird als überflüßig betrachtet, und die Chinesen begnügen sich mit einer Nahrung, die bei uns selbst der hungrige Bettler verschmähen würde und bei der er auch nicht leben könnte. Dazu tritt
Nach Weſtindien und dem Mittelmeer
ſeine körperliche Leiſtungsfähigkeit die frühere Sclavenarbeit zu erſetzen und dem wirthſchaftlichen Ruin oder wenigſtens dem Rückgange vorzubeugen, den die Aufhebung der Sclaverei noth- wendig nach ſich zieht. In Ländern jedoch, deren Klima dem weißen Manne dauernde Arbeit im Freien oder in Fabriken ge- ſtattet, iſt die Einführung von Chineſen in größeren Maſſen keineswegs wünſchenswerth, weil die Weißen mit ihnen durchaus nicht concurriren können.
Faßt man nur die materielle Seite in’s Auge, ſo mag es willkommen ſein, wenn die Arbeitskraft und infolge davon die Productionskoſten ſich ſo viel billiger ſtellen, aber es iſt auch das ethiſche Moment zu berückſichtigen. Die Fortſchritte der Civiliſation ſind darauf gerichtet, ſelbſt dem Niedrigſtgeborenen ein menſchenwürdiges Daſein zu ſichern, und wenn daſſelbe ſich auch nur in den beſcheidenſten Anſprüchen bewegt, ſo erfordert es für den weißen Arbeiter eine gewiſſe Summe für den Lebens- unterhalt, nach der ſich ſeine Lohnforderungen richten müſſen. Unter ein gewiſſes Minimum darf der weiße Arbeiter nicht hin- abgehen, ohne geiſtig und körperlich zu verkommen und mit dem, was der Kuli für ſich gebraucht, iſt es jenem unmöglich zu exi- ſtiren. Der Chineſe miethet ſich mit acht bis zehn Kameraden einen Raum als Wohnung, deſſen Kubikinhalt kaum für einen Europäer genügt, in dem die ganze ſchmutzige Geſellſchaft lebt, ſpeiſt, ſchläft und in deſſen für Weiße unerträglicher Atmo- ſphäre ſich die Ausdünſtungen ſo vieler Menſchen mit dem widerlich ſüßen Geruche des Opiumrauches miſchen. Die Bett- ſtellen ſind wegen des beſchränkten Platzes, drei bis vier über einander, an den Wänden aus alten Brettern zuſammengeſchlagen und ein paar Strohmatten bilden das Lager. Die Kleidung deckt nur auf das Dürftigſte die Blößen, Mobiliar wird als überflüßig betrachtet, und die Chineſen begnügen ſich mit einer Nahrung, die bei uns ſelbſt der hungrige Bettler verſchmähen würde und bei der er auch nicht leben könnte. Dazu tritt
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Nach Weſtindien und dem Mittelmeer
ſeine körperliche Leiſtungsfähigkeit die frühere Sclavenarbeit zu
erſetzen und dem wirthſchaftlichen Ruin oder wenigſtens dem
Rückgange vorzubeugen, den die Aufhebung der Sclaverei noth-
wendig nach ſich zieht. In Ländern jedoch, deren Klima dem
weißen Manne dauernde Arbeit im Freien oder in Fabriken ge-
ſtattet, iſt die Einführung von Chineſen in größeren Maſſen
keineswegs wünſchenswerth, weil die Weißen mit ihnen durchaus
nicht concurriren können.
Faßt man nur die materielle Seite in’s Auge, ſo mag es
willkommen ſein, wenn die Arbeitskraft und infolge davon die
Productionskoſten ſich ſo viel billiger ſtellen, aber es iſt auch
das ethiſche Moment zu berückſichtigen. Die Fortſchritte der
Civiliſation ſind darauf gerichtet, ſelbſt dem Niedrigſtgeborenen
ein menſchenwürdiges Daſein zu ſichern, und wenn daſſelbe ſich
auch nur in den beſcheidenſten Anſprüchen bewegt, ſo erfordert
es für den weißen Arbeiter eine gewiſſe Summe für den Lebens-
unterhalt, nach der ſich ſeine Lohnforderungen richten müſſen.
Unter ein gewiſſes Minimum darf der weiße Arbeiter nicht hin-
abgehen, ohne geiſtig und körperlich zu verkommen und mit dem,
was der Kuli für ſich gebraucht, iſt es jenem unmöglich zu exi-
ſtiren. Der Chineſe miethet ſich mit acht bis zehn Kameraden
einen Raum als Wohnung, deſſen Kubikinhalt kaum für einen
Europäer genügt, in dem die ganze ſchmutzige Geſellſchaft lebt,
ſpeiſt, ſchläft und in deſſen für Weiße unerträglicher Atmo-
ſphäre ſich die Ausdünſtungen ſo vieler Menſchen mit dem
widerlich ſüßen Geruche des Opiumrauches miſchen. Die Bett-
ſtellen ſind wegen des beſchränkten Platzes, drei bis vier über
einander, an den Wänden aus alten Brettern zuſammengeſchlagen
und ein paar Strohmatten bilden das Lager. Die Kleidung
deckt nur auf das Dürftigſte die Blößen, Mobiliar wird als
überflüßig betrachtet, und die Chineſen begnügen ſich mit einer
Nahrung, die bei uns ſelbſt der hungrige Bettler verſchmähen
würde und bei der er auch nicht leben könnte. Dazu tritt
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/375>, abgerufen am 27.07.2024.
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