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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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sich am hinteren sogenannte Gaffelsegel befanden, und hatte für
seine Größe eine verhältnißmäßig starke Besatzung, welche außer dem
Kapitän und den beiden Steuerleuten aus achtzehn Mann be-
stand. Die "Alma" war Tags zuvor auf die Helling geholt,
um mit neuen Kupferplatten beschlagen zu werden. Die Helling
ist eine mit Bohlen oder Steinplatten belegte schiefe Ebene, auf
der Schiffe gebaut werden. In früheren Zeiten reparirte man
auch alte Schiffe auf den Hellingen; -- sie mußten auf
einem Schlitten, der ihnen im Wasser untergeschoben wurde,
hinaufgewunden werden; das war schwere Arbeit und strengte
die Fahrzeuge stark an. Jetzt macht man es ihnen bequemer;
man hat überall Docks, fest gemauerte oder eiserne schwimmende
Bassins mit Thüren. Die Schiffe werden hineingeholt, man
pumpt nach Schluß der Thüren das Wasser aus, und die in-
zwischen abgestützten Fahrzeuge stehen trocken.

Ich war die hohe Leiter, die vom Lande bis zum Deck
der "Alma" führte, hinaufgeklettert, meine Seekiste aber unten
im Regen stehen geblieben. Als der Kapitän mich entlassen
hatte, sah ich vergebens nach Hülfe aus, um die Kiste an Bord
zu bringen. Einige Leute der Mannschaft arbeiteten in der
Bemastung, sonst war Niemand da und ich stand ziemlich rath-
los. Endlich kam ein älterer Mann mit bärbeißigem Gesicht
und einer dicken Backe die Leiter herauf an Deck, wo ich
herumirrte.

"Wer bist Du?" fragte er mich mit so barscher Stimme,
daß ich ordentlich erschrak. Ich nannte meinen Namen. "Was
willst Du hier?" fuhr er in demselben Tone fort und natürlich
wie Alle an Bord in plattdeutscher Sprache. Als ich ihm mit-
getheilt, daß ich als Lehrling an Bord gekommen sei, erwiederte
er "So! nun, ich bin der Bootsmann des Schiffes und Du
hast mir zu gehorchen, das merke Dir." Als Bekräftigung
dieser Sentenz spuckte er eine Masse braunen Saftes aus und
ich bemerkte, wie die dicke Backe plötzlich dünn wurde, dagegen

Werner
ſich am hinteren ſogenannte Gaffelſegel befanden, und hatte für
ſeine Größe eine verhältnißmäßig ſtarke Beſatzung, welche außer dem
Kapitän und den beiden Steuerleuten aus achtzehn Mann be-
ſtand. Die „Alma“ war Tags zuvor auf die Helling geholt,
um mit neuen Kupferplatten beſchlagen zu werden. Die Helling
iſt eine mit Bohlen oder Steinplatten belegte ſchiefe Ebene, auf
der Schiffe gebaut werden. In früheren Zeiten reparirte man
auch alte Schiffe auf den Hellingen; — ſie mußten auf
einem Schlitten, der ihnen im Waſſer untergeſchoben wurde,
hinaufgewunden werden; das war ſchwere Arbeit und ſtrengte
die Fahrzeuge ſtark an. Jetzt macht man es ihnen bequemer;
man hat überall Docks, feſt gemauerte oder eiſerne ſchwimmende
Baſſins mit Thüren. Die Schiffe werden hineingeholt, man
pumpt nach Schluß der Thüren das Waſſer aus, und die in-
zwiſchen abgeſtützten Fahrzeuge ſtehen trocken.

Ich war die hohe Leiter, die vom Lande bis zum Deck
der „Alma“ führte, hinaufgeklettert, meine Seekiſte aber unten
im Regen ſtehen geblieben. Als der Kapitän mich entlaſſen
hatte, ſah ich vergebens nach Hülfe aus, um die Kiſte an Bord
zu bringen. Einige Leute der Mannſchaft arbeiteten in der
Bemaſtung, ſonſt war Niemand da und ich ſtand ziemlich rath-
los. Endlich kam ein älterer Mann mit bärbeißigem Geſicht
und einer dicken Backe die Leiter herauf an Deck, wo ich
herumirrte.

„Wer biſt Du?“ fragte er mich mit ſo barſcher Stimme,
daß ich ordentlich erſchrak. Ich nannte meinen Namen. „Was
willſt Du hier?“ fuhr er in demſelben Tone fort und natürlich
wie Alle an Bord in plattdeutſcher Sprache. Als ich ihm mit-
getheilt, daß ich als Lehrling an Bord gekommen ſei, erwiederte
er „So! nun, ich bin der Bootsmann des Schiffes und Du
haſt mir zu gehorchen, das merke Dir.“ Als Bekräftigung
dieſer Sentenz ſpuckte er eine Maſſe braunen Saftes aus und
ich bemerkte, wie die dicke Backe plötzlich dünn wurde, dagegen

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[6/0018] Werner ſich am hinteren ſogenannte Gaffelſegel befanden, und hatte für ſeine Größe eine verhältnißmäßig ſtarke Beſatzung, welche außer dem Kapitän und den beiden Steuerleuten aus achtzehn Mann be- ſtand. Die „Alma“ war Tags zuvor auf die Helling geholt, um mit neuen Kupferplatten beſchlagen zu werden. Die Helling iſt eine mit Bohlen oder Steinplatten belegte ſchiefe Ebene, auf der Schiffe gebaut werden. In früheren Zeiten reparirte man auch alte Schiffe auf den Hellingen; — ſie mußten auf einem Schlitten, der ihnen im Waſſer untergeſchoben wurde, hinaufgewunden werden; das war ſchwere Arbeit und ſtrengte die Fahrzeuge ſtark an. Jetzt macht man es ihnen bequemer; man hat überall Docks, feſt gemauerte oder eiſerne ſchwimmende Baſſins mit Thüren. Die Schiffe werden hineingeholt, man pumpt nach Schluß der Thüren das Waſſer aus, und die in- zwiſchen abgeſtützten Fahrzeuge ſtehen trocken. Ich war die hohe Leiter, die vom Lande bis zum Deck der „Alma“ führte, hinaufgeklettert, meine Seekiſte aber unten im Regen ſtehen geblieben. Als der Kapitän mich entlaſſen hatte, ſah ich vergebens nach Hülfe aus, um die Kiſte an Bord zu bringen. Einige Leute der Mannſchaft arbeiteten in der Bemaſtung, ſonſt war Niemand da und ich ſtand ziemlich rath- los. Endlich kam ein älterer Mann mit bärbeißigem Geſicht und einer dicken Backe die Leiter herauf an Deck, wo ich herumirrte. „Wer biſt Du?“ fragte er mich mit ſo barſcher Stimme, daß ich ordentlich erſchrak. Ich nannte meinen Namen. „Was willſt Du hier?“ fuhr er in demſelben Tone fort und natürlich wie Alle an Bord in plattdeutſcher Sprache. Als ich ihm mit- getheilt, daß ich als Lehrling an Bord gekommen ſei, erwiederte er „So! nun, ich bin der Bootsmann des Schiffes und Du haſt mir zu gehorchen, das merke Dir.“ Als Bekräftigung dieſer Sentenz ſpuckte er eine Maſſe braunen Saftes aus und ich bemerkte, wie die dicke Backe plötzlich dünn wurde, dagegen

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/18>, abgerufen am 24.11.2024.