Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine erste Seereise
Halstuche und der schottischen Mütze ganz interessant vor.
Ziemlich selbstbewußt machte ich einen Spaziergang am Hafen
und hätte statt der Mütze auch gar zu gern den Südwester
aufgesetzt, jene Regenkappe von geöltem Segeltuch mit Nacken-
schirm, die den Seeleuten bei schlechtem Wetter so gute Dienste
leistet, aber zu meinem Bedauern regnete es nicht und ich
mußte mich heute schon begnügen, in meinem Aeußeren etwas
weniger specifisch seemännisch zu erscheinen.

Der Abend verging, indem ich wiederholt mein neues
Eigenthum musterte, es sorgfältig in der Kiste lagerte und mit
Behagen meinen bisherigen Civilanzug zu einem Packete for-
mirte, um ihn nach Hause zu schicken. Trotz der wehmüthigen
Gefühle, die mich bei dem Gedanken an die Heimath beschlichen,
empfand ich doch volle Befriedigung, am Ziel meiner seit so
lange gehegten Wünsche angelangt zu sein. Die hochfliegendsten
und ehrgeizigsten Pläne entstanden in meinem Kopfe, und ich
schlief endlich ein, um die letzte Nacht auf dem Festlande zu-
zubringen. Für lange Zeit sollte es auch die letzte sein, in der
ich mich einer ungestörten Ruhe erfreuen durfte; meinen Zukunfts-
träumen setzte aber schon der folgende Tag einen häßlichen
Dämpfer auf.

Auf dem Comptoir der Rheder, wo ich meinen Lehrlings-
contract unterzeichnete, hatte man mir mitgetheilt, daß ich am
Morgen nach der Abreise meines Vaters an Bord zu gehen
habe. Ich glaubte deshalb besonders pünktlich zu sein, als ich
mich um acht Uhr auf dem Schiffe meldete, täuschte mich aber.
Ich wurde vom Kapitän auf sehr unliebenswürdige Weise em-
pfangen, und obwohl ich das von ihm gesprochene Plattdeutsch
nur halb verstand, hörte ich doch harte Vorwürfe heraus, daß
ich nicht schon mit Beginn der Arbeitszeit gekommen sei. Das
war kein angenehmer Anfang. Mein Schiff hieß "Alma". Es
war eine nicht sehr große Bark, d. h. ein dreimastiges Schiff,
das nur an den beiden vorderen Masten Raaen führte, während

Eine erſte Seereiſe
Halstuche und der ſchottiſchen Mütze ganz intereſſant vor.
Ziemlich ſelbſtbewußt machte ich einen Spaziergang am Hafen
und hätte ſtatt der Mütze auch gar zu gern den Südweſter
aufgeſetzt, jene Regenkappe von geöltem Segeltuch mit Nacken-
ſchirm, die den Seeleuten bei ſchlechtem Wetter ſo gute Dienſte
leiſtet, aber zu meinem Bedauern regnete es nicht und ich
mußte mich heute ſchon begnügen, in meinem Aeußeren etwas
weniger ſpecifiſch ſeemänniſch zu erſcheinen.

Der Abend verging, indem ich wiederholt mein neues
Eigenthum muſterte, es ſorgfältig in der Kiſte lagerte und mit
Behagen meinen bisherigen Civilanzug zu einem Packete for-
mirte, um ihn nach Hauſe zu ſchicken. Trotz der wehmüthigen
Gefühle, die mich bei dem Gedanken an die Heimath beſchlichen,
empfand ich doch volle Befriedigung, am Ziel meiner ſeit ſo
lange gehegten Wünſche angelangt zu ſein. Die hochfliegendſten
und ehrgeizigſten Pläne entſtanden in meinem Kopfe, und ich
ſchlief endlich ein, um die letzte Nacht auf dem Feſtlande zu-
zubringen. Für lange Zeit ſollte es auch die letzte ſein, in der
ich mich einer ungeſtörten Ruhe erfreuen durfte; meinen Zukunfts-
träumen ſetzte aber ſchon der folgende Tag einen häßlichen
Dämpfer auf.

Auf dem Comptoir der Rheder, wo ich meinen Lehrlings-
contract unterzeichnete, hatte man mir mitgetheilt, daß ich am
Morgen nach der Abreiſe meines Vaters an Bord zu gehen
habe. Ich glaubte deshalb beſonders pünktlich zu ſein, als ich
mich um acht Uhr auf dem Schiffe meldete, täuſchte mich aber.
Ich wurde vom Kapitän auf ſehr unliebenswürdige Weiſe em-
pfangen, und obwohl ich das von ihm geſprochene Plattdeutſch
nur halb verſtand, hörte ich doch harte Vorwürfe heraus, daß
ich nicht ſchon mit Beginn der Arbeitszeit gekommen ſei. Das
war kein angenehmer Anfang. Mein Schiff hieß „Alma“. Es
war eine nicht ſehr große Bark, d. h. ein dreimaſtiges Schiff,
das nur an den beiden vorderen Maſten Raaen führte, während

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="5"/><fw place="top" type="header">Eine er&#x017F;te Seerei&#x017F;e</fw><lb/>
Halstuche und der &#x017F;chotti&#x017F;chen Mütze ganz intere&#x017F;&#x017F;ant vor.<lb/>
Ziemlich &#x017F;elb&#x017F;tbewußt machte ich einen Spaziergang am Hafen<lb/>
und hätte &#x017F;tatt der Mütze auch gar zu gern den Südwe&#x017F;ter<lb/>
aufge&#x017F;etzt, jene Regenkappe von geöltem Segeltuch mit Nacken-<lb/>
&#x017F;chirm, die den Seeleuten bei &#x017F;chlechtem Wetter &#x017F;o gute Dien&#x017F;te<lb/>
lei&#x017F;tet, aber zu meinem Bedauern regnete es nicht und ich<lb/>
mußte mich heute &#x017F;chon begnügen, in meinem Aeußeren etwas<lb/>
weniger &#x017F;pecifi&#x017F;ch &#x017F;eemänni&#x017F;ch zu er&#x017F;cheinen.</p><lb/>
        <p>Der Abend verging, indem ich wiederholt mein neues<lb/>
Eigenthum mu&#x017F;terte, es &#x017F;orgfältig in der Ki&#x017F;te lagerte und mit<lb/>
Behagen meinen bisherigen Civilanzug zu einem Packete for-<lb/>
mirte, um ihn nach Hau&#x017F;e zu &#x017F;chicken. Trotz der wehmüthigen<lb/>
Gefühle, die mich bei dem Gedanken an die Heimath be&#x017F;chlichen,<lb/>
empfand ich doch volle Befriedigung, am Ziel meiner &#x017F;eit &#x017F;o<lb/>
lange gehegten Wün&#x017F;che angelangt zu &#x017F;ein. Die hochfliegend&#x017F;ten<lb/>
und ehrgeizig&#x017F;ten Pläne ent&#x017F;tanden in meinem Kopfe, und ich<lb/>
&#x017F;chlief endlich ein, um die letzte Nacht auf dem Fe&#x017F;tlande zu-<lb/>
zubringen. Für lange Zeit &#x017F;ollte es auch die letzte &#x017F;ein, in der<lb/>
ich mich einer unge&#x017F;törten Ruhe erfreuen durfte; meinen Zukunfts-<lb/>
träumen &#x017F;etzte aber &#x017F;chon der folgende Tag einen häßlichen<lb/>
Dämpfer auf.</p><lb/>
        <p>Auf dem Comptoir der Rheder, wo ich meinen Lehrlings-<lb/>
contract unterzeichnete, hatte man mir mitgetheilt, daß ich am<lb/>
Morgen nach der Abrei&#x017F;e meines Vaters an Bord zu gehen<lb/>
habe. Ich glaubte deshalb be&#x017F;onders pünktlich zu &#x017F;ein, als ich<lb/>
mich um acht Uhr auf dem Schiffe meldete, täu&#x017F;chte mich aber.<lb/>
Ich wurde vom Kapitän auf &#x017F;ehr unliebenswürdige Wei&#x017F;e em-<lb/>
pfangen, und obwohl ich das von ihm ge&#x017F;prochene Plattdeut&#x017F;ch<lb/>
nur halb ver&#x017F;tand, hörte ich doch harte Vorwürfe heraus, daß<lb/>
ich nicht &#x017F;chon mit Beginn der Arbeitszeit gekommen &#x017F;ei. Das<lb/>
war kein angenehmer Anfang. Mein Schiff hieß &#x201E;Alma&#x201C;. Es<lb/>
war eine nicht &#x017F;ehr große Bark, d. h. ein dreima&#x017F;tiges Schiff,<lb/>
das nur an den beiden vorderen Ma&#x017F;ten Raaen führte, während<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0017] Eine erſte Seereiſe Halstuche und der ſchottiſchen Mütze ganz intereſſant vor. Ziemlich ſelbſtbewußt machte ich einen Spaziergang am Hafen und hätte ſtatt der Mütze auch gar zu gern den Südweſter aufgeſetzt, jene Regenkappe von geöltem Segeltuch mit Nacken- ſchirm, die den Seeleuten bei ſchlechtem Wetter ſo gute Dienſte leiſtet, aber zu meinem Bedauern regnete es nicht und ich mußte mich heute ſchon begnügen, in meinem Aeußeren etwas weniger ſpecifiſch ſeemänniſch zu erſcheinen. Der Abend verging, indem ich wiederholt mein neues Eigenthum muſterte, es ſorgfältig in der Kiſte lagerte und mit Behagen meinen bisherigen Civilanzug zu einem Packete for- mirte, um ihn nach Hauſe zu ſchicken. Trotz der wehmüthigen Gefühle, die mich bei dem Gedanken an die Heimath beſchlichen, empfand ich doch volle Befriedigung, am Ziel meiner ſeit ſo lange gehegten Wünſche angelangt zu ſein. Die hochfliegendſten und ehrgeizigſten Pläne entſtanden in meinem Kopfe, und ich ſchlief endlich ein, um die letzte Nacht auf dem Feſtlande zu- zubringen. Für lange Zeit ſollte es auch die letzte ſein, in der ich mich einer ungeſtörten Ruhe erfreuen durfte; meinen Zukunfts- träumen ſetzte aber ſchon der folgende Tag einen häßlichen Dämpfer auf. Auf dem Comptoir der Rheder, wo ich meinen Lehrlings- contract unterzeichnete, hatte man mir mitgetheilt, daß ich am Morgen nach der Abreiſe meines Vaters an Bord zu gehen habe. Ich glaubte deshalb beſonders pünktlich zu ſein, als ich mich um acht Uhr auf dem Schiffe meldete, täuſchte mich aber. Ich wurde vom Kapitän auf ſehr unliebenswürdige Weiſe em- pfangen, und obwohl ich das von ihm geſprochene Plattdeutſch nur halb verſtand, hörte ich doch harte Vorwürfe heraus, daß ich nicht ſchon mit Beginn der Arbeitszeit gekommen ſei. Das war kein angenehmer Anfang. Mein Schiff hieß „Alma“. Es war eine nicht ſehr große Bark, d. h. ein dreimaſtiges Schiff, das nur an den beiden vorderen Maſten Raaen führte, während

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/17
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/17>, abgerufen am 27.11.2024.