Das Geschwader lief in offener Ordnung, d. h. es war den Schiffen nicht die Innehaltung einer genauen Position zu einander vorgeschrieben. Diesen Umstand glaubte der Comman- dant der "Hamburg" benutzen zu dürfen, um sich dem Feinde mehr zu nähern und ließ die Maschine schneller anschlagen. In dem Augenblicke jedoch, als die Corvette das Flaggschiff passirte, fiel ein Kanonenschuß von Helgoland.
"Wo wollen sie hin, Lieutenant Reichert?" rief Brommy nach der "Hamburg" hinüber.
"Ich will entern, Herr Commodore," tönte die Antwort des thatendurstigen Commandanten zurück.
"Machen Sie Signal: In die Elbe einlaufen," wandte Brommy sich an seinen Flagglieutenant und das betreffende Signal "Flagge No. 4" wehte nach wenigen Secunden vom Top des Mastes.
Als der Befehl verstanden war, folgte das Signal "Feuer einstellen." Das Ruder wurde Backbord gelegt, der Kopf der Schiffe drehte vom Feinde ab und der Elbmündung zu.
Wir standen starr und trauten kaum unsern Augen. Vor weni- gen Minuten noch war Jeder von uns fest überzeugt, daß die "Val- kyrien" unser sei und jetzt ließen wir die sichere Prise schmählich im Stich und zogen wie kläffende Hunde von dannen. War das die Kraftprobe deutscher Seemächtigkeit und durften wir nun noch stolz sein, unter der schwarzrothgoldenen Flagge zu dienen? Wir koch- ten innerlich vor Wuth, übten äußerlich aber natürlich nur stum- men Gehorsam; diese Selbstüberwindung unter den obwalten- den Umständen war gewiß ein Beweis für die gute Disciplin, welche an Bord der Schiffe herrschte. Vergebens fragten wir uns, was der Grund dieser plötzlichen Umkehr sein könne und der Commodore mochte wol selbst fühlen, daß er uns eine gewisse Aufklärung seiner uns unbegreiflichen Handlungsweise schuldig sei. Wie erstaunt und gleichzeitig im Innersten empört waren wir aber, als wir von ihm erfuhren, daß der vorhin
Werner
Das Geſchwader lief in offener Ordnung, d. h. es war den Schiffen nicht die Innehaltung einer genauen Poſition zu einander vorgeſchrieben. Dieſen Umſtand glaubte der Comman- dant der „Hamburg“ benutzen zu dürfen, um ſich dem Feinde mehr zu nähern und ließ die Maſchine ſchneller anſchlagen. In dem Augenblicke jedoch, als die Corvette das Flaggſchiff paſſirte, fiel ein Kanonenſchuß von Helgoland.
„Wo wollen ſie hin, Lieutenant Reichert?“ rief Brommy nach der „Hamburg“ hinüber.
„Ich will entern, Herr Commodore,“ tönte die Antwort des thatendurſtigen Commandanten zurück.
„Machen Sie Signal: In die Elbe einlaufen,“ wandte Brommy ſich an ſeinen Flagglieutenant und das betreffende Signal „Flagge No. 4“ wehte nach wenigen Secunden vom Top des Maſtes.
Als der Befehl verſtanden war, folgte das Signal „Feuer einſtellen.“ Das Ruder wurde Backbord gelegt, der Kopf der Schiffe drehte vom Feinde ab und der Elbmündung zu.
Wir ſtanden ſtarr und trauten kaum unſern Augen. Vor weni- gen Minuten noch war Jeder von uns feſt überzeugt, daß die „Val- kyrien“ unſer ſei und jetzt ließen wir die ſichere Priſe ſchmählich im Stich und zogen wie kläffende Hunde von dannen. War das die Kraftprobe deutſcher Seemächtigkeit und durften wir nun noch ſtolz ſein, unter der ſchwarzrothgoldenen Flagge zu dienen? Wir koch- ten innerlich vor Wuth, übten äußerlich aber natürlich nur ſtum- men Gehorſam; dieſe Selbſtüberwindung unter den obwalten- den Umſtänden war gewiß ein Beweis für die gute Disciplin, welche an Bord der Schiffe herrſchte. Vergebens fragten wir uns, was der Grund dieſer plötzlichen Umkehr ſein könne und der Commodore mochte wol ſelbſt fühlen, daß er uns eine gewiſſe Aufklärung ſeiner uns unbegreiflichen Handlungsweiſe ſchuldig ſei. Wie erſtaunt und gleichzeitig im Innerſten empört waren wir aber, als wir von ihm erfuhren, daß der vorhin
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Werner
Das Geſchwader lief in offener Ordnung, d. h. es war
den Schiffen nicht die Innehaltung einer genauen Poſition zu
einander vorgeſchrieben. Dieſen Umſtand glaubte der Comman-
dant der „Hamburg“ benutzen zu dürfen, um ſich dem Feinde
mehr zu nähern und ließ die Maſchine ſchneller anſchlagen.
In dem Augenblicke jedoch, als die Corvette das Flaggſchiff
paſſirte, fiel ein Kanonenſchuß von Helgoland.
„Wo wollen ſie hin, Lieutenant Reichert?“ rief Brommy
nach der „Hamburg“ hinüber.
„Ich will entern, Herr Commodore,“ tönte die Antwort
des thatendurſtigen Commandanten zurück.
„Machen Sie Signal: In die Elbe einlaufen,“ wandte
Brommy ſich an ſeinen Flagglieutenant und das betreffende
Signal „Flagge No. 4“ wehte nach wenigen Secunden vom
Top des Maſtes.
Als der Befehl verſtanden war, folgte das Signal „Feuer
einſtellen.“ Das Ruder wurde Backbord gelegt, der Kopf der
Schiffe drehte vom Feinde ab und der Elbmündung zu.
Wir ſtanden ſtarr und trauten kaum unſern Augen. Vor weni-
gen Minuten noch war Jeder von uns feſt überzeugt, daß die „Val-
kyrien“ unſer ſei und jetzt ließen wir die ſichere Priſe ſchmählich im
Stich und zogen wie kläffende Hunde von dannen. War das die
Kraftprobe deutſcher Seemächtigkeit und durften wir nun noch ſtolz
ſein, unter der ſchwarzrothgoldenen Flagge zu dienen? Wir koch-
ten innerlich vor Wuth, übten äußerlich aber natürlich nur ſtum-
men Gehorſam; dieſe Selbſtüberwindung unter den obwalten-
den Umſtänden war gewiß ein Beweis für die gute Disciplin,
welche an Bord der Schiffe herrſchte. Vergebens fragten wir
uns, was der Grund dieſer plötzlichen Umkehr ſein könne und
der Commodore mochte wol ſelbſt fühlen, daß er uns eine
gewiſſe Aufklärung ſeiner uns unbegreiflichen Handlungsweiſe
ſchuldig ſei. Wie erſtaunt und gleichzeitig im Innerſten empört
waren wir aber, als wir von ihm erfuhren, daß der vorhin
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/206>, abgerufen am 22.11.2024.
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