Auch die nüchternen Leute fühlten die Schmach und der verlangende Ruf nach einer deutschen Flotte, nach einer Geltung zur See ertönte laut und allgemein im ganzen Lande, in allen Schichten des Volkes. Ueberall sprach, schrieb, sang und sammelte man dafür, aber man war fast ohne Ausnahme so naiv zu glauben, daß sich eine Flotte in wenigen Monaten herstellen lasse und lieferte damit den Beweis, daß man in Deutschland von Marinesachen nur wenig verstand. Man hatte keine Ahnung davon, was zur Schaffung einer Marine gehöre und hielt den guten Willen für ausreichend. Selbst in den Hansestädten schien diese Einsicht zu fehlen, und die Schwärmerei über den practi- schen Verstand den Sieg davon zu tragen. Man erinnerte sich dort wohl der eigenen Seemächtigkeit, die einst so lange Zeit die nordischen Kronen sich botmäßig gemacht und glaubte, sie durch Energie sofort wieder in das Leben rufen zu können. Man vergaß aber völlig, daß vier Jahrhunderte zwischen da- mals und jetzt lagen, daß die 77 Städte, welche einst König Waldemar von Dänemark den Fehdebrief sandten und deren Flotten sein Reich zertrümmerten, den Kern und die Thatkraft Norddeutschlands darstellten, daß sie, von gleichem Interesse geleitet und demselben Willen beseelt, Deutschland nach außen als einiges Reich erscheinen ließen, daß jetzt aber die poli- tischen Verhältnisse so ganz anders lagen.
Bartholdt, Verfasser der "Geschichte der deutschen See- macht" *, hatte die Dinge richtiger erfaßt, als die Nach- kommen der alten Hansen, wenn er seine Abhandlung mit folgenden Worten schloß: "Wir haben Eisen und Kupfer in unseren Bergwerken, hochgewipfelte Tannen im Schwarzwald, die als Mastbäume und Stangen jährlich nach Holland hin- unter schwimmen. Wir haben in den Ostseeprovinzen riesige
* Historisches Taschenbuch von Raumer. Dritte Folge. Zweiter Jahrgang.
R. Werner, Erinnerungen. 10
Die deutſche Marine 1848—1852
Auch die nüchternen Leute fühlten die Schmach und der verlangende Ruf nach einer deutſchen Flotte, nach einer Geltung zur See ertönte laut und allgemein im ganzen Lande, in allen Schichten des Volkes. Ueberall ſprach, ſchrieb, ſang und ſammelte man dafür, aber man war faſt ohne Ausnahme ſo naiv zu glauben, daß ſich eine Flotte in wenigen Monaten herſtellen laſſe und lieferte damit den Beweis, daß man in Deutſchland von Marineſachen nur wenig verſtand. Man hatte keine Ahnung davon, was zur Schaffung einer Marine gehöre und hielt den guten Willen für ausreichend. Selbſt in den Hanſeſtädten ſchien dieſe Einſicht zu fehlen, und die Schwärmerei über den practi- ſchen Verſtand den Sieg davon zu tragen. Man erinnerte ſich dort wohl der eigenen Seemächtigkeit, die einſt ſo lange Zeit die nordiſchen Kronen ſich botmäßig gemacht und glaubte, ſie durch Energie ſofort wieder in das Leben rufen zu können. Man vergaß aber völlig, daß vier Jahrhunderte zwiſchen da- mals und jetzt lagen, daß die 77 Städte, welche einſt König Waldemar von Dänemark den Fehdebrief ſandten und deren Flotten ſein Reich zertrümmerten, den Kern und die Thatkraft Norddeutſchlands darſtellten, daß ſie, von gleichem Intereſſe geleitet und demſelben Willen beſeelt, Deutſchland nach außen als einiges Reich erſcheinen ließen, daß jetzt aber die poli- tiſchen Verhältniſſe ſo ganz anders lagen.
Bartholdt, Verfaſſer der „Geſchichte der deutſchen See- macht“ *, hatte die Dinge richtiger erfaßt, als die Nach- kommen der alten Hanſen, wenn er ſeine Abhandlung mit folgenden Worten ſchloß: „Wir haben Eiſen und Kupfer in unſeren Bergwerken, hochgewipfelte Tannen im Schwarzwald, die als Maſtbäume und Stangen jährlich nach Holland hin- unter ſchwimmen. Wir haben in den Oſtſeeprovinzen rieſige
* Hiſtoriſches Taſchenbuch von Raumer. Dritte Folge. Zweiter Jahrgang.
R. Werner, Erinnerungen. 10
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Die deutſche Marine 1848—1852
Auch die nüchternen Leute fühlten die Schmach und der
verlangende Ruf nach einer deutſchen Flotte, nach einer Geltung
zur See ertönte laut und allgemein im ganzen Lande, in allen
Schichten des Volkes. Ueberall ſprach, ſchrieb, ſang und ſammelte
man dafür, aber man war faſt ohne Ausnahme ſo naiv zu
glauben, daß ſich eine Flotte in wenigen Monaten herſtellen
laſſe und lieferte damit den Beweis, daß man in Deutſchland
von Marineſachen nur wenig verſtand. Man hatte keine Ahnung
davon, was zur Schaffung einer Marine gehöre und hielt den
guten Willen für ausreichend. Selbſt in den Hanſeſtädten ſchien
dieſe Einſicht zu fehlen, und die Schwärmerei über den practi-
ſchen Verſtand den Sieg davon zu tragen. Man erinnerte ſich
dort wohl der eigenen Seemächtigkeit, die einſt ſo lange Zeit
die nordiſchen Kronen ſich botmäßig gemacht und glaubte, ſie
durch Energie ſofort wieder in das Leben rufen zu können.
Man vergaß aber völlig, daß vier Jahrhunderte zwiſchen da-
mals und jetzt lagen, daß die 77 Städte, welche einſt König
Waldemar von Dänemark den Fehdebrief ſandten und deren
Flotten ſein Reich zertrümmerten, den Kern und die Thatkraft
Norddeutſchlands darſtellten, daß ſie, von gleichem Intereſſe
geleitet und demſelben Willen beſeelt, Deutſchland nach außen
als einiges Reich erſcheinen ließen, daß jetzt aber die poli-
tiſchen Verhältniſſe ſo ganz anders lagen.
Bartholdt, Verfaſſer der „Geſchichte der deutſchen See-
macht“ *, hatte die Dinge richtiger erfaßt, als die Nach-
kommen der alten Hanſen, wenn er ſeine Abhandlung mit
folgenden Worten ſchloß: „Wir haben Eiſen und Kupfer in
unſeren Bergwerken, hochgewipfelte Tannen im Schwarzwald,
die als Maſtbäume und Stangen jährlich nach Holland hin-
unter ſchwimmen. Wir haben in den Oſtſeeprovinzen rieſige
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Jahrgang.
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/157>, abgerufen am 22.11.2024.
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