Segel, Fock und Großsegel wurden gesetzt und das Schiff zog hinein in die weite See, die fortan meine Heimath war.
Wir hatten von Tagesfrühe an mit "Alle Mann" tüchtig gearbeitet; es gab noch so manches für See in Ordnung zu bringen und fest zu machen, damit es bei den zu erwartenden Bewegungen des Schiffes nicht umstürzte. Jetzt, als wir auch das äußerste Feuerschiff und die rothe Tonne hinter uns hatten, welche die Mündung der Elbe kennzeichnet, war alles so weit fertig, daß die eine Hälfte der Mannschaft entbehrt werden konnte. Backbordwache, so genannt nach Backbord, der linken Seite des Schiffes, während die andere Steuerbordwache heißt, erhielt Freiwache oder "Wache zur Coje," wie sonderbarer Weise der technische Ausdruck auf Handelsschiffen lautet. Ich ging jedoch nicht unter Deck, sondern stand vorn an der Bord- wand und ließ meine Blicke über die endlose Fläche gleiten, die sich vor mir aufrollte. Es war das Meer, das ich jetzt wirk- lich sah, das Meer, nach dem mein Herz seit langen Jahren sich gesehnt, das ungekannt dennoch einen solchen Zauber auf mich geübt, das mit geheimnißvoller Macht mich an sich gezogen, bis ich endlich sein eigen geworden war. Unbegrenzt, mit dem Himmel sich verschmelzend, lag es vor mir, zwar anders, wie meine Phantasie mir sein Bild gezeichnet, aber immer gewaltig und imponirend. Ich hatte so viel von seinen Schönheiten, seinen Wundern, seinen Schrecken gelesen, daß jetzt die Wirklichkeit meinen Vorstellungen nicht entsprach. Vergebens schaute ich nach den sich thürmenden Wellen, die ich mir vom Ocean unzer- trennlich dachte; nicht wallend und wogend zeigte sich mir die dunkle Fluth, sondern ruhig und friedlich breitete sie sich aus. Ich hatte vergessen, daß wir uns noch in nächster Nähe der Küste befanden, daß der Wind südlich von ihr herüber wehte und deshalb kein Seegang aufkommen konnte. Eine Heerde Delphine umspielte eine Zeit lang das Schiff, um nach Westen zu bald wieder zu verschwinden. Wo sie hinziehen, dort wird
R. Werner, Erinnerungen. 2
Eine erſte Seereiſe
Segel, Fock und Großſegel wurden geſetzt und das Schiff zog hinein in die weite See, die fortan meine Heimath war.
Wir hatten von Tagesfrühe an mit „Alle Mann“ tüchtig gearbeitet; es gab noch ſo manches für See in Ordnung zu bringen und feſt zu machen, damit es bei den zu erwartenden Bewegungen des Schiffes nicht umſtürzte. Jetzt, als wir auch das äußerſte Feuerſchiff und die rothe Tonne hinter uns hatten, welche die Mündung der Elbe kennzeichnet, war alles ſo weit fertig, daß die eine Hälfte der Mannſchaft entbehrt werden konnte. Backbordwache, ſo genannt nach Backbord, der linken Seite des Schiffes, während die andere Steuerbordwache heißt, erhielt Freiwache oder „Wache zur Coje,“ wie ſonderbarer Weiſe der techniſche Ausdruck auf Handelsſchiffen lautet. Ich ging jedoch nicht unter Deck, ſondern ſtand vorn an der Bord- wand und ließ meine Blicke über die endloſe Fläche gleiten, die ſich vor mir aufrollte. Es war das Meer, das ich jetzt wirk- lich ſah, das Meer, nach dem mein Herz ſeit langen Jahren ſich geſehnt, das ungekannt dennoch einen ſolchen Zauber auf mich geübt, das mit geheimnißvoller Macht mich an ſich gezogen, bis ich endlich ſein eigen geworden war. Unbegrenzt, mit dem Himmel ſich verſchmelzend, lag es vor mir, zwar anders, wie meine Phantaſie mir ſein Bild gezeichnet, aber immer gewaltig und imponirend. Ich hatte ſo viel von ſeinen Schönheiten, ſeinen Wundern, ſeinen Schrecken geleſen, daß jetzt die Wirklichkeit meinen Vorſtellungen nicht entſprach. Vergebens ſchaute ich nach den ſich thürmenden Wellen, die ich mir vom Ocean unzer- trennlich dachte; nicht wallend und wogend zeigte ſich mir die dunkle Fluth, ſondern ruhig und friedlich breitete ſie ſich aus. Ich hatte vergeſſen, daß wir uns noch in nächſter Nähe der Küſte befanden, daß der Wind ſüdlich von ihr herüber wehte und deshalb kein Seegang aufkommen konnte. Eine Heerde Delphine umſpielte eine Zeit lang das Schiff, um nach Weſten zu bald wieder zu verſchwinden. Wo ſie hinziehen, dort wird
R. Werner, Erinnerungen. 2
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Eine erſte Seereiſe
Segel, Fock und Großſegel wurden geſetzt und das Schiff zog
hinein in die weite See, die fortan meine Heimath war.
Wir hatten von Tagesfrühe an mit „Alle Mann“ tüchtig
gearbeitet; es gab noch ſo manches für See in Ordnung zu
bringen und feſt zu machen, damit es bei den zu erwartenden
Bewegungen des Schiffes nicht umſtürzte. Jetzt, als wir auch
das äußerſte Feuerſchiff und die rothe Tonne hinter uns hatten,
welche die Mündung der Elbe kennzeichnet, war alles ſo weit
fertig, daß die eine Hälfte der Mannſchaft entbehrt werden
konnte. Backbordwache, ſo genannt nach Backbord, der linken
Seite des Schiffes, während die andere Steuerbordwache heißt,
erhielt Freiwache oder „Wache zur Coje,“ wie ſonderbarer
Weiſe der techniſche Ausdruck auf Handelsſchiffen lautet. Ich
ging jedoch nicht unter Deck, ſondern ſtand vorn an der Bord-
wand und ließ meine Blicke über die endloſe Fläche gleiten, die
ſich vor mir aufrollte. Es war das Meer, das ich jetzt wirk-
lich ſah, das Meer, nach dem mein Herz ſeit langen Jahren
ſich geſehnt, das ungekannt dennoch einen ſolchen Zauber auf
mich geübt, das mit geheimnißvoller Macht mich an ſich gezogen,
bis ich endlich ſein eigen geworden war. Unbegrenzt, mit dem
Himmel ſich verſchmelzend, lag es vor mir, zwar anders, wie meine
Phantaſie mir ſein Bild gezeichnet, aber immer gewaltig und
imponirend. Ich hatte ſo viel von ſeinen Schönheiten, ſeinen
Wundern, ſeinen Schrecken geleſen, daß jetzt die Wirklichkeit
meinen Vorſtellungen nicht entſprach. Vergebens ſchaute ich
nach den ſich thürmenden Wellen, die ich mir vom Ocean unzer-
trennlich dachte; nicht wallend und wogend zeigte ſich mir die
dunkle Fluth, ſondern ruhig und friedlich breitete ſie ſich aus.
Ich hatte vergeſſen, daß wir uns noch in nächſter Nähe der
Küſte befanden, daß der Wind ſüdlich von ihr herüber wehte
und deshalb kein Seegang aufkommen konnte. Eine Heerde
Delphine umſpielte eine Zeit lang das Schiff, um nach Weſten
zu bald wieder zu verſchwinden. Wo ſie hinziehen, dort wird
R. Werner, Erinnerungen. 2
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/29>, abgerufen am 24.11.2024.
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