mittel der niederen Volksklassen. Ich hatte früher gehört, daß Heringszüge in so dichten Massen wie Mauern erschienen, ohne recht daran glauben zu wollen, hier aber überzeugte ich mich von der Wahrheit. Eine solche Makrelenmauer näherte sich unserem Schiffe und wir fingen in kaum einer Viertelstunde, während welcher die Fische in unmittelbarer Nähe blieben, viele Hunderte, indem wir drei bis vier zusammengebundene Makrelen- haken zwischen die Masse warfen und die daran irgendwie an- gehakten Fische an Bord holten. Was nicht frisch gegessen wer- den konnte, wurde geräuchert und für die nächsten Tage als willkommener Leckerbissen mitgenommen.
Gegen Abend war unser Trinkwasser ergänzt und wir traten unsere Weiterreise an, um abermals zwei Monate lang mit Himmel und Meer allein zu sein.
Es passirte nichts Außergewöhnliches, nur wurde das Leben an Bord noch eintöniger, als es bisher gewesen war. Gewöhn- liche Seeleute haben nur einen engen Gesichtskreis und ihre Unterhaltung beschränkt sich auf eine verhältnißmäßig geringe Zahl von Gegenständen. Auf einer so langen Reise erschöpfen sich dieselben und es bleibt nichts als Dreschen desselben Strohes, das schon bei der ersten Bearbeitung nicht schmackhaft war. Nach dem Tode des Bootsmannes fühlte ich mehr als je, wie wenig ich zu den Uebrigen paßte; oft vergingen Tage, an denen ich kaum ein gleichgiltiges Wort mit ihnen wechselte, und es konnte nicht ausbleiben, daß auch sie mir keinerlei Entgegen- kommen zeigten. Seit Batavia waren unsere Chronometer regu- lirt. Monddistanzen, bei denen ich hätte behülflich sein können, wurden nicht mehr beobachtet, und da ich wegen meiner Krank- heit nur sehr selten Wache gehen konnte, kam ich mit Kapitän und Steuerleuten fast nicht in Berührung. Die wenigen Bücher, welche mir der Kadett zum Abschiede mitgegeben, waren längst mehrfach gelesen, meine einzige Zerstreuung bildete Schreiben und Zeichnen. O wie entsetzlich lang wurden mir die vier
Werner
mittel der niederen Volksklaſſen. Ich hatte früher gehört, daß Heringszüge in ſo dichten Maſſen wie Mauern erſchienen, ohne recht daran glauben zu wollen, hier aber überzeugte ich mich von der Wahrheit. Eine ſolche Makrelenmauer näherte ſich unſerem Schiffe und wir fingen in kaum einer Viertelſtunde, während welcher die Fiſche in unmittelbarer Nähe blieben, viele Hunderte, indem wir drei bis vier zuſammengebundene Makrelen- haken zwiſchen die Maſſe warfen und die daran irgendwie an- gehakten Fiſche an Bord holten. Was nicht friſch gegeſſen wer- den konnte, wurde geräuchert und für die nächſten Tage als willkommener Leckerbiſſen mitgenommen.
Gegen Abend war unſer Trinkwaſſer ergänzt und wir traten unſere Weiterreiſe an, um abermals zwei Monate lang mit Himmel und Meer allein zu ſein.
Es paſſirte nichts Außergewöhnliches, nur wurde das Leben an Bord noch eintöniger, als es bisher geweſen war. Gewöhn- liche Seeleute haben nur einen engen Geſichtskreis und ihre Unterhaltung beſchränkt ſich auf eine verhältnißmäßig geringe Zahl von Gegenſtänden. Auf einer ſo langen Reiſe erſchöpfen ſich dieſelben und es bleibt nichts als Dreſchen deſſelben Strohes, das ſchon bei der erſten Bearbeitung nicht ſchmackhaft war. Nach dem Tode des Bootsmannes fühlte ich mehr als je, wie wenig ich zu den Uebrigen paßte; oft vergingen Tage, an denen ich kaum ein gleichgiltiges Wort mit ihnen wechſelte, und es konnte nicht ausbleiben, daß auch ſie mir keinerlei Entgegen- kommen zeigten. Seit Batavia waren unſere Chronometer regu- lirt. Monddiſtanzen, bei denen ich hätte behülflich ſein können, wurden nicht mehr beobachtet, und da ich wegen meiner Krank- heit nur ſehr ſelten Wache gehen konnte, kam ich mit Kapitän und Steuerleuten faſt nicht in Berührung. Die wenigen Bücher, welche mir der Kadett zum Abſchiede mitgegeben, waren längſt mehrfach geleſen, meine einzige Zerſtreuung bildete Schreiben und Zeichnen. O wie entſetzlich lang wurden mir die vier
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Werner
mittel der niederen Volksklaſſen. Ich hatte früher gehört, daß
Heringszüge in ſo dichten Maſſen wie Mauern erſchienen, ohne
recht daran glauben zu wollen, hier aber überzeugte ich mich
von der Wahrheit. Eine ſolche Makrelenmauer näherte ſich
unſerem Schiffe und wir fingen in kaum einer Viertelſtunde,
während welcher die Fiſche in unmittelbarer Nähe blieben, viele
Hunderte, indem wir drei bis vier zuſammengebundene Makrelen-
haken zwiſchen die Maſſe warfen und die daran irgendwie an-
gehakten Fiſche an Bord holten. Was nicht friſch gegeſſen wer-
den konnte, wurde geräuchert und für die nächſten Tage als
willkommener Leckerbiſſen mitgenommen.
Gegen Abend war unſer Trinkwaſſer ergänzt und wir
traten unſere Weiterreiſe an, um abermals zwei Monate lang
mit Himmel und Meer allein zu ſein.
Es paſſirte nichts Außergewöhnliches, nur wurde das Leben
an Bord noch eintöniger, als es bisher geweſen war. Gewöhn-
liche Seeleute haben nur einen engen Geſichtskreis und ihre
Unterhaltung beſchränkt ſich auf eine verhältnißmäßig geringe
Zahl von Gegenſtänden. Auf einer ſo langen Reiſe erſchöpfen ſich
dieſelben und es bleibt nichts als Dreſchen deſſelben Strohes,
das ſchon bei der erſten Bearbeitung nicht ſchmackhaft war.
Nach dem Tode des Bootsmannes fühlte ich mehr als je, wie
wenig ich zu den Uebrigen paßte; oft vergingen Tage, an denen
ich kaum ein gleichgiltiges Wort mit ihnen wechſelte, und es
konnte nicht ausbleiben, daß auch ſie mir keinerlei Entgegen-
kommen zeigten. Seit Batavia waren unſere Chronometer regu-
lirt. Monddiſtanzen, bei denen ich hätte behülflich ſein können,
wurden nicht mehr beobachtet, und da ich wegen meiner Krank-
heit nur ſehr ſelten Wache gehen konnte, kam ich mit Kapitän
und Steuerleuten faſt nicht in Berührung. Die wenigen Bücher,
welche mir der Kadett zum Abſchiede mitgegeben, waren längſt
mehrfach geleſen, meine einzige Zerſtreuung bildete Schreiben
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/152>, abgerufen am 28.07.2024.
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