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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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oder fünf Kranke mit angsterfüllten Mienen auf zwei Aerzte
deuten, die im Lazareth standen. Es waren Ascheberg vom
"Ernst August" und Bell von der "Hamburg". Letzterer hielt,
wie Sie wissen, von seiner Fahrt auf holländischen Kriegsschiffen
her, grundsätzlich alle kranken Matrosen für Simulanten, wenn
sie nicht wenigstens ein Bein gebrochen haben. Er steht deshalb
mit seinen Collegen sehr viel in Conflict, weil diese unsere
deutschen Matrosen nicht mit dem Auswurf auf holländischen
Schiffen auf gleiche Stufe stellen wollten. Gestern war er durch
den Champagner noch mehr in seiner Ansicht bestärkt worden und
hatte durch Anwendung eines neuen Heilverfahrens die Kranken
so in Schrecken gesetzt. Nach Tisch forderte er Ascheberg auf,
ihm seine Patienten zu zeigen, unter denen sich einige hochinter-
essante Fälle befinden sollten. Beide kamen auch glücklich die
Treppe hinunter bis in das Lazareth, wo die Kranken bei der
großen Hitze ihre Hängematten verlassen hatten und auf den
Bänken an Bord saßen oder lagen.

"Wie viel hast Du heute?" fragte Bell.

"Drei innere und vier äußere," erwiderte Ascheberg.

"So, und was fehlt diesem hier?" examinirte Bell weiter,
indem er auf einen Mann deutete, der ausgestreckt auf der Bank
lag und schlief.

"Febris intermittens mit bedeutender Leberanschwellung."

"Was hast Du ihm gegeben?"

"Zwanzig Gramm Chinin."

"Chinin?" lallte Bell, "das w -- irkt viel zu langsam,
da w -- eiß ich ein besseres Mittel von Holland her, das augen-
blicklich hilft. Paß einmal auf." Dabei holte er mit der
Hand aus und versetzte dem nichts ahnenden Fieberkranken einen
so wuchtigen Schlag auf dessen Rücken, daß dieser pfeilschnell in
die Höhe fuhr und auf den Beinen stand. Als er den Doctor
zum zweiten Schlage ausholen sah, stürzte er aber hülfe-
schreiend und in der Meinung, er habe es mit einem Wahn-

Werner
oder fünf Kranke mit angſterfüllten Mienen auf zwei Aerzte
deuten, die im Lazareth ſtanden. Es waren Aſcheberg vom
„Ernſt Auguſt“ und Bell von der „Hamburg“. Letzterer hielt,
wie Sie wiſſen, von ſeiner Fahrt auf holländiſchen Kriegsſchiffen
her, grundſätzlich alle kranken Matroſen für Simulanten, wenn
ſie nicht wenigſtens ein Bein gebrochen haben. Er ſteht deshalb
mit ſeinen Collegen ſehr viel in Conflict, weil dieſe unſere
deutſchen Matroſen nicht mit dem Auswurf auf holländiſchen
Schiffen auf gleiche Stufe ſtellen wollten. Geſtern war er durch
den Champagner noch mehr in ſeiner Anſicht beſtärkt worden und
hatte durch Anwendung eines neuen Heilverfahrens die Kranken
ſo in Schrecken geſetzt. Nach Tiſch forderte er Aſcheberg auf,
ihm ſeine Patienten zu zeigen, unter denen ſich einige hochinter-
eſſante Fälle befinden ſollten. Beide kamen auch glücklich die
Treppe hinunter bis in das Lazareth, wo die Kranken bei der
großen Hitze ihre Hängematten verlaſſen hatten und auf den
Bänken an Bord ſaßen oder lagen.

„Wie viel haſt Du heute?“ fragte Bell.

„Drei innere und vier äußere,“ erwiderte Aſcheberg.

„So, und was fehlt dieſem hier?“ examinirte Bell weiter,
indem er auf einen Mann deutete, der ausgeſtreckt auf der Bank
lag und ſchlief.

„Febris intermittens mit bedeutender Leberanſchwellung.“

„Was haſt Du ihm gegeben?“

„Zwanzig Gramm Chinin.“

„Chinin?“ lallte Bell, „das w — irkt viel zu langſam,
da w — eiß ich ein beſſeres Mittel von Holland her, das augen-
blicklich hilft. Paß einmal auf.“ Dabei holte er mit der
Hand aus und verſetzte dem nichts ahnenden Fieberkranken einen
ſo wuchtigen Schlag auf deſſen Rücken, daß dieſer pfeilſchnell in
die Höhe fuhr und auf den Beinen ſtand. Als er den Doctor
zum zweiten Schlage ausholen ſah, ſtürzte er aber hülfe-
ſchreiend und in der Meinung, er habe es mit einem Wahn-

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[270/0282] Werner oder fünf Kranke mit angſterfüllten Mienen auf zwei Aerzte deuten, die im Lazareth ſtanden. Es waren Aſcheberg vom „Ernſt Auguſt“ und Bell von der „Hamburg“. Letzterer hielt, wie Sie wiſſen, von ſeiner Fahrt auf holländiſchen Kriegsſchiffen her, grundſätzlich alle kranken Matroſen für Simulanten, wenn ſie nicht wenigſtens ein Bein gebrochen haben. Er ſteht deshalb mit ſeinen Collegen ſehr viel in Conflict, weil dieſe unſere deutſchen Matroſen nicht mit dem Auswurf auf holländiſchen Schiffen auf gleiche Stufe ſtellen wollten. Geſtern war er durch den Champagner noch mehr in ſeiner Anſicht beſtärkt worden und hatte durch Anwendung eines neuen Heilverfahrens die Kranken ſo in Schrecken geſetzt. Nach Tiſch forderte er Aſcheberg auf, ihm ſeine Patienten zu zeigen, unter denen ſich einige hochinter- eſſante Fälle befinden ſollten. Beide kamen auch glücklich die Treppe hinunter bis in das Lazareth, wo die Kranken bei der großen Hitze ihre Hängematten verlaſſen hatten und auf den Bänken an Bord ſaßen oder lagen. „Wie viel haſt Du heute?“ fragte Bell. „Drei innere und vier äußere,“ erwiderte Aſcheberg. „So, und was fehlt dieſem hier?“ examinirte Bell weiter, indem er auf einen Mann deutete, der ausgeſtreckt auf der Bank lag und ſchlief. „Febris intermittens mit bedeutender Leberanſchwellung.“ „Was haſt Du ihm gegeben?“ „Zwanzig Gramm Chinin.“ „Chinin?“ lallte Bell, „das w — irkt viel zu langſam, da w — eiß ich ein beſſeres Mittel von Holland her, das augen- blicklich hilft. Paß einmal auf.“ Dabei holte er mit der Hand aus und verſetzte dem nichts ahnenden Fieberkranken einen ſo wuchtigen Schlag auf deſſen Rücken, daß dieſer pfeilſchnell in die Höhe fuhr und auf den Beinen ſtand. Als er den Doctor zum zweiten Schlage ausholen ſah, ſtürzte er aber hülfe- ſchreiend und in der Meinung, er habe es mit einem Wahn-

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/282>, abgerufen am 22.11.2024.