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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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stadt, die jährlich von Hunderten größerer Schiffe besucht wird,
auf solche Weise vernachlässigt sein!

Ueberhaupt hat La Guayra eine sehr ungünstige Lage. Auf
einem schmalen Küstensaum erbaut, liegt es, von beiden Seiten
zwischen kahlen Felsen eingeklemmt, in glühendem Sonnen-
brande und ist vom Hinterlande durch eine bis 2500 Meter hoch
steigende Gebirgskette abgeschnitten, deren steile Wände sich un-
mittelbar hinter der Stadt erheben und mit der Küste parallel
laufen. Zwei schmale Reitwege und eine breitere Fahrstraße
vermitteln die Communication mit dem Innern resp. mit der
Hauptstadt Caracas, die zwar in der Luftlinie nur 1 1/2 Meilen
entfernt liegt, aber zu Wagen mit guten Pferden in nicht weniger
Zeit als vier Stunden erreicht werden kann.

Der Fahrweg ist an den Bergabhängen ausgeschnitten und
steigt im Zickzack bis zu 1300 Meter an, um dann allmälig
wieder abwärts zu gehen. Er ist so breit, daß sich zwei Wagen
passiren können, aber trotzdem kommen häufig Unglücksfälle vor,
und sehr oft begegnet man roh gearbeiteten Kreuzen, welche die
Stelle bezeichnen, wo Menschen oder ganze Gefährte in die steilen
Abgründe gestürzt sind.

La Guayra bietet nicht die mindesten Reize; es besitzt
weder hervorragende Gebäude noch sonstige Sehenswürdigkeiten.
Die Häuser sind im langweiligen Tropenstyl nach demselben
Schema gebaut und wegen der Erdbeben meistens einstöckig. In
der Stadt selbst fehlt jede Vegetation und nur die Umgebung
mit den reichbewaldeten Gebirgen als Hintergrund und deren
rechtwinklig auf die Küste stoßenden Ausläufern, die ebenso viele
Vorgebirge bilden, giebt La Guayra einen gewissen romantischen
Anstrich. Jedenfalls ist es aber nicht im Stande, den Besucher
irgendwie zu fesseln, und auch wir blieben nur so lange, um
eine Reise nach Caracas zu machen, dessen Schönheit durch
Humboldts Schilderungen in uns hohe Erwartungen geweckt
hatte.


Werner
ſtadt, die jährlich von Hunderten größerer Schiffe beſucht wird,
auf ſolche Weiſe vernachläſſigt ſein!

Ueberhaupt hat La Guayra eine ſehr ungünſtige Lage. Auf
einem ſchmalen Küſtenſaum erbaut, liegt es, von beiden Seiten
zwiſchen kahlen Felſen eingeklemmt, in glühendem Sonnen-
brande und iſt vom Hinterlande durch eine bis 2500 Meter hoch
ſteigende Gebirgskette abgeſchnitten, deren ſteile Wände ſich un-
mittelbar hinter der Stadt erheben und mit der Küſte parallel
laufen. Zwei ſchmale Reitwege und eine breitere Fahrſtraße
vermitteln die Communication mit dem Innern reſp. mit der
Hauptſtadt Caracas, die zwar in der Luftlinie nur 1 ½ Meilen
entfernt liegt, aber zu Wagen mit guten Pferden in nicht weniger
Zeit als vier Stunden erreicht werden kann.

Der Fahrweg iſt an den Bergabhängen ausgeſchnitten und
ſteigt im Zickzack bis zu 1300 Meter an, um dann allmälig
wieder abwärts zu gehen. Er iſt ſo breit, daß ſich zwei Wagen
paſſiren können, aber trotzdem kommen häufig Unglücksfälle vor,
und ſehr oft begegnet man roh gearbeiteten Kreuzen, welche die
Stelle bezeichnen, wo Menſchen oder ganze Gefährte in die ſteilen
Abgründe geſtürzt ſind.

La Guayra bietet nicht die mindeſten Reize; es beſitzt
weder hervorragende Gebäude noch ſonſtige Sehenswürdigkeiten.
Die Häuſer ſind im langweiligen Tropenſtyl nach demſelben
Schema gebaut und wegen der Erdbeben meiſtens einſtöckig. In
der Stadt ſelbſt fehlt jede Vegetation und nur die Umgebung
mit den reichbewaldeten Gebirgen als Hintergrund und deren
rechtwinklig auf die Küſte ſtoßenden Ausläufern, die ebenſo viele
Vorgebirge bilden, giebt La Guayra einen gewiſſen romantiſchen
Anſtrich. Jedenfalls iſt es aber nicht im Stande, den Beſucher
irgendwie zu feſſeln, und auch wir blieben nur ſo lange, um
eine Reiſe nach Caracas zu machen, deſſen Schönheit durch
Humboldts Schilderungen in uns hohe Erwartungen geweckt
hatte.


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[328/0340] Werner ſtadt, die jährlich von Hunderten größerer Schiffe beſucht wird, auf ſolche Weiſe vernachläſſigt ſein! Ueberhaupt hat La Guayra eine ſehr ungünſtige Lage. Auf einem ſchmalen Küſtenſaum erbaut, liegt es, von beiden Seiten zwiſchen kahlen Felſen eingeklemmt, in glühendem Sonnen- brande und iſt vom Hinterlande durch eine bis 2500 Meter hoch ſteigende Gebirgskette abgeſchnitten, deren ſteile Wände ſich un- mittelbar hinter der Stadt erheben und mit der Küſte parallel laufen. Zwei ſchmale Reitwege und eine breitere Fahrſtraße vermitteln die Communication mit dem Innern reſp. mit der Hauptſtadt Caracas, die zwar in der Luftlinie nur 1 ½ Meilen entfernt liegt, aber zu Wagen mit guten Pferden in nicht weniger Zeit als vier Stunden erreicht werden kann. Der Fahrweg iſt an den Bergabhängen ausgeſchnitten und ſteigt im Zickzack bis zu 1300 Meter an, um dann allmälig wieder abwärts zu gehen. Er iſt ſo breit, daß ſich zwei Wagen paſſiren können, aber trotzdem kommen häufig Unglücksfälle vor, und ſehr oft begegnet man roh gearbeiteten Kreuzen, welche die Stelle bezeichnen, wo Menſchen oder ganze Gefährte in die ſteilen Abgründe geſtürzt ſind. La Guayra bietet nicht die mindeſten Reize; es beſitzt weder hervorragende Gebäude noch ſonſtige Sehenswürdigkeiten. Die Häuſer ſind im langweiligen Tropenſtyl nach demſelben Schema gebaut und wegen der Erdbeben meiſtens einſtöckig. In der Stadt ſelbſt fehlt jede Vegetation und nur die Umgebung mit den reichbewaldeten Gebirgen als Hintergrund und deren rechtwinklig auf die Küſte ſtoßenden Ausläufern, die ebenſo viele Vorgebirge bilden, giebt La Guayra einen gewiſſen romantiſchen Anſtrich. Jedenfalls iſt es aber nicht im Stande, den Beſucher irgendwie zu feſſeln, und auch wir blieben nur ſo lange, um eine Reiſe nach Caracas zu machen, deſſen Schönheit durch Humboldts Schilderungen in uns hohe Erwartungen geweckt hatte.

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/340>, abgerufen am 25.11.2024.