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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Nach Westindien und dem Mittelmeer
dem gewöhnlichen Columbier die Arbeit ankommen muß, geht
aus den Lohnsätzen hervor, die für den Tagarbeiter vier bis
fünf Mark betragen. In europäischen Ländern besteht ein ziem-
lich festes Verhältniß zwischen dem Taglohn und dem täg-
lichen Bedarf des Arbeiters und seiner Familie, und beide
decken sich ungefähr. Dort ist das aber keineswegs der Fall,
weil das Volk nur ein Minimum von Bedürfnissen hat. Man
trete in die Wohnung eines solchen Taglöhners, die zunächst
von ihm selbst gebaut wird und nichts kostet, als allerdings ein
paar Tage Arbeit. Das Holzgerüst holt er sich aus den
Wäldern, die Matten, mit denen er Dach und Seiten deckt,
flechten Frau und Kinder. Damit ist die Wohnungsfrage er-
ledigt, die im Leben unseres Arbeiters eine bedeutende Rolle
spielt. Betten kennt der columbische Taglöhner nicht; eine auf
dem Fußboden ausgebreitete Matte ersetzt sie. Die Kleidung
besteht aus einigen Lumpen für die Erwachsenen und aus
Schmutz für die sonst nackten Kinder. An Hausrath genügt
ein Topf zum Kochen der Speisen, eine Kalebasse und ein Hack-
messer zum Hauen des für die Feuerung nöthigen Holzes.
Einige süße Kartoffeln, dann und wann auch etwas Fleischab-
fall und wildwachsende oder wenigstens sehr billige Bananen
und andere Früchte -- das sind die Bedürfnisse der niederen
Volksclassen. Man sieht, daß wenige Pfennige dafür ausreichen
und daß es den Fremden schwer werden muß, ständige Arbeiter
zu bekommen, weil der Lohn einer Woche genügt, um Monate
lang alle ihre Wünsche zu befriedigen. Im Innern, auf den
Hochebenen von Bogota, soll die Arbeitsscheu nicht ganz so groß
sein wie in den heißeren Strichen des Flachlandes und der Küste;
von daher kommen die Hauptausfuhrartikel: Tabak, Kaffee,
Chinarinde, Gelbholz, Indigo, Elfenbeinnüsse und Baumwolle.
Die Cultur der letzteren ist noch nicht lange in Columbia ein-
geführt, rentirt aber, da Boden und Klima sich gut dafür
eignen. Da Baumwollenpflanzungen verhältnißmäßig wenig

Nach Weſtindien und dem Mittelmeer
dem gewöhnlichen Columbier die Arbeit ankommen muß, geht
aus den Lohnſätzen hervor, die für den Tagarbeiter vier bis
fünf Mark betragen. In europäiſchen Ländern beſteht ein ziem-
lich feſtes Verhältniß zwiſchen dem Taglohn und dem täg-
lichen Bedarf des Arbeiters und ſeiner Familie, und beide
decken ſich ungefähr. Dort iſt das aber keineswegs der Fall,
weil das Volk nur ein Minimum von Bedürfniſſen hat. Man
trete in die Wohnung eines ſolchen Taglöhners, die zunächſt
von ihm ſelbſt gebaut wird und nichts koſtet, als allerdings ein
paar Tage Arbeit. Das Holzgerüſt holt er ſich aus den
Wäldern, die Matten, mit denen er Dach und Seiten deckt,
flechten Frau und Kinder. Damit iſt die Wohnungsfrage er-
ledigt, die im Leben unſeres Arbeiters eine bedeutende Rolle
ſpielt. Betten kennt der columbiſche Taglöhner nicht; eine auf
dem Fußboden ausgebreitete Matte erſetzt ſie. Die Kleidung
beſteht aus einigen Lumpen für die Erwachſenen und aus
Schmutz für die ſonſt nackten Kinder. An Hausrath genügt
ein Topf zum Kochen der Speiſen, eine Kalebaſſe und ein Hack-
meſſer zum Hauen des für die Feuerung nöthigen Holzes.
Einige ſüße Kartoffeln, dann und wann auch etwas Fleiſchab-
fall und wildwachſende oder wenigſtens ſehr billige Bananen
und andere Früchte — das ſind die Bedürfniſſe der niederen
Volksclaſſen. Man ſieht, daß wenige Pfennige dafür ausreichen
und daß es den Fremden ſchwer werden muß, ſtändige Arbeiter
zu bekommen, weil der Lohn einer Woche genügt, um Monate
lang alle ihre Wünſche zu befriedigen. Im Innern, auf den
Hochebenen von Bogota, ſoll die Arbeitsſcheu nicht ganz ſo groß
ſein wie in den heißeren Strichen des Flachlandes und der Küſte;
von daher kommen die Hauptausfuhrartikel: Tabak, Kaffee,
Chinarinde, Gelbholz, Indigo, Elfenbeinnüſſe und Baumwolle.
Die Cultur der letzteren iſt noch nicht lange in Columbia ein-
geführt, rentirt aber, da Boden und Klima ſich gut dafür
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[347/0359] Nach Weſtindien und dem Mittelmeer dem gewöhnlichen Columbier die Arbeit ankommen muß, geht aus den Lohnſätzen hervor, die für den Tagarbeiter vier bis fünf Mark betragen. In europäiſchen Ländern beſteht ein ziem- lich feſtes Verhältniß zwiſchen dem Taglohn und dem täg- lichen Bedarf des Arbeiters und ſeiner Familie, und beide decken ſich ungefähr. Dort iſt das aber keineswegs der Fall, weil das Volk nur ein Minimum von Bedürfniſſen hat. Man trete in die Wohnung eines ſolchen Taglöhners, die zunächſt von ihm ſelbſt gebaut wird und nichts koſtet, als allerdings ein paar Tage Arbeit. Das Holzgerüſt holt er ſich aus den Wäldern, die Matten, mit denen er Dach und Seiten deckt, flechten Frau und Kinder. Damit iſt die Wohnungsfrage er- ledigt, die im Leben unſeres Arbeiters eine bedeutende Rolle ſpielt. Betten kennt der columbiſche Taglöhner nicht; eine auf dem Fußboden ausgebreitete Matte erſetzt ſie. Die Kleidung beſteht aus einigen Lumpen für die Erwachſenen und aus Schmutz für die ſonſt nackten Kinder. An Hausrath genügt ein Topf zum Kochen der Speiſen, eine Kalebaſſe und ein Hack- meſſer zum Hauen des für die Feuerung nöthigen Holzes. Einige ſüße Kartoffeln, dann und wann auch etwas Fleiſchab- fall und wildwachſende oder wenigſtens ſehr billige Bananen und andere Früchte — das ſind die Bedürfniſſe der niederen Volksclaſſen. Man ſieht, daß wenige Pfennige dafür ausreichen und daß es den Fremden ſchwer werden muß, ſtändige Arbeiter zu bekommen, weil der Lohn einer Woche genügt, um Monate lang alle ihre Wünſche zu befriedigen. Im Innern, auf den Hochebenen von Bogota, ſoll die Arbeitsſcheu nicht ganz ſo groß ſein wie in den heißeren Strichen des Flachlandes und der Küſte; von daher kommen die Hauptausfuhrartikel: Tabak, Kaffee, Chinarinde, Gelbholz, Indigo, Elfenbeinnüſſe und Baumwolle. Die Cultur der letzteren iſt noch nicht lange in Columbia ein- geführt, rentirt aber, da Boden und Klima ſich gut dafür eignen. Da Baumwollenpflanzungen verhältnißmäßig wenig

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/359>, abgerufen am 26.11.2024.