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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Ernstes und Heiteres
ihnen auch das Leben auf jede Weise erleichtert und freundlich
gestaltet. Leider ist das nicht immer der Fall; es giebt Schiffs-
commandanten, die in Folge unrichtiger Auffassung ihrer Stel-
lung oder tadelnswerther Charactereigenschaften ihr Schiff für
Jeden unleidlich machen können, weil sie die ihnen verliehene
große Macht, die nicht mit Unrecht öfter mit der eines absoluten
Herrschers verglichen wird, mißbrauchen, wenngleich ihnen keine
Ueberschreitung ihrer weitgehenden Befugnisse nachzuweisen ist.
Niemand kann einem Commandanten etwas anhaben, wenn er
unter Berufung auf irgend welche dienstliche Gründe Officieren
und Mannschaften den Urlaub verweigert oder so beschränkt,
daß es einem Verbote gleichkommt, wenn er die Exercitien so
weit treibt, daß sie zur Tortur werden, wenn er die Besatzung
ohne zwingende Ursache auf scharfe Wasserration setzt, so daß
die lechzende Zunge am Gaumen klebt, wenn er seinen Unter-
gebenen die geringen Freuden, welche ihnen ihr schwerer Beruf
gewährt, vergällt und vergiftet.

Glücklicher Weise sind derartige Charactere selten, aber es
hat deren gegeben und Lavandelle in seinem "Vie navale" er-
zählt von einem solchen, der seinen Untergebenen das Schiff
zur wahren Hölle machte, sie zur Verzweiflung trieb und da-
durch für sich und sie ein furchtbares, tragisches Schicksal her-
aufbeschwor.

Es war dies der Commandant einer französischen Kriegs-
brigg, mit der er im Jahre 1836 auf zwei Jahre nach der
Antillenstation ging, eine jener niedrigen Seelen, deren Gemein-
heit und Niedertracht sich in ihrem wahren Lichte erst zeigt,
wenn sie glauben, die Macht in Händen zu haben. So lange
er Subalternofficier war, schmeichelte er Jedem, von dem er
irgendwie Vortheile erhoffte, und namentlich den Vorgesetzten.
Vorwürfe nahm er von ihnen wie eine Gunst entgegen, Grob-
heiten und Ungerechtigkeiten mit sanftem Lächeln. Er suchte sich
einen hohen Beschützer aus, dessen verdammte Seele er spielte,

Ernſtes und Heiteres
ihnen auch das Leben auf jede Weiſe erleichtert und freundlich
geſtaltet. Leider iſt das nicht immer der Fall; es giebt Schiffs-
commandanten, die in Folge unrichtiger Auffaſſung ihrer Stel-
lung oder tadelnswerther Charactereigenſchaften ihr Schiff für
Jeden unleidlich machen können, weil ſie die ihnen verliehene
große Macht, die nicht mit Unrecht öfter mit der eines abſoluten
Herrſchers verglichen wird, mißbrauchen, wenngleich ihnen keine
Ueberſchreitung ihrer weitgehenden Befugniſſe nachzuweiſen iſt.
Niemand kann einem Commandanten etwas anhaben, wenn er
unter Berufung auf irgend welche dienſtliche Gründe Officieren
und Mannſchaften den Urlaub verweigert oder ſo beſchränkt,
daß es einem Verbote gleichkommt, wenn er die Exercitien ſo
weit treibt, daß ſie zur Tortur werden, wenn er die Beſatzung
ohne zwingende Urſache auf ſcharfe Waſſerration ſetzt, ſo daß
die lechzende Zunge am Gaumen klebt, wenn er ſeinen Unter-
gebenen die geringen Freuden, welche ihnen ihr ſchwerer Beruf
gewährt, vergällt und vergiftet.

Glücklicher Weiſe ſind derartige Charactere ſelten, aber es
hat deren gegeben und Lavandelle in ſeinem „Vie navale“ er-
zählt von einem ſolchen, der ſeinen Untergebenen das Schiff
zur wahren Hölle machte, ſie zur Verzweiflung trieb und da-
durch für ſich und ſie ein furchtbares, tragiſches Schickſal her-
aufbeſchwor.

Es war dies der Commandant einer franzöſiſchen Kriegs-
brigg, mit der er im Jahre 1836 auf zwei Jahre nach der
Antillenſtation ging, eine jener niedrigen Seelen, deren Gemein-
heit und Niedertracht ſich in ihrem wahren Lichte erſt zeigt,
wenn ſie glauben, die Macht in Händen zu haben. So lange
er Subalternofficier war, ſchmeichelte er Jedem, von dem er
irgendwie Vortheile erhoffte, und namentlich den Vorgeſetzten.
Vorwürfe nahm er von ihnen wie eine Gunſt entgegen, Grob-
heiten und Ungerechtigkeiten mit ſanftem Lächeln. Er ſuchte ſich
einen hohen Beſchützer aus, deſſen verdammte Seele er ſpielte,

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[255/0267] Ernſtes und Heiteres ihnen auch das Leben auf jede Weiſe erleichtert und freundlich geſtaltet. Leider iſt das nicht immer der Fall; es giebt Schiffs- commandanten, die in Folge unrichtiger Auffaſſung ihrer Stel- lung oder tadelnswerther Charactereigenſchaften ihr Schiff für Jeden unleidlich machen können, weil ſie die ihnen verliehene große Macht, die nicht mit Unrecht öfter mit der eines abſoluten Herrſchers verglichen wird, mißbrauchen, wenngleich ihnen keine Ueberſchreitung ihrer weitgehenden Befugniſſe nachzuweiſen iſt. Niemand kann einem Commandanten etwas anhaben, wenn er unter Berufung auf irgend welche dienſtliche Gründe Officieren und Mannſchaften den Urlaub verweigert oder ſo beſchränkt, daß es einem Verbote gleichkommt, wenn er die Exercitien ſo weit treibt, daß ſie zur Tortur werden, wenn er die Beſatzung ohne zwingende Urſache auf ſcharfe Waſſerration ſetzt, ſo daß die lechzende Zunge am Gaumen klebt, wenn er ſeinen Unter- gebenen die geringen Freuden, welche ihnen ihr ſchwerer Beruf gewährt, vergällt und vergiftet. Glücklicher Weiſe ſind derartige Charactere ſelten, aber es hat deren gegeben und Lavandelle in ſeinem „Vie navale“ er- zählt von einem ſolchen, der ſeinen Untergebenen das Schiff zur wahren Hölle machte, ſie zur Verzweiflung trieb und da- durch für ſich und ſie ein furchtbares, tragiſches Schickſal her- aufbeſchwor. Es war dies der Commandant einer franzöſiſchen Kriegs- brigg, mit der er im Jahre 1836 auf zwei Jahre nach der Antillenſtation ging, eine jener niedrigen Seelen, deren Gemein- heit und Niedertracht ſich in ihrem wahren Lichte erſt zeigt, wenn ſie glauben, die Macht in Händen zu haben. So lange er Subalternofficier war, ſchmeichelte er Jedem, von dem er irgendwie Vortheile erhoffte, und namentlich den Vorgeſetzten. Vorwürfe nahm er von ihnen wie eine Gunſt entgegen, Grob- heiten und Ungerechtigkeiten mit ſanftem Lächeln. Er ſuchte ſich einen hohen Beſchützer aus, deſſen verdammte Seele er ſpielte,

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/267>, abgerufen am 22.11.2024.