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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Ernstes und Heiteres
tit verderben zu lassen und fährt nur dann gut, wenn er sich
an nichts kehrt, sondern lediglich das kochen läßt, was ihm selbst
schmeckt. Trotzdem giebt es Ehrgeizige, die nach dieser viel-
geschmähten Stellung streben, und zu ihnen gehörte auch Alt-
manns. Er war einer der schärfsten Kritiker und brachte es
auch endlich so weit, daß er seine eigene Wahl durchsetzte. Als
sein Vorgänger ihm die vorhandenen Vorräthe übergab, fanden
sich unter denselben auch mehrere Blechbüchsen, dem Anscheine
nach Conserven, die zu jener Zeit sich an Bord der Schiffe
einzuführen begannen. Auf die Frage nach dem Inhalte, er-
hielt der Doctor die Antwort: "Grüne Erbsen; sie müssen drei
Stunden in der Büchse kochen und erst kurz vor dem Anrichten
geöffnet werden, dann schmecken sie aber wie frisch gepflückt."

Der neue Messevorstand war über die Aussicht auf frisches
Gemüse mitten im Winter sehr erfreut. Am nächsten Sonntag
wurden mehrere Gäste zu Mittag geladen, und Altmanns gedachte,
sie nicht wenig mit den Conserven zu überraschen. Er instruirte
den Koch genau und machte es ihm zur Pflicht, ihn zur rich-
tigen Zeit zu rufen, um selbst beim Oeffnen zugegen sein zu
können. Kurz vor Tisch kam denn auch die betreffende Meldung;
die Büchsen wurden aufgeschnitten, aber man denke sich des
Doctors Entrüstung -- die Erbsen hatten sich in Eisen ver-
wandelt! Die vermeintlichen Conserven waren Kartätschbüchsen
für die Salutgeschütze des "Barbarossa". Für Spott brauchte
Altmanns nicht zu sorgen; er heimste mehr als wünschenswerth
davon ein, umsomehr, als auch der Rest des Diners kläglich
scheiterte und die Gäste hungrig vom Tische aufstehen mußten.

Um das Bestmögliche zu leisten, hatte nämlich der neue
Messevorstand den Koch durch eine Flasche Madeira anzuspornen
versucht, aber sie ihm unvorsichtiger Weise schon vor statt
nach Tische geschickt. Die Bouillon, noch vor Einwirkung des
Madeira gekocht, war ausgezeichnet. Dann aber passirte die
unangenehme Geschichte mit den Kartätschen. Wäre Altmanns

Ernſtes und Heiteres
tit verderben zu laſſen und fährt nur dann gut, wenn er ſich
an nichts kehrt, ſondern lediglich das kochen läßt, was ihm ſelbſt
ſchmeckt. Trotzdem giebt es Ehrgeizige, die nach dieſer viel-
geſchmähten Stellung ſtreben, und zu ihnen gehörte auch Alt-
manns. Er war einer der ſchärfſten Kritiker und brachte es
auch endlich ſo weit, daß er ſeine eigene Wahl durchſetzte. Als
ſein Vorgänger ihm die vorhandenen Vorräthe übergab, fanden
ſich unter denſelben auch mehrere Blechbüchſen, dem Anſcheine
nach Conſerven, die zu jener Zeit ſich an Bord der Schiffe
einzuführen begannen. Auf die Frage nach dem Inhalte, er-
hielt der Doctor die Antwort: „Grüne Erbſen; ſie müſſen drei
Stunden in der Büchſe kochen und erſt kurz vor dem Anrichten
geöffnet werden, dann ſchmecken ſie aber wie friſch gepflückt.“

Der neue Meſſevorſtand war über die Ausſicht auf friſches
Gemüſe mitten im Winter ſehr erfreut. Am nächſten Sonntag
wurden mehrere Gäſte zu Mittag geladen, und Altmanns gedachte,
ſie nicht wenig mit den Conſerven zu überraſchen. Er inſtruirte
den Koch genau und machte es ihm zur Pflicht, ihn zur rich-
tigen Zeit zu rufen, um ſelbſt beim Oeffnen zugegen ſein zu
können. Kurz vor Tiſch kam denn auch die betreffende Meldung;
die Büchſen wurden aufgeſchnitten, aber man denke ſich des
Doctors Entrüſtung — die Erbſen hatten ſich in Eiſen ver-
wandelt! Die vermeintlichen Conſerven waren Kartätſchbüchſen
für die Salutgeſchütze des „Barbaroſſa“. Für Spott brauchte
Altmanns nicht zu ſorgen; er heimſte mehr als wünſchenswerth
davon ein, umſomehr, als auch der Reſt des Diners kläglich
ſcheiterte und die Gäſte hungrig vom Tiſche aufſtehen mußten.

Um das Beſtmögliche zu leiſten, hatte nämlich der neue
Meſſevorſtand den Koch durch eine Flaſche Madeira anzuſpornen
verſucht, aber ſie ihm unvorſichtiger Weiſe ſchon vor ſtatt
nach Tiſche geſchickt. Die Bouillon, noch vor Einwirkung des
Madeira gekocht, war ausgezeichnet. Dann aber paſſirte die
unangenehme Geſchichte mit den Kartätſchen. Wäre Altmanns

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[263/0275] Ernſtes und Heiteres tit verderben zu laſſen und fährt nur dann gut, wenn er ſich an nichts kehrt, ſondern lediglich das kochen läßt, was ihm ſelbſt ſchmeckt. Trotzdem giebt es Ehrgeizige, die nach dieſer viel- geſchmähten Stellung ſtreben, und zu ihnen gehörte auch Alt- manns. Er war einer der ſchärfſten Kritiker und brachte es auch endlich ſo weit, daß er ſeine eigene Wahl durchſetzte. Als ſein Vorgänger ihm die vorhandenen Vorräthe übergab, fanden ſich unter denſelben auch mehrere Blechbüchſen, dem Anſcheine nach Conſerven, die zu jener Zeit ſich an Bord der Schiffe einzuführen begannen. Auf die Frage nach dem Inhalte, er- hielt der Doctor die Antwort: „Grüne Erbſen; ſie müſſen drei Stunden in der Büchſe kochen und erſt kurz vor dem Anrichten geöffnet werden, dann ſchmecken ſie aber wie friſch gepflückt.“ Der neue Meſſevorſtand war über die Ausſicht auf friſches Gemüſe mitten im Winter ſehr erfreut. Am nächſten Sonntag wurden mehrere Gäſte zu Mittag geladen, und Altmanns gedachte, ſie nicht wenig mit den Conſerven zu überraſchen. Er inſtruirte den Koch genau und machte es ihm zur Pflicht, ihn zur rich- tigen Zeit zu rufen, um ſelbſt beim Oeffnen zugegen ſein zu können. Kurz vor Tiſch kam denn auch die betreffende Meldung; die Büchſen wurden aufgeſchnitten, aber man denke ſich des Doctors Entrüſtung — die Erbſen hatten ſich in Eiſen ver- wandelt! Die vermeintlichen Conſerven waren Kartätſchbüchſen für die Salutgeſchütze des „Barbaroſſa“. Für Spott brauchte Altmanns nicht zu ſorgen; er heimſte mehr als wünſchenswerth davon ein, umſomehr, als auch der Reſt des Diners kläglich ſcheiterte und die Gäſte hungrig vom Tiſche aufſtehen mußten. Um das Beſtmögliche zu leiſten, hatte nämlich der neue Meſſevorſtand den Koch durch eine Flaſche Madeira anzuſpornen verſucht, aber ſie ihm unvorſichtiger Weiſe ſchon vor ſtatt nach Tiſche geſchickt. Die Bouillon, noch vor Einwirkung des Madeira gekocht, war ausgezeichnet. Dann aber paſſirte die unangenehme Geſchichte mit den Kartätſchen. Wäre Altmanns

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/275>, abgerufen am 25.11.2024.