trennliche Begleiter und Schatten des Commandanten, wo dieser irgendwo im Schiffe dienstlich erschien, und fehlte deshalb auch nie auf den "fliegenden Blättern", auf denen der Kapitän selbst verherrlicht wurde.
Letzterer musterte jeden Morgen die Junker selbst, ehe der Unterricht begann und achtete sehr genau darauf, daß sich ihr Aeußeres tadellos präsentirte. Eine aufgegangene Naht, ein ungebürstetes Kleidungsstück oder ein "manquirender Knoop" (fehlender Knopf) wurde unnachsichtlich mit 24 Stunden Arrest oder den Umständen nach mit mehr geahndet. Eine solche Musterung war auch der Gegenstand einer sehr gelungenen Zeich- nung geworden. Die Seejunker standen porträtähnlich und nach ihrer Größe rangirt auf dem Hinterdeck aufgestellt. Der inspi- cirende Commandant, angethan mit einem französischen Kapuzen- mantel, den er bei rauhem Wetter regelmäßig trug, war bei dem Kleinsten angelangt und schien ihm sehr ernste Vorhaltungen gemacht zu haben. Der Profoß stand dabei und notirte in seinem dickleibigen Taschenbuche die verhängte Strafe. Als Commentar dienten die Worte des Kapitäns: "Junker, manquirt een Finger; consignirt voor drie Dagen Arrest und als es noch eens gebührt, soll ich voor Ihren Abscheid fragen." (Junker, Ihnen fehlt ein Finger; dafür erhalten Sie drei Tage Arrest und wenn das noch einmal vorkommt, werde ich Sie zum Ab- schiede eingeben.) Dem Angeredeten fehlte nämlich ein Finger- glied an der linken Hand.
In den Mußestunden ließ man den jungen Leuten ziem- lich viel Freiheit und in der Messe ging es deshalb bisweilen laut und lustig her. Der jugendliche Uebermuth wollte austoben und machte sich in mancherlei drastischen Ausbrüchen Luft. Doch werfen wir selbst einen Blick in die Messe, um uns ein Bild von dem Leben darin zu verschaffen. Sie ist wie die Officiers- messe ein viereckiger schmuckloser Raum, aber hell und luftig, da sie ihr Licht nicht nur von oben, sondern auch von den
R. Werner, Erinnerungen. 19
Die Seejunker
trennliche Begleiter und Schatten des Commandanten, wo dieſer irgendwo im Schiffe dienſtlich erſchien, und fehlte deshalb auch nie auf den „fliegenden Blättern“, auf denen der Kapitän ſelbſt verherrlicht wurde.
Letzterer muſterte jeden Morgen die Junker ſelbſt, ehe der Unterricht begann und achtete ſehr genau darauf, daß ſich ihr Aeußeres tadellos präſentirte. Eine aufgegangene Naht, ein ungebürſtetes Kleidungsſtück oder ein „manquirender Knoop“ (fehlender Knopf) wurde unnachſichtlich mit 24 Stunden Arreſt oder den Umſtänden nach mit mehr geahndet. Eine ſolche Muſterung war auch der Gegenſtand einer ſehr gelungenen Zeich- nung geworden. Die Seejunker ſtanden porträtähnlich und nach ihrer Größe rangirt auf dem Hinterdeck aufgeſtellt. Der inſpi- cirende Commandant, angethan mit einem franzöſiſchen Kapuzen- mantel, den er bei rauhem Wetter regelmäßig trug, war bei dem Kleinſten angelangt und ſchien ihm ſehr ernſte Vorhaltungen gemacht zu haben. Der Profoß ſtand dabei und notirte in ſeinem dickleibigen Taſchenbuche die verhängte Strafe. Als Commentar dienten die Worte des Kapitäns: „Junker, manquirt een Finger; conſignirt voor drie Dagen Arreſt und als es noch eens gebührt, ſoll ich voor Ihren Abſcheid fragen.“ (Junker, Ihnen fehlt ein Finger; dafür erhalten Sie drei Tage Arreſt und wenn das noch einmal vorkommt, werde ich Sie zum Ab- ſchiede eingeben.) Dem Angeredeten fehlte nämlich ein Finger- glied an der linken Hand.
In den Mußeſtunden ließ man den jungen Leuten ziem- lich viel Freiheit und in der Meſſe ging es deshalb bisweilen laut und luſtig her. Der jugendliche Uebermuth wollte austoben und machte ſich in mancherlei draſtiſchen Ausbrüchen Luft. Doch werfen wir ſelbſt einen Blick in die Meſſe, um uns ein Bild von dem Leben darin zu verſchaffen. Sie iſt wie die Officiers- meſſe ein viereckiger ſchmuckloſer Raum, aber hell und luftig, da ſie ihr Licht nicht nur von oben, ſondern auch von den
R. Werner, Erinnerungen. 19
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Die Seejunker
trennliche Begleiter und Schatten des Commandanten, wo dieſer
irgendwo im Schiffe dienſtlich erſchien, und fehlte deshalb auch
nie auf den „fliegenden Blättern“, auf denen der Kapitän ſelbſt
verherrlicht wurde.
Letzterer muſterte jeden Morgen die Junker ſelbſt, ehe der
Unterricht begann und achtete ſehr genau darauf, daß ſich ihr
Aeußeres tadellos präſentirte. Eine aufgegangene Naht, ein
ungebürſtetes Kleidungsſtück oder ein „manquirender Knoop“
(fehlender Knopf) wurde unnachſichtlich mit 24 Stunden Arreſt
oder den Umſtänden nach mit mehr geahndet. Eine ſolche
Muſterung war auch der Gegenſtand einer ſehr gelungenen Zeich-
nung geworden. Die Seejunker ſtanden porträtähnlich und nach
ihrer Größe rangirt auf dem Hinterdeck aufgeſtellt. Der inſpi-
cirende Commandant, angethan mit einem franzöſiſchen Kapuzen-
mantel, den er bei rauhem Wetter regelmäßig trug, war bei
dem Kleinſten angelangt und ſchien ihm ſehr ernſte Vorhaltungen
gemacht zu haben. Der Profoß ſtand dabei und notirte in
ſeinem dickleibigen Taſchenbuche die verhängte Strafe. Als
Commentar dienten die Worte des Kapitäns: „Junker, manquirt
een Finger; conſignirt voor drie Dagen Arreſt und als es noch
eens gebührt, ſoll ich voor Ihren Abſcheid fragen.“ (Junker,
Ihnen fehlt ein Finger; dafür erhalten Sie drei Tage Arreſt
und wenn das noch einmal vorkommt, werde ich Sie zum Ab-
ſchiede eingeben.) Dem Angeredeten fehlte nämlich ein Finger-
glied an der linken Hand.
In den Mußeſtunden ließ man den jungen Leuten ziem-
lich viel Freiheit und in der Meſſe ging es deshalb bisweilen
laut und luſtig her. Der jugendliche Uebermuth wollte austoben
und machte ſich in mancherlei draſtiſchen Ausbrüchen Luft. Doch
werfen wir ſelbſt einen Blick in die Meſſe, um uns ein Bild
von dem Leben darin zu verſchaffen. Sie iſt wie die Officiers-
meſſe ein viereckiger ſchmuckloſer Raum, aber hell und luftig,
da ſie ihr Licht nicht nur von oben, ſondern auch von den
R. Werner, Erinnerungen. 19
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/301>, abgerufen am 22.11.2024.
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