sich im Zickzack an die Bergwände, und unwillkührlich drängt man die Pferde ganz nahe an die letzteren, wenn sich zur Linken jähe Abgründe öffnen, die oft eine Tiefe von einigen Tausend Fuß haben.
Oben auf der Höhe wurde eine kurze Rast gemacht, um unsere Thiere verschnaufen zu lassen und uns selbst an einem Trunke Quellwasser zu erlaben, das in der Nähe aus einem Felsen rieselte. Ein großer Theil der Insel wurde von uns überschaut, doch dem Panorama fehlte die Lieblichkeit; wir standen zu hoch, um in den Thälern etwas zu unterscheiden. Auch das umgebende Meer verschwamm mit den Wolken zu einer farb- losen unendlichen Fläche, und so wanderte der Blick nur über schroff abfallende Schluchten, zerklüftete Felsen und wilde Natur, ohne sich daran zu erquicken.
Der Thalritt entschädigte uns reichlich. Fast mit jedem Schritte abwärts änderte sich die Scenerie und wurde schöner, der Wald dichter und üppiger. Die bis dahin kahlen Fels- wände bekleideten sich mit saftigem Grün, aus dem dunkel- rothe Fuchsien hervorleuchteten; Schlingpflanzen hingen in zier- lichen Festons von Baum und Stein herab. Schnell näherten wir uns jetzt unserem Ziel, dem idyllischen Thal, durch welches der Rio-Frio sich auf seiner Bahn zum Meere schlängelt. Bald hörten wir sein Rauschen und sahen ihn aus weiter Ferne vom Pico-Ruivo herabkommen. Wie ein neckender Nix spielt und tanzt er hier in silbernen Wellen, verschwindet dort hinter einem Vorsprunge, bald als Wasserfall, bald als Fontäne aus enger Felsspalte in blitzendem Sprühregen wieder hervorquellend, um abermals sich zu verbergen und endlich durch saftiges Wiesengrün ruhig dahinzuströmen. Zart gefiedertes Farrenkraut bekränzt sein Bett, Wasserlilien und duftige Feldblumen nicken träumerisch ihm zu. Goldiger Sonnenschein spiegelt sich in ihm wieder, ein kühler Hauch fächelt uns und stiller Friede lagert über der Stätte, die mit Recht der schönste Punkt der ganzen Insel ge-
Nach Weſtindien und dem Mittelmeer
ſich im Zickzack an die Bergwände, und unwillkührlich drängt man die Pferde ganz nahe an die letzteren, wenn ſich zur Linken jähe Abgründe öffnen, die oft eine Tiefe von einigen Tauſend Fuß haben.
Oben auf der Höhe wurde eine kurze Raſt gemacht, um unſere Thiere verſchnaufen zu laſſen und uns ſelbſt an einem Trunke Quellwaſſer zu erlaben, das in der Nähe aus einem Felſen rieſelte. Ein großer Theil der Inſel wurde von uns überſchaut, doch dem Panorama fehlte die Lieblichkeit; wir ſtanden zu hoch, um in den Thälern etwas zu unterſcheiden. Auch das umgebende Meer verſchwamm mit den Wolken zu einer farb- loſen unendlichen Fläche, und ſo wanderte der Blick nur über ſchroff abfallende Schluchten, zerklüftete Felſen und wilde Natur, ohne ſich daran zu erquicken.
Der Thalritt entſchädigte uns reichlich. Faſt mit jedem Schritte abwärts änderte ſich die Scenerie und wurde ſchöner, der Wald dichter und üppiger. Die bis dahin kahlen Fels- wände bekleideten ſich mit ſaftigem Grün, aus dem dunkel- rothe Fuchſien hervorleuchteten; Schlingpflanzen hingen in zier- lichen Feſtons von Baum und Stein herab. Schnell näherten wir uns jetzt unſerem Ziel, dem idylliſchen Thal, durch welches der Rio-Frio ſich auf ſeiner Bahn zum Meere ſchlängelt. Bald hörten wir ſein Rauſchen und ſahen ihn aus weiter Ferne vom Pico-Ruivo herabkommen. Wie ein neckender Nix ſpielt und tanzt er hier in ſilbernen Wellen, verſchwindet dort hinter einem Vorſprunge, bald als Waſſerfall, bald als Fontäne aus enger Felsſpalte in blitzendem Sprühregen wieder hervorquellend, um abermals ſich zu verbergen und endlich durch ſaftiges Wieſengrün ruhig dahinzuſtrömen. Zart gefiedertes Farrenkraut bekränzt ſein Bett, Waſſerlilien und duftige Feldblumen nicken träumeriſch ihm zu. Goldiger Sonnenſchein ſpiegelt ſich in ihm wieder, ein kühler Hauch fächelt uns und ſtiller Friede lagert über der Stätte, die mit Recht der ſchönſte Punkt der ganzen Inſel ge-
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Nach Weſtindien und dem Mittelmeer
ſich im Zickzack an die Bergwände, und unwillkührlich drängt
man die Pferde ganz nahe an die letzteren, wenn ſich zur Linken
jähe Abgründe öffnen, die oft eine Tiefe von einigen Tauſend
Fuß haben.
Oben auf der Höhe wurde eine kurze Raſt gemacht, um
unſere Thiere verſchnaufen zu laſſen und uns ſelbſt an einem
Trunke Quellwaſſer zu erlaben, das in der Nähe aus einem
Felſen rieſelte. Ein großer Theil der Inſel wurde von uns
überſchaut, doch dem Panorama fehlte die Lieblichkeit; wir ſtanden
zu hoch, um in den Thälern etwas zu unterſcheiden. Auch das
umgebende Meer verſchwamm mit den Wolken zu einer farb-
loſen unendlichen Fläche, und ſo wanderte der Blick nur über
ſchroff abfallende Schluchten, zerklüftete Felſen und wilde Natur,
ohne ſich daran zu erquicken.
Der Thalritt entſchädigte uns reichlich. Faſt mit jedem
Schritte abwärts änderte ſich die Scenerie und wurde ſchöner,
der Wald dichter und üppiger. Die bis dahin kahlen Fels-
wände bekleideten ſich mit ſaftigem Grün, aus dem dunkel-
rothe Fuchſien hervorleuchteten; Schlingpflanzen hingen in zier-
lichen Feſtons von Baum und Stein herab. Schnell näherten
wir uns jetzt unſerem Ziel, dem idylliſchen Thal, durch welches
der Rio-Frio ſich auf ſeiner Bahn zum Meere ſchlängelt. Bald
hörten wir ſein Rauſchen und ſahen ihn aus weiter Ferne vom
Pico-Ruivo herabkommen. Wie ein neckender Nix ſpielt und
tanzt er hier in ſilbernen Wellen, verſchwindet dort hinter einem
Vorſprunge, bald als Waſſerfall, bald als Fontäne aus enger
Felsſpalte in blitzendem Sprühregen wieder hervorquellend, um
abermals ſich zu verbergen und endlich durch ſaftiges Wieſengrün
ruhig dahinzuſtrömen. Zart gefiedertes Farrenkraut bekränzt ſein
Bett, Waſſerlilien und duftige Feldblumen nicken träumeriſch
ihm zu. Goldiger Sonnenſchein ſpiegelt ſich in ihm wieder, ein
kühler Hauch fächelt uns und ſtiller Friede lagert über der
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/325>, abgerufen am 22.11.2024.
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